Regula Rytz kandidiert für den Bundesrat. Was muss sie jetzt tun, damit sie eine valable Kandidatin für den 11. Dezember wird?
Lukas Golder: Ich glaube, sie muss jetzt gar nicht so viel beweisen und kann es getrost etwas ruhig angehen. Der nötige Schritt ist mit der Ankündigung ihrer Kandidatur getan. Nun liegt der Ball bei den anderen Parteien. Dass bei Rytz noch unverhofft Überraschungen auftauchen, glaube ich nicht. Parteipräsidenten gehören zu den Politikern, die sowieso schon gut durchleuchtet wurden. Sie bringt einen guten Rucksack mit, hat ein klares Profil und ist eine pointierte Politikerin.
Wie stehen ihre Chancen?
Nicht gut. Es wird eine Wahl zwischen links und rechts sein. Soll das linke Lager, das bereits zwei Sitze in der Bundesregierung hat, nun einen dritten erhalten? Ich glaube nicht, dass sie sich dafür die nötigen Stimmen holen können.
Die Gegner von Rytz sagen, die Grünen müssten jetzt zuerst zeigen, dass sie ihre Macht im Parlament halten können. In vier Jahren könne man dann wieder über einen Bundesratssitz sprechen. Ist dieses Argument noch zeitgemäss?
Die Konkordanz hat mit zeitgemäss nicht viel zu tun. Aber sie hat sich in schwierigen Situationen als krisensicher erwiesen. Dass es heute mehr Bewegung im System gibt und das zu mehr Verschiebungen führt, ist eine Tatsache. Aber das Volk hat es abgelehnt, den Bundesrat selber zu wählen. Wenn es jetzt zu keiner Veränderung der Zauberformel kommt, dann ist das typisch für die Konkordanz. Aber die Konkordanz ist auch ein Machtkartell. Die vier Parteien in der Regierung verfügen über mehr als die Hälfte der Sitze im Parlament. Sie haben zwar kein Koalitionsprogramm, aber sie können sich auch nach einer Wahlniederlage bei der Bundesratswahl ihre Macht erhalten, wenn sie das wollen. Es zeichnet sich also eine Vielparteien-Regierung aus lauter Verliererparteien ab. Das wirkt schon etwas traurig.
Die Grünen wollen die Zauberformel ändern, sie schlagen ein 2:2:1:1:1-Verhältnis vor. Macht diese Forderung realpolitisch Sinn?
Sie macht sicherlich Sinn vom Standpunkt aus, dass es eine Klimawahl war und der Wunsch nach einer Veränderung mit einer einzigartigen Wucht Willen ins Parlament getragen wurde. Unter diesen Verhältnissen hat sich die Machtverschiebung stark verändert und der Anspruch der Grünen ist komplett ausgewiesen.
Aber?
Aber realpolitisch geht es um das Verhältnis zwischen dem Links-/Rechtsgefüge. Eine solche Sitzverteilung, wie es die Grünen wollen, würde einen überproportionalen Linksrutsch bedeuten. Und ob der gerechtfertigt ist, ist eine andere Frage.
Warum wackelt vor allem der Stuhl von Ignazio Cassis?
Das hat mit verschiedenen Dingen zu tun. Den Angriff auf die FDP kann man sicherlich mathematisch begründen. Aber er hat auch eine inhaltliche Note. Die Kritik an Cassis kommt vor allem von der SP und den Gewerkschaften, die sich auf ihn eingeschossen haben.
Die CVP könnte bei einer 2:2:1:1:1-Sitzverteilung wahlweise Bündnisse mit den linken Bundesräten von SP und Grünen oder mit der SVP und FDP eingehen. Wie reizvoll ist diese Position für die CVP?
