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Interview

Rotes Kreuz: Die abtretende Präsidentin Schmid-Federer im Interview

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«Inakzeptabel und rücksichtslos»: SRK-Präsidentin Schmid-Federer packt nach Rücktritt aus

Unter ihr wurde der Direktor Markus Mader abgesetzt, jetzt geht sie selbst: Barbara Schmid-Federer tritt per sofort als Präsidentin des Schweizerischen Roten Kreuzes SRK zurück: «Aus gesundheitlichen Gründen und im Sinne der Institution.» Im Interview spart die 57-Jährige aber nicht mit Kritik an der Gegenseite.
02.06.2023, 19:26
Henry Habegger / ch media
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Im Dezember beschloss der Rotkreuzrat, also der «Verwaltungsrat» des Roten Kreuzes, unter Ihrer Leitung mit 6 zu 4 Stimmen, sich von Direktor Markus Mader zu trennen. Sie gerieten in einen medialen Sturm der Entrüstung, befeuert von aktiven und früheren Rotkreuz-Grössen. Hat Sie diese Heftigkeit überrascht?
Barbara Schmid-Federer: Es hat mich vor allem enttäuscht. Der Rotkreuzrat hat einen seit Jahren im Raum stehenden und breit abgestützten Personalentscheid im Sinne der Organisation getroffen und damit seine Verantwortung wahrgenommen. Meinungsdifferenzen sind dabei völlig normal, sollten aber nicht öffentlichkeitswirksam und zum Schaden des SRK ausgetragen werden. Die destruktive Energie, die dabei freigesetzt wurde, ist inakzeptabel und rücksichtslos. Fast wöchentlich fanden interne Dokumente den Weg in die Medien, und es wurde unaufhörlich versucht, den Anschein einer Institution in der Krise zu erwecken.

Barbara Schmid-Federer, Praesidentin des Schweizerischen Roten Kreuzes (SRK), spricht waehrend einer Medienkonferenz nach eine ausserordentliche Rotkreuzversammlung, am Samstag, 25. Maerz 2023 in Bern ...
Barbara Schmid-FedererBild: keystone

Warum haben Sie sich seit Dezember nie öffentlich zur Kritik geäussert?
Personalrechtliche Fragen gehören erstens schlicht nicht in die Öffentlichkeit. Zweitens war die zurückhaltende Kommunikation des Rotkreuzrates eine bewusste Entscheidung, um einen öffentlichen Schlagabtausch zu verhindern. Dies führte allerdings zu einer einseitigen Berichterstattung. Rückblickend hätten wir uns dafür einsetzen müssen, dass die schweigende Mehrheit im Gesamtverein öffentlich klarer Stellung bezieht.

Wie wollen Sie wissen, was die Mehrheit denkt
An der ausserordentlichen Generalversammlung von März 2023 wurden die Anträge des Rotkreuzrats jeweils mit sehr grosser Mehrheit angenommen, was ein Ausdruck des Vertrauens in unsere Arbeit war und ist. Und auch dank meiner Nähe zur Basis und dem jahrelangen intensiven Austausch mit den Organisationen kenne ich die Befindlichkeiten und Meinungen innerhalb des SRK sehr gut.

Im Rückblick: War der Entscheid, sich von Direktor Mader nach 15 Jahren zu trennen, falsch?
Es ist die Pflicht des Rotkreuzrates, die von der Rotkreuzversammlung vorgegebene Strategie umzusetzen und die dafür geeigneten Führungspersonen einzusetzen. Eine Mehrheit des Rotkreuzrats sah in Markus Mader nicht mehr die richtige Person für die anstehenden Veränderungen und die Zukunft. Zudem fehlte die Vertrauensbasis. In dieser Situation liegt es in der Verantwortung des Rotkreuzrates, die entsprechenden Konsequenzen zu ziehen. Wir stehen unverändert hinter diesem Entscheid und sind überzeugt, dass er im Gesamtinteresse des SRK unumgänglich war.

In einem Untersuchungsbericht, den die Geschäftsprüfungskommission des SRK bei einem Berner Beratungsbüro bestellte, steht unter anderem, Sie hätten «wenig Eignung und Willen zur Führung» gezeigt.
Ich bin seit 20 Jahren in Führungspositionen in Nichtregierungsorganisationen tätig und habe zuletzt nach 10 Jahren ein kerngesundes SRK Zürich hinterlassen. Meine Führungskompetenz stand nie infrage, für viele im SRK gelte ich als Integrationsfigur. Beim SRK Schweiz konnte ich erfolgreich den Strategieprozess «Fil Rouge» aufgleisen, grundlegende Fragen der Governance und Zusammenarbeit anpacken und kompetente Leute aufstellen. Das SRK funktioniert tadellos, sowohl kantonal, national wie auch international.

