Der Superlativ wird bleiben. Noch nie hat die Schweiz eine derart umfassende und hochrangige Konferenz durchgeführt. Organisatorisch hat sie die Prüfung bestens bestanden. Der relativ isolierte Bürgenstock erwies sich als idealer Austragungsort, die aufwendige Logistik funktionierte pannenfrei, und die Sicherheit war jederzeit gewährleistet.
Aber wird von der «Konferenz zum Frieden in der Ukraine» mehr bleiben als das imposante Gruppenbild? Man muss es bezweifeln. Auf der Abschlusserklärung fehlt die Unterschrift wichtiger Staaten, und wann und wo eine Folgekonferenz stattfinden wird, ist unklar. Dem Frieden ist die gepeinigte Ukraine in der Innerschweiz keinen Schritt näher gekommen.
Das lag an der Übungsanlage, die schwierig genug war. Wolodymyr Selenskyj erwartete bei seinem Besuch in Bern im Januar, dass die Schweiz ihm eine diplomatische Allianz gegen Russland zusammentrommeln würde. Er hatte richtig erkannt, dass er sich aus der «West-Sackgasse» befreien und Unterstützer im Süden anwerben musste.
Die Russen wollte Selenskyj nie dabeihaben. Angesichts teilweise erstaunter Reaktionen auf eine entsprechende Aussage von Aussenminister Ignazio Cassis am letzten Montag musste man sich fragen: Wo waren diese Leute am 15. Januar? Haben die Selenskyj nicht zugehört? Ob es taktisch geschickt war, Russland nicht einzuladen, ist eine andere Frage.
Bundespräsidentin Viola Amherd aber fühlte sich der Ukraine gegenüber verpflichtet. Sie hatte den Unmut über den Schlingerkurs der Schweiz gegenüber dem angegriffenen Land zu spüren bekommen und liess sich auf das Abenteuer ein. Und merkte rasch, dass die Schweiz sich und ihr Gewicht auf der Weltbühne damit wohl überschätzt hatte.
Von einem «hochrangigen Friedensgipfel» war bald nicht mehr die Rede. Auch inhaltlich gab es Abstriche. Von Selenskyjs 10-Punkte-Friedensplan blieben nur die drei unverfänglichsten Aspekte: Getreideexporte durch das Schwarze Meer, die Sicherheit von Atomanlagen und humanitäre Fragen wie der Austausch von Kriegsgefangenen.
Bald schon deutete sich auch an, dass vor allem die Schwergewichte aus dem Süden, die teilweise mit Russland in der BRICS-Gruppe vereinigt sind, gar nicht oder nur mit zweitrangigen Delegationen vertreten sein würden. Die Absage Chinas ist immerhin entlarvend: Peking kann nicht mehr behaupten, in diesem Konflikt neutral zu sein.
Brasilien und Südafrika waren schlauer, doch sie schickten nur Beobachter, und Indien einen Staatssekretär. Dabei waren Lula da Silva und Narendra Modi nur einen Tag vor der Bürgenstock-Konferenz am G7-Gipfel in Apulien. Zu einer Reise in die Schweiz aber konnten sie sich nicht durchringen. Für sie handelte es sich um einen zu einseitigen Anlass.
Prompt verweigerten sie und andere bedeutende Länder des Südens wie Indonesien, Mexiko und Saudi-Arabien die Unterschrift unter die Schlusserklärung. Sie dürften sich daran gestört haben, dass neben den drei erwähnten Punkten auch das Völkerrecht, die UNO-Charta sowie die territoriale Souveränität und Integrität der Ukraine erwähnt wurden.
Ohne diese Punkte aber hätte Selenskyj die Erklärung nicht akzeptiert. Sie waren für ihn das Minimum, nachdem er zuvor schon viele Abstriche machen musste. Und vermutlich liegt es auch an der Ukraine, dass weder Zeitpunkt noch Ort einer Folgekonferenz festgelegt wurden. Als Favorit gilt Saudi-Arabien, doch dort würde sicher auch Russland teilnehmen.
Wolodymyr Selenskyj gab sich an der Abschluss-Medienkonferenz mit Viola Amherd vordergründig dafür offen. Und relativierte dies sogleich, indem er als Bedingung faktisch den Rückzug Russlands aus der Ukraine forderte. Das genaue Gegenteil hatte Wladimir Putin letzte Woche postuliert. Er will sich noch mehr Gebiete unter den Nagel reissen.
Maximalforderungen gehören zu solchen Prozessen, besonders in Zeiten des Krieges. Faktisch aber ist der Weg zum Frieden sehr weit und steinig. Zu gross sind die Differenzen, und zu gross die Vorbehalte wichtiger Länder. Die Kanadier wollen nun immerhin eine Konferenz mit den Aussenministern organisieren.
Dieses Vorgehen ist vermutlich vernünftiger als die zu hohen Erwartungen, die Selenskyj an die Schweiz gerichtet hat. Dabei zeigt die Nervosität in Russland – inklusive Verunglimpfung von Viola Amherd im Fernsehen und Cyberattacken gegen die Bundesverwaltung –, dass Putin diplomatisch zu «packen» wäre. Er ist nun einmal der Aggressor in diesem Krieg.
Es war nicht falsch von der Schweiz, die Bürgenstock-Konferenz zu organisieren. Aber es war eben doch eine einseitige, proukrainische Angelegenheit. Ob die Konferenz in die Geschichte eingehen wird, wie Selenskyj behauptet hat, ist fraglich. Aber vielleicht bringt sie die Schweiz dazu, endlich über ihren Platz in der neuen Weltunordnung nachzudenken.
Alles andere wird höchstens einen kurzen, wackligen Frieden bringen. Wenn der Aggressor Beute machen kann, schlägt er baldmöglichst wieder zu.