Schweiz
Interview

Lukas Bärfuss im Interview über Politik, Trump und Social Media

Lukas Bärfuss
Der Schweizer Schriftsteller Lukas Bärfuss.Bild: Andrea Zahler/chmedia
Interview

«Es war peinlich, wie man sich an JD Vance ranschmuste und dann kalt abserviert wurde»

Der Autor Lukas Bärfuss hat ein Stück über politische Wendehälse geschrieben und erklärt, warum der aufgeklärte Mensch heute nicht mehr gefragt ist. Für Orientierung brauche es dringend andere Referenzen als Social Media.
11.05.2025, 06:0511.05.2025, 07:33
julia Stephan / ch media
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Im Botanischen Garten im Zürcher Seefeld ragen die Schauhaus-Kuppeln wie Ausserirdische aus der Blumenwiese in den Himmel. Der Schriftsteller Lukas Bärfuss, den wir an diesem idyllischen Plätzchen zum Gespräch treffen, ist auch so ein Alien im Naturgarten Schweiz. Seit Jahrzehnten übt er Kritik an unserem Land. Frei nach seinem Motto: Hast du keine Feinde, hast du noch nie die Wahrheit gesagt.

Lukas Bärfuss, Sie haben für Ihren Freund, den Schauspieler Michael Neuenschwander, einen Monolog über den republikanischen Senator Ted Cruz geschrieben. Was hat Sie dazu motiviert?
Lukas Bärfuss: Die Geschichte des Verrats, des Opportunismus von Politikern, die am Montag das eine behaupten und am Dienstag das Gegenteil, beschäftigt mich schon lange. Was macht das mit den Politikern, was macht das mit den Wählern? Als Michael auf mich zukam, lag gerade die Geschichte von Ted Cruz auf meinem Schreibtisch, der vom erbitterten Feind Donald Trumps zu dessen Schosshündchen mutierte. Also sagte ich zu, für das Schauspielhaus Zürich ein Auftragswerk zu schreiben.

Dieser Ted Cruz, der Trump später dabei half, die Legende vom Wahlbetrug in die Welt zu setzen, richtete als Evangelikaler zu Beginn seiner Karriere sein ganzes Handeln auf seine christlichen Werte aus. Wie wird so ein prinzipientreuer Mensch zum politischen Wendehals?
Ich glaube, dass Cruz zu Beginn seiner Karriere eine starke innere Überzeugung hatte, die er politisch auch durchsetzen wollte. Er hat Donald Trump, dem er 2016 im republikanischen Präsidentschaftswahlkampf unterlag, lange mit allen Mitteln bekämpft, wurde von diesem gar persönlich angegriffen. Im Moment der Niederlage hat Cruz für sich entschieden, dass es nicht um ihn selbst geht, dass er für seine Wähler einstehen muss. Also hat er sich Donald Trump komplett unterworfen. In seiner Logik mag das folgerichtig gewesen sein. Aber gleichzeitig gehen wir potenzielle Wähler immer davon aus, dass jemand, der in die Politik geht, eine persönliche innere Überzeugung besitzt.​

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Ted Cruz hat sich Donald Trump vollkommen unterworfen.Bild: keystone

In Deutschland sorgte dieser Tage für Irritation, dass sich einzelne Politiker aus SPD und CDU ihren Kanzlerkandidaten Friedrich Merz trotz erfolgreicher Koalitionsverhandlungen nicht im ersten Wahlgang gewählt haben, im zweiten dann aber brav für ihn stimmten. Ist das ein Symptom für diese verloren gegangene Prinzipientreue?
Nein, das ist einfach politische Dummheit. So besorgt man das Geschäft der Extremisten, die das Parlament verachten.​