Würden Sie auch ohne diesen Bericht zurücktreten?
Der Bericht hat gezielt eine Dynamik entfacht, die dem Ruf des SRK langfristig zu schaden droht. Ich werde nicht zulassen, dass die Rotkreuzbewegung deswegen in ihren Tätigkeiten eingeschränkt wird. Auf diese verlassen sich unzählige Menschen, die wir nicht im Stich lassen dürfen. Letztendlich wurde die Situation auch für mich persönlich nicht mehr tragbar. Aber die im Bericht erhobenen Vorwürfe gegen mich sind völlig unzureichend begründet und deshalb nicht ausschlaggebend für mich.​

Ein Kritikpunkt ist: Sie hätten keine Massnahmen besprochen oder getroffen, um die Situation um Mader zu verbessern.
Ganz im Gegenteil: Nach der Publikation eines unabhängigen Analyseberichts 2021, der Markus Mader scharf kritisierte und grossen Unmut im SRK zum Vorschein brachte, wurden innerhalb der Gesamtorganisation Massnahmen im grossen Stil aufgegleist. Die Situation hat sich jedoch nicht verbessert. Der Rotkreuzrat sah sich mit anhaltenden negativen Rückmeldungen aus der Organisation konfrontiert. Wenn es nach jahrelangen Bemühungen nicht passt, müssen auch unangenehme Entscheidungen getroffen werden.

Der Rotkreuzrat umgekehrt kritisiert, der Untersuchungsbericht weise «sachliche Fehler und inhaltliche Fehleinschätzungen» auf. War der Bericht ein Gefälligkeitsgutachten für das Lager von Mader?
Der Gutachterauftrag war einzig auf die Trennung von Markus Mader ausgerichtet. Die ganze Vorgeschichte, wie auch die unhaltbare Reaktion auf den Entscheid, wurden nur am Rand behandelt. Trotzdem enthalten die Schlussfolgerungen sehr grundlegende Urteile, die Druck auf den Rotkreuzrat und mich als Person ausüben sollten. Sachliche Fehler im Bericht hat der Rotkreuzrat in seiner Stellungnahme hervorgehoben.

Was meinen Sie konkret?
Zum Beispiel die selektive Verwendung von eingeforderten Informationen, die versäumte Konsultierung wichtiger Personen sowie nachweislich falsche arbeitsrechtliche Vorwürfe. Tatsache ist, dass der Rotkreuzrat statutarisch, vereinsrechtlich und arbeitsrechtlich korrekt vorgegangen ist. Dies festzustellen wäre der einzige Auftrag des Berichts gewesen.

Der Konflikt um Mader schwelt seit Jahren. Laut Rotkreuzrat wurde der Entscheid gegen ihn auch gefällt, weil grosse Mängel in der Corporate Governance festgestellt wurden. Können Sie das etwas präzisieren?
Richtig, die Corporate-Governance-Probleme bestanden schon lange bevor ich Präsidentin wurde. Sie wurden auch von verschiedenen unabhängigen Untersuchungen bestätigt. Einer der wichtigsten aufgeführten Mängel war das zunehmende Gewicht der Zentrale. Die Rotkreuzversammlung hat in diesem Zusammenhang 2021 einen Kurswechsel beschlossen und den Rotkreuzrat damit beauftragt. Die Umsetzung einer solchen Veränderung in die Hände eines Direktors zu legen, der bis dato vehement die Gegenrichtung vertreten hat, erfordert ein besonders hohes Mass an Vertrauen. Das hat Markus Mader leider nicht ausreichend herstellen können.

Markus Mader, Direktor Schweizerisches Rotes Kreuz (SRK), verkuendet die Verstaerkung des Engagements fuer Menschen auf der Flucht an einer Medienkonferenz am Freitag, 11. September 2015 in Bern. (KEY ...
Markus MaderBild: KEYSTONE

Im Untersuchungsbericht selbst steht auch, dass die Kantonalverbände ihre Eigenständigkeit von Mader seit langem nicht respektiert sahen. Dass sie die Art und Weise, wie er «seine Funktion inhaltlich und persönlich wahrnahm, als nicht angebracht» empfanden. Sie sind ja erst seit 2022 Präsidentin. Warum eskalierte der Konflikt um Mader erst jetzt?
Die Probleme zwischen den Kantonalverbänden, einem Teil der Rettungsorganisationen und dem ehemaligen Direktor waren schon lange ein Thema. Der Konflikt zwischen einem föderalen und einem zentralen Führungsverständnis stand nicht zuletzt am Ursprung des Abgangs meines Vorgängers Thomas Heiniger.

Der als Supporter von Mader galt und wie dieser auf Zentralismus setzte, was die 24 Kantonalverbände aber nicht wollten.
Im Unterschied zu damals wurde nun aber die Konfrontation in der Öffentlichkeit gesucht, was den Konflikt letztendlich eskalieren liess. Wichtig aber ist: Der seit Jahren schwelende strukturelle Konflikt wird nun mit dem anstehenden Reorganisationsprojekt «Fil Rouge» endlich grundlegend angegangen.

