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Bürgenstock-Konferenz: Frieden für die Ukraine ist keinen Schritt näher

Swiss Federal President Viola Amherd on her way during the Summit on peace in Ukraine, in Stansstad near Lucerne, Switzerland, Sunday, June 16, 2024. Heads of state from around the world gather on the ...
Bundespräsidentin Viola Amherd am Sonntag auf dem Bürgenstock: Organisatorisch war ihre Konferenz ein Erfolg, inhaltlich weniger.Bild: keystone
Analyse

Die Schweiz kann Konferenz – aber der Frieden ist keinen Schritt näher

Die Ukraine-Konferenz auf dem Bürgenstock endet ernüchternd. Wichtige Staaten wollten die Schlusserklärung nicht unterschreiben, und das weitere Vorgehen ist offen.
16.06.2024, 21:4117.06.2024, 14:48
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Der Superlativ wird bleiben. Noch nie hat die Schweiz eine derart umfassende und hochrangige Konferenz durchgeführt. Organisatorisch hat sie die Prüfung bestens bestanden. Der relativ isolierte Bürgenstock erwies sich als idealer Austragungsort, die aufwendige Logistik funktionierte pannenfrei, und die Sicherheit war jederzeit gewährleistet.

Aber wird von der «Konferenz zum Frieden in der Ukraine» mehr bleiben als das imposante Gruppenbild? Man muss es bezweifeln. Auf der Abschlusserklärung fehlt die Unterschrift wichtiger Staaten, und wann und wo eine Folgekonferenz stattfinden wird, ist unklar. Dem Frieden ist die gepeinigte Ukraine in der Innerschweiz keinen Schritt näher gekommen.

Participants pose for the group photo at the Summit on Peace in Ukraine, in Obb�rgen, Switzerland, Saturday June 15, 2024. Switzerland is hosting scores of world leaders this weekend to try to map out ...
Ein imposantes Gruppenbild sagt nichts aus über die Substanz einer Konferenz.Bild: keystone

Das lag an der Übungsanlage, die schwierig genug war. Wolodymyr Selenskyj erwartete bei seinem Besuch in Bern im Januar, dass die Schweiz ihm eine diplomatische Allianz gegen Russland zusammentrommeln würde. Er hatte richtig erkannt, dass er sich aus der «West-Sackgasse» befreien und Unterstützer im Süden anwerben musste.

Russlands Abwesenheit

Die Russen wollte Selenskyj nie dabeihaben. Angesichts teilweise erstaunter Reaktionen auf eine entsprechende Aussage von Aussenminister Ignazio Cassis am letzten Montag musste man sich fragen: Wo waren diese Leute am 15. Januar? Haben die Selenskyj nicht zugehört? Ob es taktisch geschickt war, Russland nicht einzuladen, ist eine andere Frage.

Bundespräsidentin Viola Amherd aber fühlte sich der Ukraine gegenüber verpflichtet. Sie hatte den Unmut über den Schlingerkurs der Schweiz gegenüber dem angegriffenen Land zu spüren bekommen und liess sich auf das Abenteuer ein. Und merkte rasch, dass die Schweiz sich und ihr Gewicht auf der Weltbühne damit wohl überschätzt hatte.

Chinas Absage ist entlarvend

Von einem «hochrangigen Friedensgipfel» war bald nicht mehr die Rede. Auch inhaltlich gab es Abstriche. Von Selenskyjs 10-Punkte-Friedensplan blieben nur die drei unverfänglichsten Aspekte: Getreideexporte durch das Schwarze Meer, die Sicherheit von Atomanlagen und humanitäre Fragen wie der Austausch von Kriegsgefangenen.

Das war die Ukraine-Konferenz

Video: watson/lucas zollinger

Bald schon deutete sich auch an, dass vor allem die Schwergewichte aus dem Süden, die teilweise mit Russland in der BRICS-Gruppe vereinigt sind, gar nicht oder nur mit zweitrangigen Delegationen vertreten sein würden. Die Absage Chinas ist immerhin entlarvend: Peking kann nicht mehr behaupten, in diesem Konflikt neutral zu sein.

