Schweiz
International

EDA unter Cassis im Kreuzfeuer: Diplomaten erheben schwere Vorwürfe

Machtspiele im EDA? Diplomaten sprechen von «Stalinismus» im Aussendepartement von Cassis

Unter Generalsekretär und Ex-Geheimdienstchef Markus Seiler sei ein Willkür-Regime installiert worden, sagen unzufriedene Insider.
05.01.2021, 05:16
Henry Habegger / ch media
Mehr «Schweiz»
Staatssekretaer Roberto Balzaretti, links, spricht an der Seite von Bundesrat Ignazio Cassis waehrend einer Medienkonferenz, am Freitag, 7. Dezember 2018 in Bern. Der Bundesrat informierte ueber das R ...
Fallen gelassen: Staatssekretär Roberto Balzaretti (links) mit Ignazio Cassis.Bild: KEYSTONE

Alexandre Fasel, derzeit Botschafter der Schweiz in London, ist eine Ikone. «Unser bester Diplomat», sagt ein Kollege über den Freiburger. «Er ist unumstritten, brillant, auch als Vorgesetzter sehr geschätzt».

Als es in der Bundesratssitzung kürzlich Fragen gab, warum der Top-Diplomat nicht zur EU nach Brüssel versetzt werde, sondern in die Provinz nach Kairo, sagte Aussenminister Ignazio Cassis (FDP) laut Insidern: Fasel wolle gar nicht nach Brüssel, er wolle nach Kairo.

Fasel selbst habe allerdings erst im Nachhinein erfahren, dass er nach Kairo wolle.

Derzeit werden wie alle paar Jahre die Botschafterposten neu besetzt. Eine Reihe von herausragenden Schweizer Diplomaten werde dabei von der Berner Zentrale «weggemobbt», wie sich einer ausdrückt.

«System der Willkür» wurde installiert

Was Fasel widerfuhr, ist ein Muster, das man im EDA unter Cassis und seinem Generalsekretär Markus Seiler beobachtet. «Es werden Gerüchte über Leute gestreut, Halbwahrheiten, Andeutungen, Vermutungen, sehr viele persönliche Angriffe», sagt ein Diplomat.

Als Treiber dieses «Machtspiels» wird Markus Seiler gesehen, der ehemalige Chef des Nachrichtendienstes des Bundes (NDB), dem von Geschäftsprüfern des Parlaments wiederholt Fehlverhalten und Führungsversäumnisse vorgeworfen wurden, zuletzt in der Affäre um die Crypto AG, zuvor in der Affäre um den Spion Daniel Moser. Im EDA präge Seiler jetzt die Entscheide, auch die Personalentscheide, sagen seine Kritiker.

Gesteuert werde über Personalbeurteilungen. «Man hat ein System entwickelt, mit dem man angeblich die Fähigsten findet, das aber in Tat und Wahrheit Willkür etabliert». Beurteilungen dienten dazu, starke Persönlichkeiten auszuschalten. Diese seien eine Gefahr für Seiler und Cassis, die wenig Kompetenz mitbrächten. Also müsse weg, wer stark und unkonventionell sei.

Markus Seiler, Direktor NDB, Nachristendienst des Bundes, spricht ueber "Sicherheit Schweiz", den Jahresbericht des Nachristendienstes des Bundes, am Dienstag 2. Mai 2017 in Bern.(KEYSTONE/M ...
Stalinistisches System installiert? Markus Seiler, ehemaliger Geheimdienstchef, heute Generalsekretär von Bundesrat Cassis.Bild: KEYSTONE

«Befördert werden Arschkriecher», sagt einer, er spricht gar von «Stalinismus». Am Werk sei «das Netzwerk», das die Posten unter sich verteile. Cassis selbst wird von diesen Stimmen dabei als schwach beschrieben. «Faktisch ist Seiler der Chef.» Gespräche mit Diplomaten zeigen grosse Verbitterung. Und Sorge um die Aussenpolitik. Reihenweise sei brillantes Personal in den letzten Jahren abgeschossen oder vertrieben worden.

«Befördert werden Arschkriecher.»

In der neuen Versetzungsrunde trifft es etwa Yves Rossier, ehemals Staatssekretär, heute Botschafter in Moskau. Ihm wurde, wie schon der «Tages-Anzeiger» schrieb, der Posten in Riga angeboten. «Das ist brutal», sagt ein Diplomat. «Ein ehemaliger Staatssekretär wird in eine Botschaft abgeschoben, die man schliessen könnte.»

Wenn es den loyalen Balzaretti trifft, kann es jeden treffen

Oder Heidi Grau, herausragende Diplomatin, derzeit Sondergesandte der OSZE für die Ukraine, wurde der Botschafterposten in Haiti angeboten. Haiti, ein Abstellgleis, zudem gefährlich, gerade für eine Frau.

In die Knochen fuhr vielen der Fall von Roberto Balzaretti, Staatssekretär, der das EU-Abkommen ausgehandelt hatte. Er war ein loyaler Vertrauter von Cassis, wurde fallengelassen und nach Paris abgeschoben. Das Signal: Es kann jeden treffen.

