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Du willst nur das Beste? Voilà:
Ihr
mürrischer Auftritt in der «Elefantenrunde» am 18. Oktober
sorgte für Aufsehen. Jetzt können Sie es ja zugeben: Sie wussten,
dass Eveline Widmer-Schlumpf aufhören wird.
Martin
Landolt: Nein, das wurde völlig falsch interpretiert. Ich war
verärgert, weil beim Schweizer Fernsehen organisatorisch überhaupt
nichts geklappt hat. Und weil ich ausschliesslich auf die Kandidatur
Widmer-Schlumpf reduziert wurde. Ich durfte nicht einmal die
Niederlage meiner eigenen Partei kommentieren. Alle anderen durften
über ihr Wahlergebnis reden, bei mir wechselte man das Thema. Ich
war stinksauer und konnte das offenkundig nicht verbergen.
Sie
haben bereits im August in einem Interview angetönt, dass eine
erneute Kandidatur Ihrer Bundesrätin bei einem Rechtsrutsch
überflüssig ist.
Sie hätte auch mit der neuen Konstellation
in der Bundesversammlung sehr gute Chancen gehabt. Es ist eine
geheime Wahl, niemand will schuld sein an der Abwahl einer beliebten
Bundesrätin. Ich bin überzeugt, dass ihr Entscheid zum Rücktritt
mit dem Resultat der Wahlen oder einer angeblich wegbrechenden
Unterstützung der CVP nichts zu tun hatte. Eveline Widmer-Schlumpf
knickt nicht einfach ein.
Ein
Entscheid für eine erneute Kandidatur hätte eine Dynamik zu ihren
Gunsten ausgelöst?
Ich
bin nicht hundertprozentig davon überzeugt, denke aber, dass dies
ein sehr realistisches Unterfangen gewesen wäre. Aber dann wären
wir, also Frau Widmer-Schlumpf und die BDP, mehr denn je darauf
reduziert worden, dass wir uns an das Amt klammern und machtbesessen
sind. Weder sie noch die Partei hätten dabei etwas gewinnen können.
Sie
haben am Tag nach den Wahlen von ihr erfahren, dass sie abtreten
wird. Wie hat es sich angefühlt, zehn Tage lang dicht halten zu
müssen?
Ich
musste mich extrem konzentrieren und sorgfältig äussern. Unangenehm
war, dass ich mich auch intern zurückhalten und taktieren musste.
Journalisten anlügen ist nicht so schlimm, aber gegenüber den
eigenen Leuten macht man das nicht so gerne (lacht).
Und
wie fühlen Sie sich ein paar Tage nach der Rücktrittserklärung der
Bundesrätin?
Ich
bin überzeugt, dass ihr Entscheid richtig ist, und froh, dass wir
vorwärts blicken können. Eine gewisse Erleichterung ist vorhanden,
aber wir sind auch voller Lust und Tatendrang, um zu beweisen, dass
nicht stimmt, was jetzt über uns geschrieben wird.
Allenthalben
wird für die BDP bereits das Totenglöcklein geläutet ...
... es
läutet schon seit sieben Jahren. Wir sind natürlich nicht naiv und
glauben, uns werde der rote Teppich ausgerollt. Ich habe immer
gesagt, dass dieser Zeitpunkt irgendwann kommt und wir uns von
Widmer-Schlumpf emanzipieren müssen. Wir haben damit auch schon
begonnen, wir haben Themen und Positionen besetzt, konnten das aber
medial nicht richtig transportieren.
Ihre
Partei wurde stark mit Widmer-Schlumpf identifiziert und als «Wahlverein» betrachtet.
Es
gibt jetzt zwei Möglichkeiten: Man spricht gar nicht mehr über uns,
oder man spricht über unsere Themen. Es liegt an uns, diese Themen
zu liefern.
Wie
wollen Sie die öffentliche Wahrnehmung der BDP verbessern?
Wir
haben Anfang September an einer Medienkonferenz ein nationales,
flächendeckendes Zeitvorsorgesystem vorgestellt. Junge und
Pensionierte können sich bei der Betreuung älterer Menschen
engagieren. Es handelt sich um ein innovatives, mehrheitsfähiges und
weitsichtiges Projekt für die nächste Legislatur. Gekommen sind
genau fünf Journalisten. Wenn eine andere Partei das Projekt
vorgestellt hätte, wäre es zu einem Grossaufmarsch gekommen.
Woran
liegt das?
Irgendwie
hat es bislang nicht ins Bild der Medienschaffenden gepasst, dass die
BDP etwas liefern kann, was Hand und Fuss hat. Das Klischee vom
Wahlverein war in Stein gemeisselt. In Zukunft wird man bei solchen
Themen nicht mehr an uns vorbei kommen.
Sie
wollen mit innovativen Themen punkten?
