59 Prozent Ja für das Klimaschutzgesetz. Das ist deutlich. Sind Sie überrascht?
Urs Bieri: Nein. Das entspricht relativ genau den Erwartungen. Die Zustimmung hat während den vergangenen Monaten kontinuierlich abgenommen und ist schlussendlich bei 59 Prozent gelandet.
Der Unterschied zum CO2-Gesetz, dem vor zwei Jahren nur 48 Prozent zustimmten, ist bemerkenswert. Wie können Sie sich das erklären?
Die Entwicklung der Ablehnung war praktisch die gleiche – allerdings auf einem anderen Niveau. Vor zwei Jahren starteten die Gegner mit rund zehn Prozent mehr als dieses Mal. Eine Rolle spielt auch die Stimmbeteiligung.
Inwiefern?
Die Stimmbeteiligung ist die grosse Überraschung des Wochenendes. Sie ist mit etwa 42 Prozent tief, obschon sowohl die Covid- als auch die Klimaschutzvorlage eigentlich Mobilisierungspotential hätten. Ist die Stimmbeteiligung tief, ist dies meistens ein gutes Zeichen für Behördenvorlagen.
Vor zwei Jahren beim CO2-Gesetz war die Stimmbeteiligung mit 59 Prozent deutlich höher ...
Dies bestätigt, dass die Landwirtschaftsvorlagen, die gleichzeitig mit dem CO2-Gesetz an die Urne kamen, ein enorm prägender Faktor waren. Wir hatten vor zwei Jahren eine einseitige Übermobilisierung aus dem ländlichen Raum. Diese Menschen legten zu grossen Teilen ein Nein zum CO2-Gesetz in die Urne. Das ist der grosse Unterschied zu heute Sonntag. Spannend ist hier der Blick auf die Kantone.
Was gibt es dort zu beobachten?
Die landwirtschaftlich geprägten Kantone Wallis und Jura stimmten vor zwei Jahren aufgrund der Supermobilisierung Nein für das CO2-Gesetz. Dieses Mal haben beide Kantone deutlich Ja für das Klimaschutzgesetz gestimmt.
Kann man von einer Schlappe für die SVP sprechen? Sie hat sich kräftig für ein Nein beim Klimaschutzgesetz eingesetzt.
Der Mitteleinsatz der SVP war beachtlich. Das sieht man beim Kampf gegen eine Behördenvorlage selten. Die SVP konnte weit über das eigene Lager hinaus mobilisieren, deshalb kann man trotz der Niederlage von einem Achtungserfolg sprechen.
Wie beurteilen Sie die Rolle von Albert Rösti, der als SVP-Bundesrat für ein Ja weibeln musste?
Bei der SVP-Wählerschaft wird er kaum Flurschaden hinterlassen haben. Gleichzeitig war sein Einsatz kaum ein hartes Element für das Ja an der Urne. Für das war er aber auch zu kurz im Amt.
Hat er den Spagat also geschafft?
Er hat seine neue Rolle umarmt und ausgefüllt. Da gab es auch schon Exponenten, die mit viel mehr «Kä Luscht» oder «Ja, aber» an solche Vorlagen getreten sind.
Den Grünen werden gemäss Umfragen grössere Verluste für den Wahlherbst vorausgesagt. Kommt es nach diesem Ja für das Klimaschutzgesetz doch anders?
Nach dieser Abstimmung wissen wir, wo die Grenzen für mehrheitsfähigen Klimaschutz liegen. Verbote und individuell stark spürbare Kosten lehnt die Bevölkerung ab. Zu Innovation und Subvention sagt sie Ja. Die Mehrheit der Bevölkerung will etwas für den Klimaschutz machen, dafür aber nicht allzu stark ins eigene Portemonnaie greifen. Man kann also nicht sagen, dass sich an den Wahlchancen der Grünen nach dem heutigen Resultat etwas geändert hat.
Gibt es sonst Erkenntnisse für den Wahlherbst?
Indirekt. Wir haben eine sehr durchwachsene Legislatur aus Behördensicht. Zwischen 2020 und 2022 setzte es einige harte Niederlagen ab für die Behörden – etwa beim CO2-Gesetz, bei der Verrechnungssteuer oder der Stempelsteuer. Jetzt zeigt der Trend wieder in die andere Richtung. Die Stimmbevölkerung hat am Sonntag den Kurs der Behörden drei Mal bestätigt. Für die Bundesratsparteien ist das sicher kein schlechtes Zeichen.
Eine deutliche Niederlage hat die SP bei der OECD-Mindeststeuer eingefahren. Wie schätzen Sie diese ein?
Die Höhe der Zustimmung ist beachtlich. Das Thema hätte das Potenzial für eine unheilige Allianz gehabt – zumal bei der SVP in puncto Steuersouveränität Kritik geäussert wurde. Am Ende war die SP mit ihrer Nein-Parole aber alleine und führte eine Kampagne mit stark angezogener Handbremse. Die SP-Basis war gespalten. Viele SP-Wähler dürften ein pragmatisches Ja in die Urne geworfen haben, da sie grundsätzlich für eine Mindestbesteuerung sind.
Verliert die SP damit ihre Glaubwürdigkeit, die sie sich in den vergangenen Jahren bei Steuerfragen erarbeitet hat?
Nein. Die SP hat mit der Verrechnungssteuer und der Stempelabgabe zwei grosse Goldmedaillen im Köcher. Sie hat damit gezeigt, dass sie eine Vetomacht ist, wenn es um Steuererleichterungen geht.
Noch ein Wort zum Covid-19-Gesetz. Werden die Gegner jetzt von der Bildfläche verschwinden?
Davon ist nicht auszugehen. Wir haben jetzt bei allen drei Covidvorlagen fast das genau gleiche Resultat gesehen: Das Ja lag irgendwo zwischen 60 und 62 Prozent. Eine deutliche Mehrheit hat die Behördenposition bestätigt. Für die 38 Prozent, die ein Nein eingelegt haben, ist das Thema jedoch nicht abgeschlossen. Viele dieser Personen wurden während der Covidzeit nachhaltig politisiert, sie wollen nun in die Parlamente gewählt werden. Sie wollen als Korrektiv weiterhin Einfluss in die Politik nehmen. Über ihre Relevanz kann man jedoch diskutieren. Wenn man drei Mal mit dem genau gleichen Thema verloren hat, ist es eigentlich deutlich, dass keine Mehrheit der Bevölkerung hinter ihrer Position steht.
Da hat man ein Mittel, die Geschehnisse des Landes direkt zu beeinflussen und mehr als die Hälfte der Leute interessierts nicht mal..
Wie kommt man auf diese Schlussfolgerung? Es gab noch kaum eine Abstimmung über Verbote im Zusammenhang mit Klimaschutz. Und dort, wo es sie gab, wurden sie angenommen (z.B. das Verbot von Öl-Heizungen im Kanton Glarus).
Verbote sind viel effizienter als Subventionen. Und sie sind fairer, weil sie im Gegensatz zu Lenkungsabgaben alle Bevölkerungsteile gleichmässig treffen.