Auf dem Instagram-Konto «Influencers in the Wild» postet der Amerikaner «Tank Sinatra» Videos, um sich über Influencerinnen und Influencer lustig zu machen, die bereit sind, alles zu tun, um aufzufallen. Das Konto zählt über fünf Millionen Follower.
Diese Woche sorgte ein 19-sekündiges Video für eine lebhafte Debatte und rückt damit unser Land ins internationale Rampenlicht.
Die Szene spielt sich in einem Panoramawagen des Glacier Express ab, der St.Moritz und Zermatt verbindet. Darin sieht man zwei Frauen, die vom Zugbegleiter höflich zum Verlassen der Excellence Class aufgefordert werden. Sie wollten offenbar ein Video drehen oder Fotos machen, hatten aber Tickets für die 1. Klasse. Gefilmt wurde die Szene von einem Passagier, der Zeuge dieses angespannten Austauschs wurde, als der Glacier Express gerade durch Alvaneu GR fuhr.
Für das Instagram-Konto «Influencers in the Wild», dem ein Internetnutzer dieses Video zugespielt hat, war das natürlich ein gefundenes Fressen. Doch kurz darauf erhielt der Betreiber des Kontos eine Nachricht, deren Inhalt ganz eindeutig ist:
Offensichtlich verärgert darüber, von Schweizern ermahnt worden zu sein, verfasste «Tank Sinatra» eine sehr amerikanische Antwort.
Das Video wurde vom betreffenden Konto tatsächlich entfernt. Ende der Geschichte? Nicht wirklich. Während er wohl dachte, sich die Sympathie seiner riesigen Community zu sichern, hat «Influencers in the Wild» eine böse Retourkutsche kassiert.
Unter dem Post, der mehr als 20'000 Likes erhielt, finden sich rund 3000 Kommentare, von denen sich die meisten auf die Seite des Glacier Express schlagen. Dabei wird insbesondere die «ausserordentliche Höflichkeit» der Zugbetreiber als «nachahmenswertes Beispiel» hervorgehoben: «Ich finde, das ist ein wirklich grossartiges Gesetz, und Respekt an sie, dass sie das auch verfolgen. Ich hätte nicht erwartet, dass dieser Account sich so dagegenstellt. Ich bin auf der Seite der Schweiz», schrieb unter anderem Nicola Thorp, eine britische Fernsehmoderatorin und Schauspielerin.
Zudem stösst vielen Kommentierenden sauer auf, dass «Tank Sinatra» grossspurig «die Art und Weise der USA» bemüht. In einer Zeit, in der das Amerika unter Donald Trump das fragile Gleichgewicht der Welt durcheinanderbringt, kommt es gar nicht gut an, Uncle Sam in einer etwas rabiaten Weise der schweizerischen Gelassenheit gegenüberzustellen. In den Kommentaren heisst es unter anderem: «Amerika ist nicht gerade der Gipfel der Perfektion, mein Freund.»
Auf Anfrage von watson erklärte uns die Pressestelle des Glacier Express, was in dem Waggon passiert war:
Das ist noch nicht alles. Laut der Bahngesellschaft haben die beiden Frauen den Besitzer des Videos gebeten, die Aufnahme zu löschen, «aber ohne Erfolg»: «Da das Wohlbefinden unserer Kunden an erster Stelle steht und unser Mitarbeiter der Veröffentlichung des Videos nicht zugestimmt hat, haben wir das Konto kontaktiert und darum gebeten, es zu löschen.»
Der Glacier Express ist beliebt. Für 208 Franken (einschliesslich einer Sitzplatzreservierung von 49 Franken) kann man von Zermatt nach St.Moritz (oder umgekehrt) in der 2. Klasse reisen. Für die 1. Klasse werden 321 Franken fällig.
Das Nonplusultra? Die «Excellence Class», die eine ganze Reihe von VIP-Privilegien bietet, etwa ein Fünf-Gänge-Gourmetmenü oder «einen Concierge für Ihr Wohlbefinden». Der Preis für dieses Vergnügen? 762 Franken. Nun wird deutlicher, warum die beiden Frauen, die hinauskomplimentiert wurden, sich lieber im Waggon der «very important travelers» in Szene setzen wollten.
Man kann auch nachvollziehen, warum die Betreiber des Glacier Express kein schlechtes Image riskieren möchten. Da Influencer entscheidend sind, um junge, wohlhabende Touristen in unser Land zu locken, macht es sich nicht gut, wenn ein Zugbegleiter zwei von ihnen hinauskomplimentiert.
Zumal zahlreiche Videos auf Instagram den Glacier Express stets in reinem Luxus erstrahlen lassen, funkelnd wie ein Diamant. Eine märchenhafte Welt, sehr sauber und sehr schweizerisch.