Wir
werden mengenmässig nicht mehr die gleiche Medienpräsenz haben,
weil jene von Frau Widmer-Schlumpf wegfällt. Meine sinkt
möglicherweise auch, weil ich nicht mehr Präsident einer
Bundesratspartei bin. Unsere Präsenz wird eine andere Qualität
haben müssen und thematisch fokussiert sein.
In
einem Gespräch im September haben Sie gesagt, Sie wollten sich dem
Zwang zur Profilierung verweigern. Ist das in der jetzigen Situation
noch realistisch?
Man muss unterscheiden zwischen der
Schärfung des Profils und einer Profilierungsneurose. Für uns steht
nicht im Vordergrund, wie wir uns profilieren können, sondern welche
Lösungsbeiträge wir liefern können, um unser Profil zu schärfen.
Natürlich kann man sich am Sorgenbarometer orientieren und damit
viel Lärm machen. Das ist nicht unsere Art von Politik. Wir
kritisieren das bei den anderen und werden sie sicher nicht kopieren,
auch wenn es dort zum Erfolg geführt hat.
Der
Vorwurf des fehlenden Profils bleibt aber an der BDP kleben ...
... das
ist so. Wir können das nicht innerhalb von zwei Wochen ändern. Aber
wir haben jetzt vier Jahre Zeit dafür, eine volle Legislaturperiode.
Auch aus diesem Grund ist der Zeitpunkt von Eveline Widmer-Schlumpfs
Rücktritt richtig. Wir haben den Raum, um uns zu entfalten.
Bereits gibt es Kritik an Ihrer Person. Sie hätten keine Strategie.
Ich
habe das gelesen, habe es intern in den Gremien aber noch nie gehört.
Ich bin stets bereit und offen, über mögliche Strategieanpassungen
zu reden, aber dann hätte ich gerne Vorschläge und keine versteckte
und anonyme Kritik.
Der
Eindruck besteht trotzdem, dass man in den letzten vier Jahren kaum
etwas von der BDP vernommen hat.
Wir
haben bei vier, fünf zentralen Themen Lösungen vorgestellt, die
teilweise einzigartig sind. Im April 2014 haben wir dem Bundesrat den
Vorschlag gemacht, die Zuwanderungsinitiative mit relativen
Kontingenten umzusetzen. Heute bezeichnet man sie als Ventilklausel.
Der frühere Botschafter Michael Ambühl hat mir im persönlichen
Gespräch gesagt, dass sein ETH-Modell eine Weiterentwicklung unseres
Vorschlags ist. Die Initialidee stammt also von der BDP. Aber das passt einfach
nicht in das Schema des Wiederwahlvereins. Ausserdem ist unsere
politische Kultur inzwischen an dem Punkt angelangt, dass keine
Partei die Idee einer anderen offiziell für gut befindet.
Viel
ist derzeit die Rede von einer verstärkten Zusammenarbeit der
Mitte-Parteien. Wie stehen Sie dazu?
Teilweise
haben wir es schon jetzt gemacht. Die Union mit der CVP ist zwar
gescheitert, wir haben aber eine formalisierte Zusammenarbeit, die
wir nicht schlecht umgesetzt haben. Es ist uns aber nicht gelungen,
das genügend zu kommunizieren, auch gegen innen. Hier müssen wir
besser werden.
Derzeit
scheint die CVP eher ihre Ressentiments gegenüber BDP und
Grünliberalen zu pflegen.
Dieses
Gefühl habe ich auch. Ich begreife das stetige Klagelied über die
gescheiterte Union nicht ganz. Es gibt genügend Varianten für eine
verstärkte Zusammenarbeit. Ja, die Union ist an unserer Basis
gescheitert, aber das ist nun einmal so. Ich verstehe auch die
Aussage von CVP-Präsident Christophe Darbellay nicht, seine Partei
sei keine Bittstellerin. Es ist im Interesse aller Mitte-Parteien, dass wir zusammenrücken und die Reihen schliessen.
Da gibt es keine Bittsteller. Ich denke auch an künftige Bundesratsansprüche. Niemand hat daran
mehr Interesse als die CVP.
Gemeinsam
könnte ein solches Bündnis einen Sitz der FDP angreifen.
Es
wäre an der CVP, das zu tun. Ich würde sie deswegen aber nie als
Bittstellerin bezeichnen. Solche Aussagen fördern die Akzeptanz und
Zuversicht an der Basis nicht.
Eine
Fusion mit der CVP ist für Sie also kein Thema?
In
absehbarer Zeit ist das unerwünscht, es würde die Basis mehr
abschrecken als motivieren. Wir müssen Schritt für Schritt
zusammenrücken. Theoretisch könnte das dorthin führen, aber das
wäre ein Generationenprojekt. Es war einer der Fehler bei der
angestrebten Union. Wir hatten nicht die Geduld, das Ende der
laufenden Zusammenarbeit im Frühjahr 2016 abzuwarten und dann wieder
miteinander zu diskutieren. Wir wollten zu viel in zu kurzer Zeit und
haben in unserer Euphorie in den leitenden Gremien unterschätzt,
dass man die Leute dafür gewinnen muss.