Sie ist sicher sehr reizvoll. Wie sehr die CVP ihre Rolle geniesst, sieht man auch daran, dass sie sich jetzt im Hintergrund hält und mal schaut, was passiert. Sie muss sich nicht offensiv bewegen. Eine Machtposition hat sie auch schon im Parlament, auch dort ist sie das Zünglein an der Waage. Aber dieser Fokus kann auch unangenehm und zum Bumerang werden.
Wie?
In den Kantonen und in vielen Sachfragen auch im nationalen Parlament spielen FDP und CVP zusammen die erste Geige. Ein Keil zwischen den beiden Parteien kann lähmend wirken und auch die CVP gerade bei Regierungsratswahlen schwächen. Ein solcher Keil stünde offensichtlich im Widerspruch zum Wahlslogan der CVP, der da hiess, «wir halten die Schweiz zusammen».
Im Frühling stehen wichtige Wahlen in den Kantonen Schwyz, St. Gallen, Thurgau und Uri an. Ist es für die CVP ein Risiko wenn sie jetzt zu sehr nach links ausschert? Könnte sie dafür dann an der Urne abgestraft werden?
Ja, das ist keine unberechtigte Sorge. Die CVP hat eine sehr fragmentierte Wählerschaft. In ländlicheren Gegenden ist sie traditioneller und weiter weg von den sozialliberalen Elementen, die sie in den Städten hat. Und es kann auch durchaus sein, dass es nun nach dem Linksrutsch in den urbanen Zentren auf dem Land eine Gegenbewegung gibt.
Bei den Bundesratswahlen 2003 attackierte die SVP die CVPlerin Ruth Metzler und kippte sie aus dem Amt. An ihrer Stelle gewählt wurde bekanntlich Christoph Blocher – mit der Unterstützung der FDP. Ist jetzt die Zeit für die CVP gekommen, es der FDP zurückzuzahlen und Cassis abzuwählen?
Diese Frage steht durchaus im Raum. Es könnte eine späte Retourkutsche werden. Die Abwahl von Metzler ist der CVP tief in die Knochen gefahren und hat sie in den vergangenen zehn Jahren nachhaltig geprägt. Aber wenn jetzt der einzige Tessiner Bundesrat abgewählt wird, dann wird sich das wiederum auf einer anderen Ebene rächen. Ein Crash schlägt sich immer auf irgendeine Art zurück. Das ist typisch Schweiz, in der die Macht an so vielen Orten dezentralisiert ist.
Ein anderer Vorschlag für einen Wechsel im Bundesrat ist, dass die Grünen und die SP zusammen 2 Sitze bekommen. Macht das Sinn?
Auch diese Idee ist attraktiv. Und mathematisch ist die Verschiebung eines Bundesratssitzes zugunsten der Grünen begründbar. Aber er würde zulasten der SP gehen. Und auch das wäre wohl ein Bumerang, denn ein Keil zwischen zwei linken Parteien würde die Linke insgesamt schwächen. Vielleicht muss man in vier Jahren nochmals darüber sprechen. Und die Grünen haben sich dazu sowieso klar geäussert: Den Sitz von Simonetta Sommaruga anzugreifen, kommt für sie nicht in Frage.
Nebst der CVP wird auch bei den Grünliberalen die Frage sein, wen sie am 11. Dezember unterstützen. Wie lautet Ihre Einschätzung?
Die GLP-Führung suggeriert, dass sie beim Status quo bleiben will und keine Veränderung im Bundesrat möchte. Das überrascht mich sehr. Denn in Bezug auf die Klimapolitik müsste die GLP eine Kandidatur der Grünen mit Herzblut unterstützen. Aber es zeigt, wie schnell man nach den Wahlen wieder bei der Realpolitik angekommen ist. Es geht jetzt nicht mehr um den Inhalt, sondern um die Personen. Die GLP bringt jetzt lieber die eigenen Schäfchen ins Trockene und sichert ihre Position ab, anstatt dass sie mit aller Vehemenz die Klimafrage befördert.
Wie x-fach geschrieben, das Grün der GLP ist leider sehr, sehr hell.