Bald knallen die Korken: Nie trinken Schweizerinnen und Schweizer so viel Champagner wie zum Jahreswechsel. Pro Jahr werden 6.4 Millionen Flaschen des Schaumweins ins Land importiert. Alle stammen aus dem Weinbaugebiet Champagne, das sich im Norden Frankreichs auf 34'300 Hektaren Fläche erstreckt.
In einer anderen Liga spielt das «Schweizer» Champagne: Ein Waadtländer Dorf mit 1000 Einwohnern, an dem Autofahrende auf der A5 kurz vor Yverdon vorbeibrausen. Hier wird mit 25 Hektaren Reben hauptsächlich Rot- und Weisswein produziert.
Die französische Region und das Waadtländer Dorf verbindet aber nicht nur der Name und die Liebe zum Wein – sondern auch ein 25 Jahre langer Streit, der dieses Jahr zu Ende ging.
Am Ursprung des Champagne(r)-Zoffs stehen die ersten bilateralen Abkommen zwischen der Schweiz und der EU. Die Verhandlungen kamen 1998 zum Abschluss und brachten die Personenfreizügigkeit hervor. Andere Vertragsinhalte sind deutlich unbekannter. So wird für Waadtländer Weine die Verwendung der Bezeichnung «Champagne» untersagt - Flaschen dürfen also nicht als Wein aus Champagne verkauft werden. Die französischen Champagner-Produzenten hatten erfolgreich dafür lobbyiert. Die Schweiz erhielt im Gegenzug für ihr Zugeständnis von der EU einen erleichterten Zugang zum europäischen Luftraum für die Swissair.
«Wir wurden für das Business der Swissair geopfert», sagt Albert Banderet (74) ein Vierteljahrhundert später in seinem Haus in Champagne. Um süffisant anzufügen: «Swissair ging trotzdem pleite. Wir dagegen produzieren immer noch Wein.» Banderet besass früher selbst Reben und war Gemeindepräsident von Champagne, als die Bilateralen I beschlossen wurden. Seither orchestrierte er den Widerstand der «Champagnoux», wie die Bewohnenden des Ortes heissen.
Zu Beginn dominierten wirtschaftliche Ängste: Die Weinbauern befürchteten Einbussen von jährlich 1.2 Millionen Franken. Mit der Zeit habe sich dies relativiert und es sei mehr um die Frage des Prinzips gegangen, sagt Banderet. «Es ist eine Ungerechtigkeit, dass Champagne seine Weine als einzige Schweizer Weinbaugemeinde nicht unter seinem Namen verkaufen darf. Wir haben uns ja nicht Champagne genannt, weil sich die französischen Schaumweine gut verkaufen!» Tatsächlich wird der lateinische Ortsname Campania und die Existenz von Reben im Waadtländer Dorf schon in einem Schriftstück aus dem Jahr 885 erwähnt.
Die Winzer der Gemeinde liessen nichts unversucht: Sie legten 2002 in Luxemburg Einspruch gegen die Bilateralen ein - ohne Erfolg. Sie weibelten in Bundesbern. Und sie reisten 2015 zur EU-Kommission in Brüssel, die nicht helfen konnte, weil die Gemeinde Champagne kein geschütztes Label sei. Dies wollte die Waadtländer Regierung 2021 ändern: Sie trug die kontrollierte Ursprungsbezeichnung (AOC) «Commune de Champagne» im kantonalen Weinreglement ein. Dagegen wehrten sich die französischen Schaumwein-Produzenten. Das Waadtländer Verfassungsgericht gab ihnen mit Verweis auf die bilateralen Verträge Recht. Vor dem Bundesgericht blitzten Kanton, Gemeinde und Weinbauern mit ihren Rekursen ab.
Die von Albert Banderet präsidierte Winzer-Vereinigung entschied sich im Februar 2023, den Fall nicht an den europäischen Gerichtshof für Menschenrechte weiterzuziehen - hatte die Justiz-Saga doch zuvor schon 110'000 Franken gekostet.
Besonders die jüngere Generation will den Blick nach vorne richten. «Man muss seine Energie dort einsetzen, wo es am meisten Sinn ergibt», sagt Winzerin Marie-Florence Perdrix (54) aus dem Nachbardorf Giez, die in Champagne Reben besitzt. Für sie liege die Priorität darin, die Weine der gesamten Region Bonvillars zu verkaufen. Dies gelinge auch ohne das Label «Champagne» auf dem Etikett gut.
Ganz Ruhe eingekehrt ist in der 1000-Seelen-Gemeinde aber noch nicht. Der einzige Weinkeller des Ortes steht im Visier des französischen Schaumwein-Imperiums. Besitzer Eric Schopfer erzählt, dass er dieses Jahr zum zweiten Mal einen Brief von Anwälten erhalten habe, die ihn beschuldigen, die geschützte Bezeichnung «Champagne» unrechtmässig zu verwenden. Der Grund: Sein Weinkeller heisst «Le Champagnoux». Dabei sei das schon seit 19 Jahren der Fall, sagt Schopfer. Er habe die Franzosen in seiner Antwort vor die Wahl gestellt: Entweder er behalte den Namen. Oder er drucke anstelle von «Le Champagnoux» seine Adresse mit der Postleitzahl «1424 Champagne» gross aufs Etikett. Seither habe er nichts mehr gehört.
Ob dies rechtlich erlaubt wäre, darf bezweifelt werden. Schopfer macht sich aber keine Sorgen. «Jeder Richter würde angesichts der inexistenten Konkurrenzsituation zwischen mir und den französischen Champagner-Produzenten lachen.» Der Waadtländer verkauft jährlich 3500 Flaschen Schaumwein und 25'000 Flaschen normalen Wein.
Das seiner Ansicht nach «lächerliche» Verhalten der Franzosen hindert ihn nicht daran, auch mal ein Glas Champagner zu trinken. «Oft stossen wir an Silvester sowohl mit französischem Schaumwein als auch mit meinem eigenen an, um sie zu vergleichen und zu lachen», sagt Schopfer.
Nicht alle im Ort sehen dies so gelassen. «Ich würde nie Champagner zu einer Feier mitbringen», meint ein Senior im Dorfzentrum. Eine Frau sagt, ihre Familie stosse meist mit Weinen aus der Region an, höchstens französischer Clairette komme in Frage. Die Verkäuferin im einzigen Supermarkt des Ortes bestätigt den Eindruck: Champagner laufe alles andere als gut. Die rund 15 verschiedenen Champagner-Flaschen im Sortiment wirken hier in Champagne fehl am Platz. (aargauerzeitung.ch)
Zum Glück wurde dies abgewiesen.