Der
grösste Widerstand gegen eine Union mit der CVP soll von der Bündner
Sektion ausgegangen sein.
Es
war ein Mehrheitsentscheid der Kantonalsektionen. Ich weiss nicht,
wie eine ähnliche Abstimmung bei der CVP verlaufen wäre. Sie hat
nur die Kantonalpräsidenten befragt. Aber wie gesagt, es ist müssig,
stets dieses Klagelied anzustimmen. Wir müssen jetzt vorwärts
schauen. Ich schliesse auch eine Annäherung an die FDP nicht aus.
Sie bezeichnet sich als Mitte-rechts-Partei. Sie hat mit der Mitte
thematisch viel mehr Gemeinsamkeiten als mit der SVP.
Tatsache
ist, dass die BDP zu den Wahlverlierern gehört. Es besteht die
Gefahr, dass sie zu einer Regionalpartei herabgestuft wird, die nur
noch in ihren Hochburgen Bern, Glarus und Graubünden eine
nennenswerte Kraft sein wird.
Das
beschäftigt mich sehr. Mit den zwei Sitzverlusten in Bern und Zürich
ist der Worst Case eingetreten. Wir dürfen uns nicht damit trösten,
dass wir nicht so tot sind, wie wir herbei geschrieben wurden.
Tendenziell waren wir in allen Kantonen rückläufig. Wir haben in
vielen Kantonen eine eher dünne Personaldecke. Aber es gibt eine junge, progressive Generation, an der ich viel Freude habe, und wir brauchen mehr davon. Diese Leute müssen wir nun an exponierte Funktionen heranführen. Wir müssen das in den nächsten vier Jahren
hinbekommen.
Das
Verliererimage der BDP könnte die Personalrekrutierung erschweren.
Man
wird sehen, was der Rücktritt von Eveline Widmer-Schlumpf bewirken
wird. Es gibt Leute, die wegen ihr zu uns gekommen sind, aber auch
welche, die wegen ihr nicht gekommen sind. Im Kanton Glarus kam es in
den letzten Tagen zu zwei, drei Spontanbeitritten. Das tönt nach
wenig, aber wir haben das nicht jeden Tag. Auch in anderen Sektionen
kam es zu Beitritten nach dem Motto «Jetzt erst recht». Ich
erhalte Mails von Leuten, die mir Vorschläge für die Zukunft
machen. Es gibt offenbar Menschen, die es gerne sähen, wenn wir
weitermachen.
Aus
der SVP kommen bereits Lockrufe an die Adresse der BDP, etwa von
Nationalrat Ulrich Giezendanner ...
Soll er halt rufen (lacht).
Müssten
Sie nicht genau daran arbeiten und sich wieder konsequenter als
Alternative zur SVP zu positionieren?
Wir
haben uns lange gegen das Image einer anständigen SVP gewehrt. Es
geht nicht nur um die Stilfrage. Wir haben uns auch in gewissen
Positionen auseinandergelebt: Ökologie, Rolle der Frau. Ich sehe uns
eher als progressive bürgerliche Alternative. Das ist kein
Alleinstellungsmerkmal, aber auch die anderen sind keine
monothematischen Parteien, vielleicht mit Ausnahme der SVP.
Wäre
es nicht eine Chance, gegen die Hardliner-Initiativen der SVP
verstärkt Widerstand zu leisten? Man hat das gerade bei den
Mitte-Parteien in der Vergangenheit oft vermisst.
Das
kann sein und wäre Teil einer Politik der bürgerlichen Vernunft.
Die
nächste Chance bietet sich am 28. Februar 2016 bei der Abstimmung
über die Durchsetzungsinitiative.
Wir
werden am Samstag die Parole fassen und uns sicher engagieren. Den
Lead bei solchen Kampagnen übernehmen in der Regel die grossen
Parteien, sie haben den Apparat dafür. Wir haben es auch schon
gemacht. Bei der Abzocker-Initiative waren wir allein. Wir haben zwar
verloren, aber Rückgrat gezeigt. Auch dort wurden wir unter unserem
Wert verkauft.
Das
lag auch an der Initiative, sie war sehr populär.
Niemand
wollte dagegen antreten, alle hatten sich versteckt. Wir waren
bereit, es zu machen, auch im Sinne der Wirtschaft. Viel geblieben
aber ist von diesem ritterlichen Feldzug nicht (lacht). Das ist
manchmal frustrierend.
Die
nächsten vier Jahre sind die Bewährungsprobe für die BDP.
Das
ist so. Mit Blick auf die jüngere Generation hätte ich gerne etwas
mehr Zeit, aber in den nächsten vier Jahren muss uns ziemlich viel
gelingen. Wenn wir 2019 wieder verlieren, gibt es keine Ausreden
mehr. Das wird ein Härtetest in Bezug auf unsere Zukunft.
Sie
könnten enden wie der Landesring der Unabhängigen.
Er
hat sich immerhin während 60 Jahren gehalten (lacht).