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Interview

Rückgang der Kriminalität: «Die Jugend ist zufriedener»

Jugendliche werden immer seltener straffällig.
Jugendliche werden immer seltener straffällig.
Bild: KEYSTONE
Interview

Rückgang der Kriminalität: «Die Jugend ist zufriedener, aufgehobener und konsumiert weniger Drogen»

5853 Straftaten weniger als noch 2009: Die Jugendlichen sind laut einer Publikation des Bundesamtes für Statistik ruhiger geworden. Welche Effekte dabei eine Rolle spielen, erklärt Stefan Blülle von der Eidgenössischen Kommission für Kinder- und Jugendfragen (EKKJ).
20.12.2015, 19:2821.12.2015, 06:55
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Eine Publikation des Bundesamtes für Statistik (BfS) zeigt, dass die Jugendkriminalität seit 2009 um 40 Prozent zurückgegangen ist. Jugendberater Stefan Blülle erklärt, woran das liegen könnte:

Die Abnahme der Jugendgewalt.
Die Abnahme der Jugendgewalt.
Bild: bfs

Herr Blülle, das BfS vermeldet, dass die Jugendkriminalität um 40 Prozent zurückgegangen ist, deckt sich das mit Ihren Erfahrungen?
Stefan Blülle: Ja, auf jeden Fall. Die Jugendlichen sind insgesamt ruhiger geworden​. Es gibt trotzdem sehr viele junge Menschen, die unsere Hilfe benötigen, aber Gewalt und Kriminalität von Jugendlichen sind nur ganz selten die Gründe für den Hilfebedarf.

Woran liegt das?
Darüber kann man spekulieren. Zum Beispiel​ könnten die verstärkte Gewaltprävention, die verschiedenen Hilfen für den Weg ins Arbeitsleben und damit verbunden die geringe Jugendarbeitslosigkeit sowie insgesamt die Zufriedenheit der Jugendlichen dazu beigetragen haben. Wir haben in der Schweiz eine sehr niedrige Jugendkriminalität und auch der Konsum von Suchtmitteln ist zurückgegangen. Aus allen diesen Faktoren und noch vielen anderen lässt sich dieser Effekt erklären.

Die Anzahl von weiblichen Tätern verübter Straftaten ist aber verhältnismässig weniger stark zurückgegangen. Warum?
​​Erstens ist die Zahl der Straftaten, die von weiblichen Jugendlichen verübt werden, weitaus kleiner als die von jungen Männern. Es ist schwieriger, diese eh schon kleine Zahl weiter zu reduzieren. Zweitens kann man aber beobachten, dass die jungen Frauen insgesamt selbstsicherer auftreten,als noch vor ein paar Jahren. Da könnte man einen Zusammenhang mit etwas mehr Grenzübertretungen und Selbstüberschätzungen vermuten.

Bild
bild: jfs.bs.ch
Stefan Blülle ist Mitglied der Eidgenössischen Kommission für Kinder- und Jugendfragen EKKJ. Er leitet den Kinder- und Jugenddienst, Erziehungsdepartement Kanton Basel-Stadt.

Viele der jungen Straftäter, etwa 85 Prozent, begehen nur eine oder zwei Straftaten. Kann das auf jugendlichen Übermut geschoben werden?
Die Jugend ist eine Lebensphase, in der Grenzen ausgetestet und eben manchmal auch überschritten werden, und Gesetzesübertretungen sind eben auch eine Form vom Grenzüberschreitung. Dass wir so wenig WiederholungstäterInnen haben, hängt auch mit unserem Jugendstrafrecht zusammen. Dies ist zwar ein Recht, das schon auch «straft», vor allem aber eines, das Jugendlichen hilft, Probleme anders als mit Delinquieren zu meistern.

Interessant ist in der Publikation des BfS auch, dass unter der Woche die meisten Straftaten zwischen 15 und 18 Uhr begangen werden. Haben Sie dafür eine Erklärung?
Das ist wirklich interessant, ich kann darüber nur mutmassen. Zum Beispiel sind die Kinder und Jugendlichen den Tag über in der Schule, dort werden nur sehr wenige Straftaten begangen, weil ihnen einfach die Zeit dafür fehlt. Danach jedoch sind sie frei. Auch, dass viele Läden um diese Uhrzeit geöffnet haben, könnte damit zu tun haben. Immerhin sind ein Teil der Delikte, die von Jugendlichen begangen werden, Diebstähle. 

Ein grosser Teil der Straftaten wird aber weiterhin am Wochenende zwischen 22 und 2 Uhr begangen. Gilt Ihre Erklärung auch dafür?
Wie gesagt, die Jungen sind am Wochenende nicht in der Schule und haben Freizeit und Freiräume. Hinzu kommen noch die Dynamik in Gruppen der Jugendlichen und der Ausgang sowie der Alkohol- und​ Drogenkonsum. Diese Faktoren sind wohl massgeblich für diese Ansammlung verantwortlich und führen dazu, dass sich die Jungen zu Straftaten hinreissen lassen.

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21 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Yes.
20.12.2015 22:54registriert November 2015
Häää früher war doch alles besser??
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Anam.Cara
20.12.2015 20:01registriert November 2015
Das ist doch mal eine gute Nachricht.
Diese Entwicklung gibt auch Anlass zur Hoffnung auf eine friedlichere Zukunft.
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Elkomentarias
20.12.2015 22:24registriert Dezember 2015
Ich vermute -etwas überspitzt ausgedrückt- das hat vor allem mit unserer "Zombie Handy Gesellschaft" zu tun. Die jungen (und die alten) sind am konsumieren was geht, und so lange ihnen niemand das Handy wegnimmt gibt e keinen Grund aufmüpfig zu werden. Rebellion ist ansträngend Konsum ist einfacher. Natürlich ist Kriminalität blöd, und natürlich ist es schön wenn es keine Kriminalität gibt. Aber auf der anderen Seite muss man sich schon fragen ob eine sooo brav und überwacht "gehaltene" jungend gesund sein soll , für eine Gesellschaft die immer stärker zum Spielball der Eintönigkeit wird?
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