«Die Kapitulation habe ich nicht kommen sehen»: Kamala Harris rechnet mit Demokraten ab
«Es gibt Menschen, die schon als Kind Präsident werden wollten», sagt Kamala Harris im Gespräch mit Moderator Stephen Colbert. «Das war ich nicht», erzählt die ehemalige Vizepräsidentin und lacht herzhaft – wie man es von ihrem Wahlkampf gegen Donald Trump im vergangenen Jahr kennt.
Neun Monate ist es her, seit Harris bei der Präsidentschaftswahl scheiterte. Seitdem, sagt sie, habe sie kaum Nachrichten geschaut. Das Interview in der «Late Show» ist seither ihr erster grosser Auftritt. Diesen nutzt sie, um mit ihren Parteikolleginnen und -kollegen abzurechnen.
Auf den Hinweis des Moderators, sie habe viele Aktionen Trumps schon bei der Debatte gegen ihn prophezeit, sagt Harris: «Du hast recht: Aber diese Kapitulation habe ich nicht kommen sehen.» Gemeint sind ihre ehemaligen Kollegen im Kongress, die ihr zufolge tatenlos zusehen, wie Trump grundlegende Strukturen im Land verändert.
«Wenn ein Präsident versucht, das Bildungsministerium abzuschaffen, ist es die Pflicht des Kongresses, sich dem entgegenzustellen», sagt Harris. Stattdessen seien die Abgeordneten in die Sommerpause gegangen. «Vielleicht war das naiv von mir [...], aber ich glaubte, es gebe genügend Menschen, die sich als Hüter unseres Systems und unserer Demokratie verstehen.» Angesprochen auf ihre Freunde in Washington, sagt sie zu Colbert, viele würden sich einreden, «sie würden den Sturm aussitzen, um ihre Untätigkeit zu rechtfertigen».
Die ehemalige Hoffnungsträgerin der Demokraten hat fürs Erste mit Wahlkämpfen abgeschlossen. Ein paar Tage vor dem Interview verkündete sie, dass sie nicht ins Rennen um das Gouverneursamt in ihrem Heimatstaat Kalifornien antreten wird. Viele handelten die ehemalige Senatorin auch als eine der demokratischen Topkandidatinnen für die kommenden Präsidentschaftswahlen im Jahr 2028. Aktuell habe sie aber kein Interesse daran, «ins System» zurückzukehren. «Das System ist kaputt», so Harris. Aufgeben wolle sie aber nicht. Sie wolle sich ausserhalb eines Wahlkampfs im Land umhören, um herauszufinden, was die Menschen umtreibt.
Zu Gast bei einem Trump-Kritiker
In den letzten Monaten habe sie viele Kochsendungen geschaut, erzählt Harris dem Moderator. Die Zeit nutzte sie aber auch, um ein Buch zu schreiben. Dieses bewarb sie während des Interviews mit Stephen Colbert bei jeder Gelegenheit. «Das beschreibe ich in meinem Buch», sagt die einstige Generalstaatsanwältin aus Kalifornien nach fast jeder Frage. «107 Days» – so heisst das Buch – sei ein Blick hinter die Kulissen des kürzesten Präsidentschaftswahlkampfs in der Geschichte der USA.
Ihr achter Auftritt in Colberts Sendung kommt kurz nachdem der US-Sender CBS die Absetzung dieser verkündet hat – laut eigenen Angaben eine «rein finanzielle Entscheidung». Trump hatte dem CBS-Magazin «60 Minutes» im vergangenen Jahr vorgeworfen, ein Interview mit seiner Rivalin Kamala Harris so geschnitten zu haben, dass eine schwache Antwort kaschiert werde. «60 Minutes» bestritt dies und veröffentlichte ein Transkript.
Paramount, der Mutterkonzern von CBS, willigte in einen Vergleich über 16 Millionen Dollar ein. Paramount ist derzeit auf die Zustimmung der US-Regierung für einen länger verhandelten Eigentümerwechsel angewiesen. Colbert kommentierte den Vergleich in seiner Sendung als «eine grosse fette Schmiergeldzahlung». Im Mai 2026 wird «The Late Show with Stephen Colbert» zum letzten Mal ausgestrahlt. (aargauerzeitung.ch)