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Interview

Gerhard Pfister: Das sagt der Mitte-Präsident zum zweiten Bundesratssitz

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«Dann wird es spannend»: Was der Mitte-Präsident über einen zweiten Bundesratssitz sagt

Kaum hat Mitte-Präsident Gerhard Pfister seinen Wahlsieg in der Tasche, denkt er schon weiter. Er will die Mitte zu einer Bewegung im Dauerdialog mit der Bevölkerung entwickeln. Und er hat ein grosses politisches Ziel.
24.10.2023, 09:40
Othmar von Matt und Kari Kälin / ch media
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Seine Mitte hat die FDP überholt: Präsident Gerhard Pfister.
Seine Mitte hat die FDP überholt: Präsident Gerhard Pfister.Bild: Andrea Zahler/ch media

Sie sind – sozusagen über Nacht – zum grossen Wahlsieger geworden. Wie fühlt sich das an?
GERHARD PFISTER:
Ich verspüre Genugtuung, dass wir unser Wahlziel erreicht haben. Nach der Fusion mit der BDP kamen wir auf einen Anteil von 13,8 Prozent. In diesem Bereich wollten wir landen – im Wissen darum, dass auch 13,3 Prozent ein gutes Ergebnis wäre.​

Es sind 14,6 Prozent geworden, die Mitte hat den Abwärtstrend gebrochen. Ist es für Sie eine Genugtuung, dass ausgerechnet Sie der Präsident sind, der die FDP 176 Jahre nach dem Sonderbundskrieg überholt – die grosse historische Gegnerin der Mitte?
Man darf die Pointen der Geschichte nicht überbewerten. Der CVP ist es nicht gelungen, aus dem katholischen Milieu auszubrechen. Mit der Erosion dieses Milieus setzten die Wahlverluste ein. Die Herausforderung der Mitte lautete, neue Wählerinnen und Wähler anzusprechen. Das ist uns gelungen.​

Immerhin sind die jetzt das Etikett der ewigen Juniorpartnerin des Freisinns los …
… falls wir je Juniorenpartnerin waren. Entscheidend ist für uns etwas anderes. Es ist uns gelungen, vermehrt eigene Akzente zu setzen, anstatt nur auf die Politik der Pole zu reagieren. Mitte-Positionen sind schwieriger zu vermitteln als Polpositionen. Dies erforderte mehr politisches Handwerk.​

Ist der Wahlsieg das Produkt eines Marketingerfolgs des neuen Brands «Die Mitte»?
Wir haben viel mehr getan als bloss die Marke zu wechseln. Wir definierten eine Strategie mit dem Ziel, nachhaltig mit unseren politischen Positionen erkennbar zu sein und unsere Konkurrenzfähigkeit zu verstärken, auch mit Blick auf die Vertretung im Bundesrat. Mit dem Namenswechsel ist unsere Politik attraktiv geworden für Neuwähler, für junge Menschen und für Frauen, die sich zuvor wegen des konfessionellen Anstrichs nicht mit uns auseinandersetzen oder uns sogar wählen wollten.​

Vielleicht hat auch ihr Wahlversprechen mit der Kostenbremse im Gesundheitswesen gezogen. Der Vorteil der Initiative ist, dass Sie als Partei nicht erklären müssen, wo genau gespart werden soll.
Vielleicht liegt es daran, dass uns die Medien gar nicht danach gefragt haben? Wie unsere Initiative wirken soll, können wir immer noch genauer erklären als zum Beispiel die SVP ihre Vorschläge zur Migrationsfrage. Tatsache ist, dass wir zum ersten Mal bei einem Topthema der Wahlen als eine der kompetentesten Parteien wahrgenommen wurden. Auf dieses Ziel haben wir hingearbeitet.​

Versteht sich die Mitte eigentlich noch als Familienpartei?
Die Mitte ist die Partei, die den Ausgleich sucht, den gesellschaftlichen Zusammenhalt stärkt und die Polarisierung bekämpft. Wir müssen als Partei zu jenen Themen klare Positionen haben, die im Sorgenbarometer weit oben sind. Die Familien sind wichtig und sie sind sehr vielfältig, wir kümmern uns um ihre Sorgen, aber wir betreiben keine Klientelpolitik.