Muss man diese moralische Flexibilität besitzen, um im 21. Jahrhundert zu bestehen?
Wenn man als Politiker auf eine Figur wie Donald Trump trifft, der keine innere Überzeugung hat, nur Opportunitäten sieht und an der reinen Macht interessiert ist, ist eine feste Überzeugung hinderlich. So eine Haltung kann sich karriereschädigend auswirken, in der Öffentlichkeit wirkt man manchmal fast schon starrköpfig. Auch ich habe einige Dinge in meinem Leben gemacht und gesagt und auf gewissen Dingen beharrt, die mich viel gekostet haben. Ich konnte, oder ich dachte, ich könnte es mir leisten, weil ich als freier Schriftsteller keine Loyalitäten gegenüber einem Unternehmen einhalten muss. Aber das können nicht alle, gerade wenn es um die wirtschaftliche Erpressbarkeit geht, leiden Menschen darunter, dass sie nicht sagen können, was sie denken.​

So schlecht steht es um die freie Meinungsäusserung in der Schweiz nicht. In internationalen Rankings landen wir regelmässig ganz weit vorne.
Ein wesentlicher Teil unserer Gesellschaft ist nicht demokratisch, schauen Sie sich die Wirtschaft an! Dort gilt, wer zahlt, befiehlt. Wenn es um den eigenen Job geht, muss man auf den eigenen Mund sitzen. Und wenn wir dieser Wirtschaft, was in zunehmendem Mass zutrifft, immer mehr Macht geben, werden Menschen als Bürger schwächer, ausser, man hat genug Geld, um sich eine eigene Meinung leisten zu können.​

«Wenn du keine Feinde hast, hast du noch nie die Wahrheit gesagt.»
Lukas Bärfuss

Haben Sie Angst, dass Ihre Bücher auf dem Index landen könnten?
Grundwerte sind nie sicher. Man muss sie jeden Tag verteidigen. Nicht immer gegen staatliche Zensur, manchmal gegen den Zeitgeist, manchmal gegen ökonomische Zwänge. Ich habe immer wieder Angriffe erlebt, auch in den USA. Da kam immer wieder die Frage, ist das zumutbar, ist das politisch korrekt?​

Wo konkret?
In meinem Theaterstück «Die sexuellen Neurosen unserer Eltern» geht es um eine Frau mit Beeinträchtigung, die Sex haben will und die ganze Zeit das F-Wort verwendet. Das hat mir in den USA das Label «Parental Advisory» beschert.​

Dann müssten Sie der Trump-Administration ja eigentlich dankbar sein, dass die aufräumt mit linker Cancel-Culture …
Erstens ist es Trump, der cancelt, und zweitens sind die Verhältnisse leider komplexer. Es ist entscheidend, dass man sich respektiert, gleichzeitig ist die Kunst nicht immer höflich, nicht immer brav. Und es braucht eine gewisse Bildung, um Rollenprosa zu erkennen und nicht für die Meinung des Autors zu halten. Was ich mit diesen Beispielen zeigen will: Ich hatte nie das Gefühl, dass ich widerspruchsfrei meine Bücher schreiben konnte. Wenn du keine Feinde hast, hast du noch nie die Wahrheit gesagt.

Lukas Bärfuss
Bild: Andrea Zahler/chmedia

Ihr Ted Cruz verteidigt seine Werte zu Beginn noch mit sehr viel Pathos. Pardon, aber ein bisschen fühlte ich mich an Lukas Bärfuss erinnert.
Ach wirklich? Da zitiert er eine Rede von Ronald Reagan. (Lacht.) Aber die Frage, zu welchem Opfer man zur Verteidigung seiner Werte bereit ist, finde ich interessant. Wir sind im Bewusstsein erzogen worden, dass wir in einer postheroischen Zeit leben. Der letzte Einsatz war von uns nie gefordert. Die Menschen in der Ukraine haben dieses Privileg nicht. Eine sehr unangenehme Frage. Man müsste viele Debatten nach 1989 nochmals neu führen. Die einzigen Pazifisten, die die Welt brauchen könnte, sind jene in Russland.​

Würde denn der prinzipientreue Bärfuss für sein Land zur Waffe greifen?
Nicht für das Land, aber für eine demokratische Gesellschaft.​