Was verbessert Fil Rouge konkret?
Das SRK wird zukünftig als «Verbundsystem» funktionieren und nicht mehr als zentral geführte Organisation. Die Vereinshierarchie bleibt erhalten, aber die operative Zusammenarbeit wird kompetenzorientierter nach unten zu den Mitarbeitenden delegiert. Das SRK wird damit schlanker und agiler funktionieren. Übergeordnete Entscheidungen werden gemeinsam getroffen, alle Organisationseinheiten handeln auf Augenhöhe, dem föderalistischen Charakter und der Vielseitigkeit der Organisation wird Rechnung getragen. Übrigens, diese moderne Führungskultur haben bereits verschiedene NGOs und Firmen mit Erfolg umgesetzt.

Brachen die Spendeneingänge nach den Schlagzeilen ein?
Die anhaltende Loyalität der Spenderinnen und Spender verhinderte bisher glücklicherweise gravierende Folgen, wofür ich mich herzlich bedanken möchte. Aber die Sorge, dass die Spenden einbrechen könnten, ist mit ein Grund für meinen Rücktritt. Dabei will ich betonen, dass das SRK seine Spendengelder unverändert nach höchsten Standards effektiv für sein weltweit anerkanntes Engagement einsetzt.

Der Direktor hatte mit der Geschäftsstelle in Bern einen grossen professionellen Apparat im Rücken. Der Rotkreuzrat ist das «oberste Führungsorgan» des SRK. Welche Mittel haben Sie: Haben Sie überhaupt einen Stab, ein Sekretariat?
Es besteht hier in der Tat ein gewisses Ungleichgewicht. Der Rotkreuzrat hat keinen unabhängigen Stab und auch kein von der Direktion getrenntes Sekretariat. Ich selbst musste in den vergangenen Monaten extrem viel Arbeit selbst übernehmen, die eigentlich delegiert werden sollte.

Sie treten jetzt zurück, räumen einige Fehler ein, die Supporter von Mader haben ihr Ziel erreicht, es gibt eine Art Opfersymmetrie. Ist der Weg für einen Neuanfang frei?
Aus meiner Sicht zählt einzig und allein das Interesse des SRK. In diesem Sinne nehme ich meine Verantwortung wahr und gebe den Weg für einen Neuanfang frei. Ich bin überzeugt, dass dieser erfolgreich gestaltet wird: Für die Lösung langfristiger Herausforderungen konnten wir bereits die richtigen Prozesse aufgleisen. Zudem gibt es viele motivierte Personen, die mich rasch ersetzen und das SRK höchst kompetent weiterführen können. Dafür haben wir bereits mit der erfolgreichen Suche nach fähigen Kandidatinnen und Kandidaten für die kommenden Neuwahlen am 24. Juni 2023 gesorgt.​

Mit welchen Gefühlen treten Sie nun ab?
Ich bin im vergangenen Jahr voller Freude angetreten, um das SRK in eine erfolgreiche Zukunft zu führen. Dafür wurde ich von den Delegierten gewählt, die grosses Vertrauen in mich gesetzt haben. Leider kann ich meine Aufgabe jetzt nicht zu Ende führen. Das wird viele im SRK enttäuschen, aber sie werden es verstehen. Ich bin überzeugter denn je von der Wichtigkeit des SRK und freue mich nun auf neue Herausforderungen.

Wie geht es jetzt weiter mit der Direktorenfrage?
Die Verhandlungen mit Markus Mader laufen. Ich bin zuversichtlich, dass der neue Rotkreuzrat, der am 24. Juni gewählt wird, in Bälde eine gute Lösung finden und eine kompetente Nachfolge ernennen wird. (aargauerzeitung.ch)

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28 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Motiv
02.06.2023 20:19registriert April 2019
Ich habe meine Zweifel, ob dieses Interview ein Zeichen seriöser journalister Arbeit ist. Hier darf die ehemalige Präsidentin über den ehemaligen Geschäftsführer herziehen, ohne dass dieser Gelegenheit hat, seine Sicht der Dinge darzustellen. Zum Streiten braucht es immer mindestens zwei und es wäre wichtig, auch die andere Seite zu erfahren.
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Marmite
02.06.2023 22:11registriert Januar 2023
Ah, wie vermutet doch nicht aus gesundheitlichen Gründen.
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Internet Rambo
03.06.2023 00:05registriert Juni 2023
Dieser Mader war mir von Anfang an suspekt. Spätestens als er noch eine Million Abgangsentschädigung forderte! Was denkt er, dass er jetzt seinen Job wieder erhält, da er sein Ziel erreicht hat? Wenn der zurückkehrt spende ich nichts mehr!
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