Der Sonntag ist ein guter Tag auf Lesbos. Das Thermometer zeigt 20 Grad an, die Sonne scheint warm. Der Wind weht mässig. Nichts brennt, die Strassen in das heillos überfüllte Lager Moria sind frei, werden nicht von rechten selbsternannten Bürgerwehren mit Gewalt blockiert.
Das ist nicht selbstverständlich. Erst am Abend zuvor hat ein Tageszentrum gebrannt, in dem Kinder aus dem Elendslager unterrichtet wurden.
Wenigstens für ein paar Stunden am Tag konnten sie dort von einer Zukunft träumen, in der bunten Umgebung einfach einmal Kind sein – wenigstens für kurze Zeit. Damit ist es nun erst einmal vorbei. Das, was das Feuer nicht geholt hat, muss abgerissen werden. «Zu unsicher», sagt Englischlehrer Tariq.
Tariq heisst nicht Tariq. Er will seinen Namen nicht verraten. «Es ist einfach zu gefährlich für Helfer.» Auch wie alt er ist, will er nicht sagen. Aber er erzählt, wie er nach Lesbos kam: «Mit dem Boot von der Türkei , davor durch den Iran.»
Tariq kommt aus Afghanistan. Er hat seiner Heimat am 20. Mai 2019 den Rücken gekehrt. «Ich wurde verfolgt. Ich wollte wie hier eine Schule aufbauen, Englisch unterrichten und Computerkurse geben. Aber das hat einigen Leuten nicht gefallen.»
Tariq unterrichtet gern, doch eigentlich hat er einen anderen Beruf gelernt: «Ich möchte als Ingenieur in Deutschland arbeiten. Oder weil ich gut Englisch spreche in Grossbritannien.» Ihm ist klar, dass das für ihn unrealistisch ist. «Bevor ich herkam, habe ich mir Europa ganz anders vorgestellt. Ich dachte, die Menschen haben eine warme Umarmung für uns Flüchtlinge übrig und dass man sich ein Leben erarbeiten kann. Aber es ist ganz anders.»
Seit acht Monaten lebt Tariq in Moria. Mit über 20'000 anderen Menschen. Geplant war das Lager eigentlich für maximal 3'000 Personen, doch die Insel ist mit den Ankommenden völlig überfordert, Hilfe vom griechischen Festland oder gar aus Brüssel gibt es im Grunde nicht. Fast alles, was passiert, organisieren Freiwillige. Mit Europa hat das alles nichts zu tun. «Selbst wenn ich es eines Tages von der Insel darf, werde ich im besten Fall in Griechenland bleiben müssen. Und da ist auch vieles nicht gut», sagt Tariq. Er weiss von der Wirtschaftskrise, die das Land und und vor allem seine Bürger immer noch beschäftigt.
Tariq sitzt auf einer Mauer auf dem Gelände des Tageszentrums «One Happy Family», das eine Schweizer Hilfsorganisation gegründet hat. Für viele war die Einrichtung die einzige Abwechslung in ihrem Alltag. «Es ist so unglaublich langweilig im Lager. Immer nur warten, warten, warten», sagt Tariq. Worauf? «Auf mein Interview, die Anhörung zu meinem Asylantrag. Das Gespräch wurde immer wieder verschoben.» Wann soll es jetzt stattfinden? «Im September – in einem halben Jahr. Bis dahin nur Langeweile und das Leben in den Zelten.»
Tariq hat mit seinem Unterricht über 250 Kindern einen Hoffnungsschimmer gegeben, gleichzeitig war die Freiwilligenarbeit für ihn eine Flucht aus dem elendigen Alltag in unwürdigen Verhältnissen. Nun ist davon nichts übrig ausser der beissende Gestank von verbranntem Allerlei und einer russigen Ruine, die trotz Sonnenlicht gespenstisch daliegt. «Ich bin einfach nur traurig. Mehr nicht. Traurig. Das hier war wichtig für uns», sagt er. Und: «Sie wollen uns hier nicht. Und wir wollen hier nicht sein. Aber wir kommen nicht weg.»
Das ist halt auch leider das Problem. Jeder von denen will nach Deutschland, oder in die Schweiz.
Eine Polnische Freundin vor mir, welche mit einem Hilfswerk, mit Flüchtlingen in Polen arbeitet, sagt immer wieder: "Es wollen alle nach Deutschland, die Mitarbeit in Polen wird verweigert, weil man nach Deutschland weiter will."
Gerade als Flüchtling, sollte man nicht wählerisch sein, sondern zufrieden damit, dass nicht Plötzlich alles in die Luft Fliegt.