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Interview

Bald kein Bargeld mehr im Bus? Der Postauto-Chef will neue Zahlautomaten

Interview

Bald kein Bargeld mehr im Bus? Der Postauto-Chef will neue Zahlautomaten

Christian Plüss leitet mit Postauto den grössten Busbetrieb der Schweiz. Im Gespräch verrät er, wo die Probleme bei der Elektrifizierung der Flotte liegen, welche Apps Postauto künftig entwickeln will und wie sich die Auslastung entwickelt.
10.05.2022, 07:51
Stefan Ehrbar / ch media
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Am Postauto-Hauptsitz in Bern werden auf einem Bildschirm die aktuellen Pünktlichkeitswerte pro Region angezeigt. Sie sind gut. Zufrieden sein kann Postauto-Chef Christian Plüss (59) auch mit der Auslastung: Die Passagiere kehren zurück.

Postauto-Chef Christian Plüss
Postauto-Chef Christian PlüssBild: zvg

Die Coronamassnahmen sind aufgehoben. Wie gross sind die Passagier-Einbussen noch?
Christian Plüss:
Im März betrug das Minus gegenüber 2019 nur noch fünf Prozent. Wir haben das erste Mal seit Beginn der Pandemie das Gefühl, dass sich unsere Hoffnung einer Erholung auf das Vor-Krisenniveau bewahrheitet.

Die Hoffnung gab es schon letztes Jahr…
Im letzten Sommer waren wir ernüchtert. Nach den ersten Lockerungsschritten damals war die Passagierzunahme viel tiefer, als wir es erwartet hatten. Jetzt sind wir endlich auf dem erhofften Pfad.

Worauf führen Sie die jetzige Erholung zurück?
Es hat sicher mit Pandemiemüdigkeit zu tun und der Aufhebung der Homeoffice-Pflicht und -empfehlung. Viele grosse Firmen – wie die Post auch – sind in den Normalbetrieb zurück, auch wenn die Homeoffice-Möglichkeiten erhöht wurden. Wir haben Hinweise darauf, dass viele wohl künftig nur noch drei statt fünf Mal pro Woche ins Büro pendeln werden.

Gibt es regionale Unterschiede?
Wir haben in den letzten zwei Jahren vom Freizeitverkehr profitiert, der sich in gewissen Regionen wie dem Wallis oder in Graubünden teils sehr schnell erholt hat. Auf einzelnen Linien waren wir 2021 sogar über den Vorkrisenwerten. Wir sind darum nie so tief gefallen wie gewisse städtische Betriebe. Unsere regionale Diversität hat geholfen. Dennoch waren wir 2021 finanziell stark unter Druck, im Jahr zuvor hatten wir schon unsere Reserven auflösen müssen.

Im Sommer reisen wohl wieder mehr Menschen ins Ausland in die Ferien. Umgekehrt kommen wieder mehr Touristen in die Schweiz. Was bedeutet das?
Wir gehen davon aus, dass sich die Menschen generell wieder mehr bewegen. Es gibt auch wieder viel mehr Veranstaltungen. Wir dürften dieses Jahr nahe an die Zahlen von 2019 kommen. Die Tourismus-Effekte gleichen sich wohl etwa aus.

In welchen Bereichen wird Postauto künftig wachsen?
Im Freizeitverkehr sehen wir das grösste Wachstumspotenzial. Darunter verstehen wir nicht nur das Wandern in den Alpen, sondern auch der Gang ins Fitnesscenter am Abend oder der Besuch bei der Tante. Wachsen wollen wir vor allem dank besserer Auslastung. Die Zeit, in der immer mehr Kilometer gefahren wurden mit unseren Bussen, ist hingegen eher vorbei. Wachstum sehen wir auch auf der ersten und letzten Meile, also dem Weg vom Zielort zur Haltestelle.

Das heisst aber auch: Das Angebot beim Fahrplan wird nicht besser. Postauto-Kunden können nicht damit rechnen, dass sich etwa der Takt in den nächsten Jahren bessert.
Meine Hoffnung ist, dass wir mehr Menschen auf bestehende Linien bringen können. Überall den 10-Minuten-Takt einzuführen, das kann ich mir nicht vorstellen. Das ist für Hauptachsen ein Thema. Grundsätzlich müssen wir davon wegkommen, einfach den Takt zu verdichten. Stattdessen muss es darum gehen, die Reiseketten zu verbessern.

Was meinen Sie damit?
Ich kenne es von mir: Wenn ich Gepäck habe und mehrfach umsteigen muss, dann nehme ich auch das Auto. Das ist heute noch zu kompliziert. Das können wir verbessern – etwa mit On-Demand-Angeboten, die flexibler gestaltet werden könnten. Dann kommt der ÖV vielleicht noch näher zum eigenen Zuhause. Bei der Möglichkeit, Reservationen einfach zu tätigen, müssen wir zulegen – und ich kann mir auch vorstellen, Gepäckservices auszubauen.

