Die Justiz darf gegen den Aargauer SVP-Nationalrat Andreas Glarner strafrechtlich ermitteln. Es geht um den Fall eines mit künstlicher Intelligenz generierten Videos. Die zuständige Parlamentskommission hat die Immunität von Glarner definitiv aufgehoben.
Mit 8 zu 2 Stimmen schloss sich am Freitag die Rechtskommission des Ständerats (RK-S) dem Entscheid der Immunitätskommission des Nationalrats (IK-N) an, wie Kommissionspräsident Daniel Jositsch (SP/ZH) in Bern vor den Medien sagte. Damit ist der Entscheid zur Aufhebung der Immunität definitiv.
Es geht um ein Video, das Glarner im Wahlkampf 2023 teilte. Die Basler Grünen-Nationalrätin Sibel Arslan äusserte sich in diesem sogenannten Deepfake-Video angeblich zu «kriminellen Türken» und rief zur Wahl der SVP auf. Arslan zeigte Glarner in der Folge an.
Sie wirft Glarner unter anderem vor, ihre Identität missbraucht zu haben. Das ist ein Tatbestand, der erst seit September 2023 im Schweizerischen Strafgesetzbuch verzeichnet ist.
Der Beschuldigte macht geltend, dass im Video klar signalisiert worden sei, dass es sich um ein mit künstlicher Intelligenz generiertes Video handle. Dessen Inhalt sei so absurd, dass man wissen sollte, dass es nicht echt sei.
Die beiden für die Immunität zuständigen Parlamentskommissionen hatten sich erstmals mit einem solchen Video zu befassen. Die Mehrheit in den zuständigen Gremien war der Auffassung, dass im Fall des Fake-Videos das Interesse an der Strafverfolgung höher zu gewichten sei als die Meinungsäusserungsfreiheit im Rahmen von Wahlkampagnen. Zudem sei der Zusammenhang des angezeigten Delikts mit der politischen Tätigkeit gegeben.
Das Deepfake-Video gehe einen Schritt weiter als eine Karikatur, die sofort als solche erkennbar sei, sagte Jositsch. «Das hier hat eine neue Qualität, es ist mehr als eine flapsige Äusserung in einer Fernsehsendung oder im Wahlkampf.» Das Video sei mit viel Aufwand produziert worden.
Weil die Beschlüsse der Nationalrats- und der Ständeratskommission übereinstimmend sind, kann die Staatsanwaltschaft Muri-Bremgarten AG nun ermitteln. Diese gab im März bekannt, dass sie in Bern ein Gesuch um Aufhebung der Immunität Glarners eingereicht habe.
Laut Jositsch hat die RK-S jedoch «grosse Zweifel», dass es tatsächlich zu einer Verurteilung kommt. Eine Ehrverletzung sei «sicher nicht gegeben», ein Identitätsmissbrauch «mit hoher Wahrscheinlichkeit auch nicht». Die strafrechtliche Beurteilung sei aber die Aufgabe der Richterinnen und Richter.
Das Video hatte schon die Basler Justiz beschäftigt. Das Zivilgericht verurteilte Glarner im November 2023 wegen einer Verletzung der Persönlichkeitsrechte von Arslan zu einer Busse.
Sogenannte Deepfake-Technologien können etwa täuschend echte Bilder, Videos oder Tonaufnahmen erstellen. Sie wurden in der jüngeren Vergangenheit zum Beispiel vor Wahlen in mehreren Ländern eingesetzt.
Trotzdem will der Nationalrat kein spezifisches Gesetz, um die Verwendung von Deepfakes im öffentlichen Raum zu regulieren. In der abgelaufenen Sommersession lehnte er eine entsprechende Motion aus den Reihen der Grünen ab.
Nicht um KI, sondern um einen Tweet auf dem Kurznachrichtendienst X drehte sich der zweite Fall von Nationalrat Glarner, mit welchem sich die RK-S am Freitag zu beschäftigen hatte. Die bernische Justiz ersuchte um die Ermächtigung, gegen Glarner wegen Verdachts auf Diskriminierung und Aufruf zu Hass gemäss Anti-Rassismus-Strafnorm ermitteln zu können.
Glarner formulierte auf X die Frage, ob es nicht langsam Zeit sei, einer Religion Einhalt zu gebieten, deren Angehörige Forderungen beispielsweise nach Sonderrechten, Minaretten und so weiter durch Sprengstoffanschläge Nachdruck verliehen. Glarner versah diesen Post auch mit dem Slogan «Stoppislam».
Wie die IK-N kam aber auch die Ständeratskommission zum Schluss, dass die Immunität von Glarner in diesem Zusammenhang nicht aufzuheben sei. Der Entscheid fiel gemäss Mitteilung der Parlamentsdienste mit 9 zu 0 Stimmen bei einer Enthaltung. Eine Strafverfolgung wegen der Aussagen von Glarner auf Social Media ist somit ausgeschlossen. (dab/sda)