Viele weitere Karrierediplomaten, unter ihnen viele Frauen, sind zuletzt in internationale Organisationen abgewandert. Das Interesse im EDA an ihrer Rückkehr tendiert gegen null, wie etwa der Fall Grau zeigt.

Viele wollen derzeit gar nicht zurück. «Dieser Geist im EDA - mich schaudert es», sagt einer. Viele in den sozialdemokratisch, aber oft auch freisinnig geprägten Diplomatenkreisen hoffen, dass Innenminister Alain Berset doch noch Aussenminister wird. Weil man annimmt, dass er sich für die traditionelle Schweizer Aussenpolitik und Diplomatie einsetzen würde.

«Dieser Geist im EDA – mich schaudert es.»

Bezeichnend ist auch der Fall von Mirko Manzoni, der als Botschafter in Mosambik einen historischen Friedensvertrag zwischen Regierung und Rebellen vermittelte. Nur in Bern wurde das nicht honoriert. Manzoni ist jetzt persönlicher Gesandter des Uno-Generalsekretärs - ein Posten, den er ohne Support aus Bern erhielt.

Eine Art Omertà im Aussendepartement

«Im EDA herrscht eine Art Omertà», sagt einer. Dabei sei das EDA immer ein Departement gewesen, in dem viel gelästert werde, das gehöre zur inneren Logik der Diplomatie, weil es viele Wechsel gebe, Versetzungen und Rivalitäten zwischen den Alphatieren. «Jetzt wird praktisch nicht mehr gelästert, es ist sehr wenig Platz geblieben für jegliche Kritik».

Laut EDA läuft indes alles sauber ab. Die Posten würden aufgrund der «Übereinstimmung von Eignung, Kenntnissen und Erfahrungen einer Person mit den auf Grund des Anforderungsprofils des neuen Postens verlangten Kompetenzen» besetzt. Auch die familiäre Situation der Anwärter sowie, wenn möglich, deren Präferenzen würden berücksichtigt. «Ausschlaggebend sind letztlich die dienstlichen Bedürfnisse, damit die offenen Missionschefstellen mit dafür möglichst optimal qualifizierten Diplomatinnen und Diplomaten besetzt werden können», so das EDA. (aargauerzeitung.ch)

DANKE FÜR DIE ♥
Würdest du gerne watson und unseren Journalismus unterstützen? Mehr erfahren
(Du wirst umgeleitet, um die Zahlung abzuschliessen.)
5 CHF
15 CHF
25 CHF
Anderer
Oder unterstütze uns per Banküberweisung.
Reaktionen der Deutschschweizer Presse auf die Cassis-Wahl
1 / 8
Reaktionen der Deutschschweizer Presse auf die Cassis-Wahl
Für die «Neue Zürcher Zeitung» ist Cassis eine kluge Wahl. Sie zeige, dass die Mehrheit des Parlaments die Verfassung ernst nimmt.
quelle: screenshot nzz.ch / screenshot nzz.ch
Auf Facebook teilenAuf X teilen
Il nuovo consigliere federale si chiama Ignazio Cassis!
Video: srf
Das könnte dich auch noch interessieren:
Hast du technische Probleme?
Wir sind nur eine E-Mail entfernt. Schreib uns dein Problem einfach auf support@watson.ch und wir melden uns schnellstmöglich bei dir.
84 Kommentare
Weil wir die Kommentar-Debatten weiterhin persönlich moderieren möchten, sehen wir uns gezwungen, die Kommentarfunktion 24 Stunden nach Publikation einer Story zu schliessen. Vielen Dank für dein Verständnis!
Die beliebtesten Kommentare
avatar
Berner_in
05.01.2021 05:51registriert September 2018
Irgendwie gelingt es mir nicht, mich daran zu erinnern, dass je irgendwelche positiven Persönlichkeiten aus der Geheimdienstecke gekommen wären... Vielleicht kann mir jemand helfen?
47520
Melden
Zum Kommentar
avatar
Foxtrott
05.01.2021 07:05registriert Oktober 2019
Es gibt Stimmen, die stellen Seiler einem Donald Trump gleich. Er vereine Unkompetenz, Narzismus und Bösartigkeit in einer Person. Fehler machen nur die andern. Seine Tage sind gezählt, sobald Cassis nicht mehr EDA Chef ist. Dann wird auch er in der Versenkung verschwinden
3587
Melden
Zum Kommentar
avatar
Donald
05.01.2021 05:46registriert Januar 2014
Cassis wer?
33817
Melden
Zum Kommentar
84
Willkommen in Trumps Welt
Der Sieg des Bald-Wieder-Präsidenten ist ein globaler Stimmungs-Schock.

In seinem Buch «Die Welt von gestern» beschreibt Stefan Zweig, wie sich sein Umfeld gegen Ende des 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts verändert hat. Die puritanische Moral der Viktorianer zerbröckelte allmählich. Ein neues Lebensgefühl begann sich in Wien – wo Zweig aufwuchs – auszubreiten, zumindest in den Kreisen, in denen der Schriftsteller verkehrte. Europa öffnet sich und man konnte ohne Pass in jedes beliebige Land reisen. Langsam erreichten die Früchte der industriellen Revolution auch den Mittelstand. Kurz: Das Leben in der Belle Epoque war gut.

Zur Story