Ist das Coronavirus für Kinder doch nicht so ungefährlich, wie bisher angenommen? Dies legen Berichte von Medizinern aus aller Welt nahe. Sie vermuten einen Zusammenhang zwischen Sars-Cov-2 und einem Kawasaki-ähnlichen-Syndrom. Dabei entzünden sich die Blutgefässe, was bei einem schweren Verlauf zu irreversiblen Schädigungen oder gar zum Tod führen kann.
Seit einigen Wochen sind vermehrt Kinder an diesem neuartigen Syndrom erkrankt. Die Infektiologin Nicole Ritz, Leitende Ärztin am Universitäts-Kinderspital beider Basel (UKBB), erklärt die Hintergründe:
Weltweit berichten Kinderärztinnen und -ärzte von Patienten, die an einem Kawasaki- ähnlichen-Syndrom erkrankt sind. Wie ist die Situation in der Schweiz?
Es gibt Kinderspitäler in der Schweiz – so auch unseres – die solche Fälle behandelt haben oder nach wie vor betreuen. Das Syndrom tritt extrem selten auf, bislang sind es in der Schweiz eine Handvoll Fälle. Die Situation ist für uns aber ungewöhnlich: Wir erleben den Anfang einer neuen Krankheit, die wir noch nicht verstehen und einordnen können. Jeden Tag lernen wir durch unsere Patienten Neues dazu.
Was weiss man über das Syndrom?
Das «Multisystem inflammatory syndrome», wie es offiziell heisst, ruft eine sehr schwere Entzündungsreaktion hervor – ähnlich wie bei einer Blutvergiftung oder einem toxischen Schocksyndrom. Die Kinder haben hohes Fieber und einen zu tiefen Blutdruck oder Bauchschmerzen. Einige leiden zudem an Hautausschlägen oder geröteten Augen. Ein typisches Symptom, das direkt auf die neuartige Erkrankung hinweist, gibt es jedoch nicht.
In den USA, Frankreich und England sind Kinder daran gestorben. Wie gut lässt sich das inflammatorische Syndrom behandeln?
Die schwersten Fälle des neuen Syndroms müssen auf der Intensivstation betreut werden. Sie brauchen eine Blutdruck- und teilweise eine Atemunterstützung sowie entzündungshemmende Medikamente. Man versucht dadurch, die lebensgefährliche Situation zu überbrücken. Aktuell gibt es noch keine etablierte Therapie gegen das schwere inflammatorische Syndrom. Deshalb tauschen sich Mediziner fortlaufend national und international aus. Die bisherige Erfahrung zeigt: Wird das Syndrom früh erkannt, lässt es sich relativ gut behandeln. Eine 100-prozentige Sicherheit gibt es aber nie.
Wann sollen Eltern ärztliche Hilfe holen?
Da es sich bisher um eine seltene Erkrankung handelt, besteht grundsätzlich kein Grund für Eltern, sich Sorgen zu machen. Aber wenn das Kind über mehrere Tage hohes Fieber hat oder wenn hohes Fieber rasch zu einem massiv schlechten Allgemeinzustand führt, dann ist es generell ratsam, sich rasch beim Hausarzt zu melden.
Ist das Kawasaki-ähnliche-Syndrom ansteckend?
Das ursprüngliche Kawaski-Syndrom ist seit den 1960er-Jahren bekannt. Es gibt keinen bestimmten Auslöser dafür – weder ein Virus noch ein Bakterium. Wir nehmen an, dass gewisse Infektionen als Trigger wirken. Das allein reicht jedoch nicht, es braucht weitere Faktoren, die das Syndrom begünstigen. Das kann beispielsweise eine genetische Ursache sein. Daher ist das Syndrom als solches von Kind zu Kind nicht ansteckend. Bei dem neuartigen inflammatorischen Syndrom sehen wir einen Zusammenhang mit einer Infektion mit dem neuen Coronavirus. Die Ähnlichkeit und der Zusammenhang mit dem Kawaski-Syndrom werden zurzeit erforscht.
Wie geht es den Kindern, die Sie behandelt haben, heute?
Sie haben sich erholt oder befinden sich auf dem Weg zur Besserung.
Die Swiss Paediatric Surveillance Unit (SPSU) – eine Meldestelle zur Erfassung von seltenen Krankheiten – hat im Mai eine Studie zu Sars-Cov-2 gestartet. Dabei werden die Daten von Kindern erhoben, die am neuen Coronavirus erkrankt sind und ambulant oder stationär betreut werden mussten. 29 Kinderspitäler und -abteilungen beteiligen sich. Das Ziel ist, das Krankheitsspektrum, die Risikofaktoren und die verschiedenen Krankheitsverläufe zu erheben. Auch das Kawasaki-ähnliche Inflammationssyndrom ist Teil der Untersuchung. Diese ist für fünf Jahre angelegt. Nicole Ritz leitet die Studie zusammen mit Petra Zimmermann vom Kantonsspital Fribourg. (aargauerzeitung.ch)
Da hat das Virus einfach keine Chance.
Alles Gute für Betroffenen und Angehörigen.