Die Mitte liegt 0,2 Prozentpunkte vor der FDP und hat gute Chancen, auch bei der Fraktionsstärke vor ihr zu liegen. Will sie nun einen zweiten Bundesratssitz?
Wir haben immer gesagt: Anspruch auf einen zweiten Sitz erheben wir erst, wenn wir die Legitimation durch die Wählerinnen und Wähler haben.​

Diese hat die Mitte jetzt. Und Sie erwähnten am Sonntag in der Elefantenrunde von SRF, dass die FDP vor zwanzig Jahren der Meinung gewesen sei, die damalige CVP habe nur noch Anspruch auf einen Sitz – mit dem gleichen Wähleranteil, den die FDP jetzt hat.
Für die Mitte bleibt klar: Wir wählen keine amtierenden Bundesräte ab. Damit hat die Schweiz keine guten Erfahrungen gemacht, weil die Stabilität des politischen Systems leidet. Das schadet uns allen. Die Frage nach einem zweiten Mitte-Sitz müssten Sie aber der SVP und der FDP stellen. Nach deren Podestlogik – die drei wählerstärksten Parteien erhalten zwei Sitze, egal wie gross der Abstand untereinander und zur vierstärksten ist – müssten wir einen zweiten Sitz erhalten. Wir werden diese Parteien bei Gelegenheit an ihre eigene Logik erinnern.​

Zum Beispiel dann, wenn ein FDP-Bundesratsmitglied zurücktritt?
Dann wird es spannend. Folgt der Freisinn seiner bisherigen Argumentation, müsste er auf einen Sitz verzichten. Die Frage ist: Ändert er dann seine Begründung?​

Die Argumentation der FDP dürfte variabel sein wie bei allen Parteien, wenn es um einen Bundesratssitz geht.
Ich nehme für mich in Anspruch, dass unsere Argumentation seit vier Jahren konsistent ist. Sie ändert sich auch nach den Wahlen nicht.​

Ihr Ziel in den Wahlen bestand aber schon darin, die FDP in eine Ecke zu stellen.
Das stimmt doch nicht. Wir sind in einem Wettbewerb der politischen Ideen. Eine liberale Partei sollte als letzte ein Problem haben mit Wettbewerb. Politik besteht darin, unterschiedliche Lösungen aufzuzeigen. Politisch gesehen sind die Polparteien unsere Gegner. Die Nicht-Pol-Parteien hingegen sind Konkurrenten.​

«Eine liberale Partei sollte als letzte ein Problem haben mit Wettbewerb»: Mitte-Präsident Gerhard Pfister über die FDP.
«Eine liberale Partei sollte als letzte ein Problem haben mit Wettbewerb»: Mitte-Präsident Gerhard Pfister über die FDP.Bild: Andrea Zahler/ch media

Die FDP nahm «Die Mitte» nicht richtig ernst. Vizepräsident Andrea Caroni sagte noch am Sonntag bei SRF, er halte es für wenig wahrscheinlich, dass die Mitte die FDP überhole.
Einige freisinnige Exponenten blickten zu lange nach vorne auf die SP, die sie überholen wollten. Sie vergassen dabei vielleicht den gelegentlichen Blick in den Rückspiegel, um zu sehen, was sich da tut.​

In der vergangenen Legislatur kämpfte die Mitte aber auch mit internen Problemen. Gerade zwischen Ständeräten und Parteispitze war der Wurm drin.
So kann man das nicht sagen. Natürlich ist es eine Herausforderung, dass wir in beiden Kammern die entscheidende Kraft sind. Und das werden wir mit grosser Wahrscheinlichkeit auch in der neuen Legislatur bleiben. Zwar haben beide Kammern staatspolitisch unterschiedliche Funktionen. Es müssen aber alle Fraktionsmitglieder – auch die Ständeräte – erkennen, dass der Erfolg der Partei wesentlich zu ihrem persönlichen Wahlerfolg beiträgt. Auch sie haben ein Interesse daran, dass die Partei in Kernfragen einen möglichst geschlossenen Eindruck macht, und das geht halt eben nicht, wenn einzelne Kollegen Fraktionsbeschlüsse unterlaufen und in letzter Minute im Rat ihre Position ändern. Bei uns muss es abgesehen vom Namenswechsel auch darum noch einen Kulturwandel geben.​

