Das grosse Lamento ist programmiert: Am Dienstag wird Bundesrat Alain Berset zum letzten Mal bekannt geben, wie stark die Krankenkassenprämien nächstes Jahr steigen werden. So viel ist klar: Der Anstieg wird markant sein. Und ebenso klar ist: Die Diskussion, wie der Kostenanstieg im Gesundheitswesen gebremst werden kann, wird an Fahrt aufnehmen.
Dabei spielen selbst Bersets Beamte im Bundesamt für Gesundheit (BAG) nicht immer eine ruhmreiche Rolle, wie folgende Geschichte um Mütter, Hebammen und der Glaube an Götter in Weiss zeigt.
Doch von vorne. Das Krankenversicherungsgesetz datiert aus dem Jahre 1994. Der Gesetzesartikel zur Mutterschaft wurde seither nicht mehr revidiert. Es war eine Zeit, da blieben die Mütter nach der Geburt lange im Spital. Sechs bis acht Tage mindestens.
Mittlerweile kehren viele Frauen mit dem Neugeborenen bereits nach 48 Stunden wieder nach Hause zurück. Hier übernehmen die Hebammen eine wichtige Rolle bei der Betreuung von Mutter und Baby. Sie nehmen etwa Blutanalysen vor zur Erkennung von Gelbsucht. Diese Rolle ist für die Hebammen im Gesetz jedoch nicht vorgesehen. Es klafft eine Lücke zwischen Gesetz, Verordnung und Praxis.
Einige Krankenkassen haben das gemerkt. Und begannen, gewisse Kosten für Leistungen von Hebammen nicht mehr zur übernehmen, da die gesetzliche Grundlage fehle. Das führte zu Ungleichheiten. Um beim Test für Gelbsucht zu bleiben: Mütter, die länger im Spital blieben und den Bluttest dort machen liessen, mussten die Kosten dafür nicht übernehmen. Mütter, die nach Hause gingen und den Test von den Hebammen machen liessen, wurden dafür zur Kasse gebeten.
Das BAG anerkannte, dass das Gesetz der Praxis nicht mehr gerecht wird – und ermunterte den Schweizerischen Hebammenverband, im Parlament Verbündete zu suchen, die dem Bundesamt einen Auftrag zur Gesetzesanpassung geben würden. Das taten die Hebammen, die Gesundheitskommission des Nationalrates machte mit und das BAG arbeitete eine Gesetzesänderung aus, die nun diese Woche ins Parlament kommt. Im Rahmen eines Kostensenkungspakets.
Doch: Bersets Beamte stellen mit ihrem Vorschlag nicht den Status quo wieder her. Sie beschneiden die Kompetenz der Hebammen – und schieben sie den Ärzten zu.
So sollen etwa die Bluttests zur Gelbsucht den Ärzten vorbehalten sein. Die Mutter muss also mit dem Neugeborenen in eine Arztpraxis gehen. Ebenso, wenn sie nach der Geburt ein verschreibungspflichtiges Schmerzmittel braucht. Hat eine Frau wegen des Stillens offene Brustwarzen, soll sie ebenfalls zum Arzt gehen, der ihr eine Milchpumpe verschreibt. Ist die Situation an einem Wochenende akut, bleibt nur der Gang in die Notfallstation.
Andrea Weber, Geschäftsführerin des Schweizerischen Hebammenverbandes, hält die Vorschläge des BAG respektive des Bundesrates für kostentreibend: «Wir Hebammen sind immer günstiger als Gynäkologen und Kinderärzte.» Hebammen werden pro Konsultation bezahlt und nicht nach Zeit oder durchgeführten Tests. Nebst den höheren Kosten führt Weber auch den zusätzlichen Aufwand für die ohnehin belasteten Ärzte und unnötigen Stress für Mutter und Kind ins Feld.
«Absurd und kostentreibend», nennt Gesundheitspolitikerin Barbara Gysi den Gesetzesvorschlag. Die St.Galler Nationalrätin kämpft dafür, dass die seit 20 Jahren gelebte Praxis im Gesetz richtig abgebildet wird. Die Hebammen seien dafür ausgebildet und hätten die dafür nötigen Kompetenzen. Sie stellt fest, dass im BAG an vielen Orten das Gefühl herrsche, die Ärzte könnten alles besser.
Gysi wie auch Mitte-Nationalrätin Priska Wismer-Felder weisen zudem auf den Fachkräftemangel hin. So sind Kinder- und Hausärzte vielerorts rar. Tatsächlich sind diese auch nicht erpicht auf neue Aufgaben. Philippe Luchsinger, Präsident der Haus- und Kinderärzte Schweiz, schreibt in einem Brief an die Nationalrätinnen und Nationalräte, in Zeiten immer knapper werdender Ressourcen und mangelnder Berufsleute sei es ein Muss, die Arbeit sinnvoll, optimal und kostenschonend zu verteilen: «Es ist aus unserer Sicht folgerichtig, dass die Arbeit der Hebammen nicht durch unnötige Einschränkungen behindert wird. Die Massnahmen, Untersuchungen und Materialien, die die Hebammen aufgrund ihrer unbestrittenen Kompetenzen anwenden dürfen, müssen auch abrechenbar sein, ohne zusätzliche Hürden wie beispielsweise ärztliche Verordnungen.»
Die Präsidenten von Kinderärzte Schweiz und Pädiatrie Schweiz nennen die Vorschläge des BAG in einem Brief ebenfalls kostentreibend. Es sei nicht sinnvoll, dass es etwa für die Blutabnahme zur Prüfung der Gelbsucht eine ärztliche Anordnung oder Konsultation in der Praxis brauche. Und: «Es fehlen uns die Kapazitäten, um alle diese Konsultationen und Anordnungen durchführen zu können.»
Kurzum: Das BAG will also den Ärzten Kompetenzen zuschieben, welche diese gar nicht wollen und für die sie keine Kapazitäten haben.
Die vorberatende Kommission stimmte den Vorschlägen von Verwaltung und Bundesrat noch zu. Mittlerweile hat im Parlament der Wind gedreht – von einem «Betriebsunfall» ist die Rede. Und dass sich Gesundheitsminister Alain Berset in der Debatte gar von den Vorschlägen seiner Beamten distanzieren könnte. Dass also die Hebammen weiter dies machen könnten, was sie seit mehr als zwei Jahrzehnten tun – und diese Leistungen von Krankenkassen auch vergütet werden.
Man "spart" Kosten (meist im Sinne einer mächtigen Lobby), erreicht damit aber genau das Gegenteil.
Alle sind sich einig, dass Physiotherapie (dito Hebammen) extrem viel Kosten einsparen kann, und dass Folgebehandlungen beim Arzt IMMER viel teurer sind.
Man kann sich das einzig damit erklären, dass Ärzte eine bessere Lobby haben als Physios und Hebammen.
So weit so schlecht: Ist ja irgendwie naheliegend, dass sich jede Berufsgruppe um ihre Pfründe kümmert. Aber genau deswegen bräuchte es eine starken und kompetenten Bundesrat!