Der Historiker Francis Fukuyama («Das Ende der Geschichte») hat die These aufgestellt, dass die Schwäche der liberalen Demokratie darin liege, dass sie dem Menschen keine Identität oder Zugehörigkeit bietet. Lässt sich «America first!» aus dieser Heimatlosigkeit erklären?
Man kann sein Einkommen verlieren, eine Liebesbeziehung, aber man bleibt Amerikaner, Deutscher oder Schweizer. Der Linken ist es nicht gelungen, eine vergleichbare Heimat zu bieten, die trotz aller Zumutungen Bestand hat. Ich glaube, dass sie bei all den wirtschaftlichen Debatten um soziale Gerechtigkeit und Vollbeschäftigung nicht mitbedacht hat, dass der Mensch nicht vom Brot allein lebt.​

Hatte die Linke auch bei der Migrationspolitik zu lange Scheuklappen auf?
Wir wissen alle, dass unsere Volkswirtschaften Migration brauchen, gleichzeitig erhöht das auf dem Arbeitsmarkt den Konkurrenzdruck. Das erleben die Menschen als Bedrohung. Zu argumentieren, dass es systemisch notwendig sei, dass wir Arbeitsmigration haben, reicht nicht. Man müsste auch die lebensweltlichen Aspekte thematisieren. Aber dafür gibt es in der Politik keine Sprache.​

Wo gäbe es für die Linke denn einen Weg, ihren Wählern dieses Gefühl von Sicherheit und Zufriedenheit zu vermitteln?
Ich will keine politische Utopie formulieren. Aber man könnte den Menschen die Frage stellen, wie sie leben wollen. Zum Glück gehört ein intaktes soziales Umfeld. Das Gemeinschaftsgefühl ist verloren gegangen, Einsamkeit weit verbreitet. Man könnte aktiv werden, in der Nachbarschaft, im eigenen Viertel. Gerade bei jungen Menschen scheint mir, auch durch die Pandemie, das Bewusstsein verloren gegangen zu sein, was Öffentlichkeit ist. Man hat den eigenen Spiegel als Smartphone vor der Nase und begegnet nur sich selbst.​

Zur Person
Der Schweizer Theaterautor, Romancier und Essayist Lukas Bärfuss, 53, ist einer der profiliertesten Intellektuellen der Schweiz. Seine Theaterstücke werden weltweit gespielt, seine Bücher wurden in über 20 Sprachen übersetzt. 2019 erhielt er den Georg-Büchner-Preis, den renommiertesten Buchpreis im deutschsprachigen Raum. Bärfuss lebt in Zürich, ist verheiratet und hat zwei Kinder.

Die «Zeit» hat kürzlich eine Umfrage unter Hochschulprofessoren gemacht, die dieser Generation bescheinigt, nicht mehr in der Lage zu sein, längere, mittelschwere Texte zu lesen. Was bedeutet das für Sie als Autor?
Ich mache nicht alleine Social Media dafür verantwortlich. Aus meiner Sicht hat das mit unserem kompetenzorientierten Bildungsunterricht zu tun. Man hat der instrumentellen Vernunft das Wort geredet und die kritische Vernunft vernachlässigt. Das ist ein eklatantes Bildungsversagen. Wer nicht liest, begibt sich freiwillig in die Ohnmacht. Wie will man verstehen, wie die Macht definiert ist, wenn man die Gesetze nicht lesen kann. Wer die Klassiker ignoriert, versteht keine Zusammenhänge und lernt nicht von den Erfahrungen früherer Generationen. Man glaubt, alles geschehe zum ersten Mal. So kann man keine teilnehmende Bürgerin, kein teilnehmender Bürger einer Demokratie sein.​

Höre ich da den Kulturpessimisten aus Ihnen sprechen?
Nein, Kulturpessimismus ist der Anfang vom Ende. Das Jammern über den Zustand der Welt gefällt mir nicht. Man hat sich mit den Gegebenheiten auseinanderzusetzen, sollte kritisch bleiben und bloss nicht auf bessere Zeiten warten, heisst es beim Liedermacher Wolf Biermann – der wusste das noch! Viele Menschen reagieren auf die politischen Verwerfungen wie auf die Pandemie – mit Rückzug und Isolation. Man hofft, dass es vorbeigeht. Aber das sind keine Naturkatastrophen, die da passieren. Es gibt einen politischen Willen und den kann man ändern.​