Welches sind die Kernthemen, bei denen Sie geschlossen auftreten wollen?
Für uns sind die sozialen Themen ganz entscheidend. Ich denke da an Krankenkassenprämien und Gesundheitskosten, an Altersvorsorge und Generationengerechtigkeit. Wir sind die bürgerliche Partei mit sozialer Verantwortung.​

Früher galten Sie als sehr konservativer Politiker. Vielleicht auch deshalb haben einzelne Ständeräte den Eindruck, Sie seien nach links gezogen worden.
Diese Unterstellung habe ich selbst noch nie direkt gehört. Das Narrativ, ich könne nicht selbst denken, ist falsch. Da unterschätzt man mich. Als Präsident bin ich verantwortlich für diese Partei. Ich trat an, um zu zeigen, dass sie eine Zukunft hat, obwohl alle das Gegenteil behaupteten. Ich vertrete mit Überzeugung, was ich tue. Doch wir befinden uns tatsächlich in einem Transformationsprozess, der nicht einfach ist und teilweise auch Enttäuschungen oder Frustrationen hinterlässt.​

Braucht die Mitte in Zukunft eine klarere inhaltliche Positionierung?
Der Wahlerfolg vom Sonntag wäre nicht zustande gekommen, wenn wir nicht klarere Positionen hätten, als man uns gemeinhin vorwirft. Die Mitte hat alles, was sie braucht. Sie muss ihre Werte und Grundsätze aber sicher noch früher, klarer und energischer vertreten.​

Das meinen Sie mit dem Kulturwandel, den Sie angesprochen haben?
Genau. Wir müssen stärker vorangehen, eigene Debatten lancieren und Themen setzen - aber auch provozieren. Wir müssen agiler werden, Bewegungscharakter erhalten.​

Genau. Wir müssen stärker vorangehen, eigene Debatten lancieren und Themen setzen – aber auch provozieren. Wir müssen agiler werden, Bewegungscharakter erhalten.

In Zukunft sind Mitte-Mitglieder stärker auf den Strassen zu sehen?
Wahlen gewinnt man nicht mehr, indem man drei Jahre lang arbeitet und drei Monate Plakate klebt.​

Sie wollen einen Dauerwahlkampf wie die SVP?
Ja – wenn Dauerwahlkampf Dauerdialog meint. Wir müssen in einen permanenten Dialog mit der Bevölkerung treten. Heute gibt es keine Mitgliederparteien mehr, sondern nur noch Mitmachparteien. Wir müssen näher an die Bevölkerung, müssen partizipativer werden.​

«Wir müssen in einen permanenten Dialog treten mit der Bevölkerung»: Mitte-Präsident Gerhard Pfister.
«Wir müssen in einen permanenten Dialog treten mit der Bevölkerung»: Mitte-Präsident Gerhard Pfister.Bild: keystone

Sie arbeiten bereits an einer langfristigen Strategie?
Die Strategie 2025 läuft bald aus. Wir haben eine erste Auslegeordnung zu den Herausforderungen der nächsten Jahre erstellt, ja.​

Ziel ist eindeutig ein zweiter Bundesratssitz?
Eine Partei, die keinen Gestaltungsraum für ihre Ideen will, kann gleich abdanken. Es ist natürlich, dass man Einfluss für die Parteiideen will. In der Schweiz erhält man den unter anderem auch im Bundesrat.​

Reizt Sie selbst ein Bundesratssitz? Zum Beispiel, wenn Viola Amherd zurücktritt?
Ich beantworte diese Frage erst, wenn sie sich stellt. Ich gehe nicht davon aus, dass Frau Amherd amtsmüde ist. Sie wird nächstes Jahr Bundespräsidentin. Und es gilt, was der SPD-Vorsitzende Müntefering gesagt hat: Parteipräsident ist neben Papst das schönste Amt. (aargauerzeitung.ch)​

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29 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Onyx
24.10.2023 10:25registriert Dezember 2014
Egal was man von der Mitte hält: Pfister macht als Präsident einen super Job, wenn nicht sogar den besten aller grösseren Parteien. Hut ab vor diesem Interview!
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