Lukas Golder, das Vertrauen der Schweiz gegenüber der Regierung ist auf einem Tiefpunkt. Warum?
Lukas Golder: Für mich war das Ja zur 13. AHV ein Wendepunkt. Seither kommen der Bundesrat und das Parlament in dieser Umfrage nicht mehr so richtig auf Touren. Es scheint sich der Eindruck zu verfestigen, dass der Bundesrat die Sorgen der Bevölkerung zu wenig kennt. Den Absturz der BVG-Vorlage sehe ich in dieser Kaskade als nächste drastische Niederlage der Regierung. Dazu beigetragen hat auch der Rechnungsfehler bei der AHV.
Wenn man Ihre Grafik betrachtet, sinkt das Vertrauen schon vorher. Und zwar seit Dezember 2021, also mehr oder weniger seit Ende der Pandemie. Welchen Einfluss hatte Corona?
Das ist das Faszinierende. Corona wirkte offenbar wie eine Einbindung der Bevölkerung, die sich hinter den Kurs der Regierung gestellt hat. Das Krisenmanagement hat polarisiert, aber viele gaben der Regierung gute Noten. Mit dem Ende der Massnahmen begann dieser Rückhalt jedoch wieder zu bröckeln. Die Konkordanz, wie sie sich heute präsentiert, hat nicht die Einbindungskraft von damals.
Weil die Leute die Pandemiemassnahmen rückblickend anders beurteilen?
Nein, deren Akzeptanz war und ist sehr hoch. Kurz danach begannen die Interessen aber wieder auseinanderzudriften: Der Bundesrat musste die Credit Suisse retten, die Weltlage wurde unsicherer, und die Migrationsthematik kam stärker auf. Dazu kommt eine Sorge um die Sozialwerke, welche die Bevölkerung stark umtreibt – und aktuell macht sich der Bundesrat mit seinen Sparmassnahmen nicht gerade beliebt.
Gab es vor der Pandemie schon Vorbehalte gegenüber dem Bundesrat?
Ich kann mich vor allem an eine Phase erinnern: Die Abwahl von Christoph Blocher löste eine starke Vertrauenskrise aus. Diese dauerte lange an und war sogar dann noch nicht richtig gelöst, als die SVP wieder mit zwei Sitzen im Bundesrat vertreten war. Der Bundesrat wurde nicht mehr als Kollegialitätsbehörde wahrgenommen.
Regierungsskepsis war damals ein eher rechtes Phänomen. Und jetzt?
Das ist das Neue: Wir erleben eine Vertrauenskrise von links. Diese wird verstärkt dadurch, dass das Parlament in der laufenden Legislatur wenig Gespür hat für die aktuelle Stimmung in der Bevölkerung. Als Beispiel dienen die beiden Mietvorlagen: Hier spielt die Mobilisierung der Linken gegen die Behördenvorlagen eine grosse Rolle.
Was haben die Mietvorlagen mit der 13. AHV zu tun?
In der Mobilisierung gegen die Mietvorlagen widerspiegelt sich jener Teil der Bevölkerung, für den Kaufkraft von grosser Bedeutung ist und der sich bereits in den Rentendiskussionen abgehängt fühlte von Bundesrat und Parlament. Die SP liegt mit ihren Parolen in diesem Jahr bislang am nächsten beim Volkswillen. Das hat es noch nie gegeben in der Schweiz. Die Polarisierung von links funktioniert.
Und das Zentrum?
Das ist ebenfalls ein Teil der Konkordanzkrise: Mitte und FDP streiten sich um die Macht, was sich nicht vertrauensbildend für die Regierung auswirkt. Der Bundesrat tritt weniger als Kollegialbehörde auf, die Mitglieder konzentrieren sich auf ihre Departemente.
Am 24. November stimmt die Schweiz über vier Behördenvorlagen ab. Bei allen stellen Sie einen Nein-Trend fest, auch wenn noch nicht alle auf eine Ablehnung hinauslaufen. Erhalten Bundesrat und Parlament nun die Quittung an der Urne?
Auf eine Art, ja. Sollte es zu einer Vierfach-Niederlage kommen, müsste man über die Bücher. Auch wenn man sagen muss: Die beiden Mietvorlagen vertritt der Bundesrat nur halbherzig, weil ihn das Parlament dazu zwingt. Ein Ja ist jedoch bei allen Vorlagen noch möglich und wäre beim Autobahnausbau und bei der einheitlichen Finanzierung der Gesundheitskosten auch zurückzuführen auf ein grosses Engagement der betroffenen Bundesräte Albert Rösti und Elisabeth Baume-Schneider. Letztere sogar gegen ihre Partei, was sich für eine Konkordanzregierung vertrauensbildend auswirkt. (aargauerzeitung.ch)