Warum rennen so viele Menschen trotzdem lieber einem Mann hinterher, der sich wie ein Alleinherrscher geriert?
Das ist eine anthropologische Konstante. Dass sich eine Gesellschaft demokratisch konstituiert und versucht, in einem Aushandlungsprozess das Gemeinwohl durchzusetzen, ist die Ausnahme. Was die autoritären Herrscher zur Verfügung stellen, ist die Idee von Thomas Hobbes, dass man in Zeiten der allgemeinen Bedrohung durch einen Bürgerkrieg eine Anführerfigur braucht, die für alle innerhalb des Staates für Sicherheit sorgt, wer nicht Teil davon ist, der hat Pech gehabt.​

In Europa sind durch die Bedrohungssituation auch für die Schweiz Staatsbündnisse wieder interessant geworden. Erfüllt Sie das als EU-Befürworter mit Genugtuung?
Manchmal fühle ich mich schon ein bisschen anachronistisch. (Lacht.) Aber in einer interdependenten Welt sind andere als multilaterale Lösungen nicht möglich. Die Schweiz erlitt da jüngst leider wieder Schiffbruch beim Versuch, sich mit der Trump-Administration gut zu stellen. Es war peinlich, wie man sich an JD Vance ranschmuste und dann kalt abserviert wurde.

Der Kniefall der Pharma-Multis dürfte den Bärfuss auch geärgert haben.
Gesellschaftliche Veränderung kann nicht durch Unternehmen durchgesetzt werden. Sie sind divers, solange es wirtschaftliche Vorteile bringt.​

Apropos Profit: «Die Krume Brot», ein Lehrstück über Armut, das auf Ihrem gleichnamigen Roman basiert, wurde soeben ans Schweizer Theatertreffen eingeladen. Öffentlich wahrgenommen wird das kaum. Verliert das Theater seine Relevanz?
Nein. Meine Stücke finden ihr Publikum. Um das Theater mache ich mir keine Sorgen. Es gehört zum Menschen. Seine Form verändert sich gerade. In Deutschland müssen die öffentlichen Theater mit einigen Lebenslügen aufräumen. Die Politik ist nicht mehr verlässlich. Die Kürzung der Kulturbudgets ist verantwortungslos. Es heisst, man müsse «sparen». Das ist nicht die Wahrheit. Man entzieht der Öffentlichkeit die Mittel und privatisiert sie. Eine Demokratie braucht eine kritische, aufgeklärte Öffentlichkeit, in der sie ihre Konflikte friedlich austragen kann. Diese Einschnitte folgen keinen Naturgesetzen, sie sind politisch gewollt. Es ist wie bei der Bildung: Offenbar fürchtet man sich vor aufgeklärten Menschen. (aargauerzeitung.ch)​

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51 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Gen X
11.05.2025 07:17registriert August 2023
"Es ist wie bei der Bildung: Offenbar fürchtet man sich vor aufgeklärten Menschen."
Genau das beweist unsere Regierung gerade, indem sie diese unerhörte VÜPF-Revision durch die parlamentarische Hintertür durchdrücken will.
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Thomas Fenster
11.05.2025 09:38registriert Dezember 2022
Immer wieder gerne lese ich die Kommentare von L.B. Er analysiert ausgezeichnet. Ted Cruz war natürlich nicht der einzige. „Little Marco“ Rubio ein weiterer. Die Asskisser-Kultur vom Feinsten konnte man dann insbesondere bei der Trump Inauguration beobachten. Diese Leute hätten ja das Geld für eine eigene Meinung. Da blieb einem die Luft weg.
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Sergeant Pepper
11.05.2025 09:35registriert November 2018
Vielen Dank für das Interview. Es schmerzt halt Teils, wenn man der Wahrheit ins Gesicht schauen muss.
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