Ein einseitiger Anlass

Brasilien und Südafrika waren schlauer, doch sie schickten nur Beobachter, und Indien einen Staatssekretär. Dabei waren Lula da Silva und Narendra Modi nur einen Tag vor der Bürgenstock-Konferenz am G7-Gipfel in Apulien. Zu einer Reise in die Schweiz aber konnten sie sich nicht durchringen. Für sie handelte es sich um einen zu einseitigen Anlass.

Prompt verweigerten sie und andere bedeutende Länder des Südens wie Indonesien, Mexiko und Saudi-Arabien die Unterschrift unter die Schlusserklärung. Sie dürften sich daran gestört haben, dass neben den drei erwähnten Punkten auch das Völkerrecht, die UNO-Charta sowie die territoriale Souveränität und Integrität der Ukraine erwähnt wurden.

Minimum für die Ukraine

Ohne diese Punkte aber hätte Selenskyj die Erklärung nicht akzeptiert. Sie waren für ihn das Minimum, nachdem er zuvor schon viele Abstriche machen musste. Und vermutlich liegt es auch an der Ukraine, dass weder Zeitpunkt noch Ort einer Folgekonferenz festgelegt wurden. Als Favorit gilt Saudi-Arabien, doch dort würde sicher auch Russland teilnehmen.

Wolodymyr Selenskyj gab sich an der Abschluss-Medienkonferenz mit Viola Amherd vordergründig dafür offen. Und relativierte dies sogleich, indem er als Bedingung faktisch den Rückzug Russlands aus der Ukraine forderte. Das genaue Gegenteil hatte Wladimir Putin letzte Woche postuliert. Er will sich noch mehr Gebiete unter den Nagel reissen.

Putin wäre zu «packen»

Maximalforderungen gehören zu solchen Prozessen, besonders in Zeiten des Krieges. Faktisch aber ist der Weg zum Frieden sehr weit und steinig. Zu gross sind die Differenzen, und zu gross die Vorbehalte wichtiger Länder. Die Kanadier wollen nun immerhin eine Konferenz mit den Aussenministern organisieren.

Dieses Vorgehen ist vermutlich vernünftiger als die zu hohen Erwartungen, die Selenskyj an die Schweiz gerichtet hat. Dabei zeigt die Nervosität in Russland – inklusive Verunglimpfung von Viola Amherd im Fernsehen und Cyberattacken gegen die Bundesverwaltung –, dass Putin diplomatisch zu «packen» wäre. Er ist nun einmal der Aggressor in diesem Krieg.

Es war nicht falsch von der Schweiz, die Bürgenstock-Konferenz zu organisieren. Aber es war eben doch eine einseitige, proukrainische Angelegenheit. Ob die Konferenz in die Geschichte eingehen wird, wie Selenskyj behauptet hat, ist fraglich. Aber vielleicht bringt sie die Schweiz dazu, endlich über ihren Platz in der neuen Weltunordnung nachzudenken.

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Die besten Bilder der Friedenskonferenz auf dem Bürgenstock
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Die besten Bilder der Friedenskonferenz auf dem Bürgenstock
Das offizielle Gruppenfoto mit allen Teilnehmenden der Friedenskonferenz.
quelle: keystone / michael buholzer / pool
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Viraler AP-Journalist Philip Crowther auf dem Bürgenstock
Video: watson
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102 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Tante Karla
16.06.2024 22:22registriert März 2024
Die absolut entscheidende Bedingung für dauerhaften, stabilen Frieden ist in solchen Fällen eine glasklare Niederlage des Aggressors.

Alles andere wird höchstens einen kurzen, wackligen Frieden bringen. Wenn der Aggressor Beute machen kann, schlägt er baldmöglichst wieder zu.
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jaschil2
16.06.2024 22:23registriert Juni 2024
Respekt vor dieser Leistung über 90 Staaten an einen Tisch zu bringen
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Max Dick
16.06.2024 22:47registriert Januar 2017
Ein Erfolg wäre die Konferenz, wenn der Westen endlich erkennen würde, dass einzig und allein ein massives Aufrüsten der Ukraine diesen Krieg je halbwegs positiv beenden wird. Dass sich ein China von Russland abwendet, sollte man sich endgültig abschminken. Und auch Staaten wie Indien werden das erst tun, wenn sie daraus einen konkreten Eigennutzen erzielen können.
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