Ist das auch die Strategie, welche die Kantone als wichtige Finanzierer des öffentlichen Verkehrs von Ihnen wünschen?
Das ist sehr unterschiedlich. Gewisse Kantone sind in Sachen On Demand schon sehr weit, andere weniger. Im sehr fortschrittlichen Appenzell Innerrhoden und in der Waadt haben wir etwa den Rufbus Publicar digitalisiert, und in Graubünden arbeiten wir mit Taxiunternehmen zusammen.

Wenn Sie, wie in Graubünden, ÖV-Passagiere mit dem Taxi herumfahren lassen, ist das in Sachen Klimabilanz nicht viel besser, als wenn Menschen ihr Auto nutzen würden.
Es geht darum, dass Menschen erst gar kein Auto besitzen! So fallen keine Emissionen bei der Herstellung an. Das Thema Sharing wird immer wichtiger. Es geht um die effiziente Nutzung von Ressourcen. Die Gesetzgebung hinkt leider noch hinterher. Immerhin können wir seit kurzem Abgeltungen für On-Demand-Angebote erhalten. Andere Länder subventionieren auch Bike- oder Car-Sharing, weil diese weniger Infrastruktur und weniger Platz brauchen als private Autos. In der Schweiz nutzen wir auf der Strasse meist entweder den Bus oder das Privatauto. Der Übergang mit flexibleren Angeboten ist noch unterentwickelt. Dazu können On-Demand-Angebote oder auch Car- oder Bikesharing gehören.

Sie haben den Bikesharing-Dienst Publibike aber verkauft…
Der Fehler war zu glauben, dass Publibike ohne finanzielle Unterstützung der Standortgemeinden finanziell erfolgreich sein kann. Das funktioniert nicht. Trotzdem glaube ich an Sharing.

Die SBB überlegen sich auch, am Wochenende ihre Züge auf andere Strecken fahren zu lassen als unter der Woche, um den Bedürfnissen des Freizeitverkehrs gerecht zu werden. Wäre das auch etwas für Postauto?
Das müssen wir ernsthaft prüfen. Zu Beginn meiner Tätigkeit bei Postauto sagte ich mal ziemlich naiv, wir müssten den Taktfahrplan hinterfragen. Damit meine ich nicht das an sich geniale Grundgerüst, aber das System ist überperfektioniert. Ist es wirklich sinnvoll, dass wir sieben Tage die Woche vom kleinsten Bergdorf im Tessin jede Stunde nach Zürich reisen können? Vielleicht braucht es am Wochenende ein grösseres Angebot, aber unter der Woche reicht ein On-Demand-Bus.

Wird Postauto künftig Apps, etwa für solche On-Demand-Angebote, entwickeln?
Wir sind Teil eines Ökosystems. Wir haben sehr vieles zurückverlagert an die SBB, obwohl wir eine eigene App hatten, die sehr viel konnte. Die haben wir eingestellt, damit nicht zwei nationale Player dasselbe machen. Die SBB deckt mit ihren Lösungen im Moment aber nicht alles ab, was wir uns wünschen. Gerade bei der ersten und letzten Meile und der Reservation von Angeboten im On-Demand-Bereich haben die SBB-Apps Defizite. Jetzt müssen wir schauen, wer diese weiterentwickelt. Wenn es niemand macht, dann kann das auch wieder Postauto sein.

Ein grosses Thema in der Branche ist «Mobility as a Service», also Apps oder Dienste, bei denen verschiedene Transportmöglichkeiten kombiniert und gebucht werden können. Ein Thema auch für Postauto?
Absolut. Ein Beispiel ist «sorglos mobil» in Zug. Zusammen mit einer Immobilienfirma, Mobility und einem Bikesharing-Anbieter haben wir in einer Überbauung für die Mieterinnen und Mieter ein Mobilitäts-Abo entwickelt. Sie können aus verschiedenen Optionen wählen. In diese Richtung wird es auch für Firmen gehen. Wir sind mit Post Company Cars ja auch im Flottenmanagement für Dritte tätig und können in diesem Bereich einen Akzent setzen. Denkbar wären etwa Mobilitäts-Abos für Angestellte.

Ein grosses Thema ist auch die Elektrifizierung. Sie sind für alle Fahrzeuge der Post zuständig. Wie hoch ist der Anteil der Elektroautos derzeit?
Ein Drittel der Fahrzeuge der Post hat einen Elektroantrieb. Die Dreiräder der Post sind sogar zu 100 Prozent elektrifiziert. Bei der Paketzustellung wollen wir bis 2030 so weit sein, bei den grossen Städten früher. Komplexer wird es bei den Postautos. Dort sind wir erst am Anfang. Wir wollen noch vor 2030 das letzte Mal einen Dieselbus beschaffen. Das ist anspruchsvoll. Wir entscheiden das nicht alleine. Das sind aufwändige Prozesse mit den Bestellern, also vor allem den Kantonen. Unterschätzt haben wir auch, wie aufwändig es ist, ein ganzes System umzustellen.

Wie meinen Sie das?
Wir müssen uns etwa überlegen, wo die Ladestationen gebaut werden müssen und wo es eine Zwischenladung braucht und so weiter. Unsere Depots sind nicht zwingend die besten Orte fürs Laden. Auf Bergstrecken wiederum sind Batteriebusse noch nicht effizient genug. Dort stellt sich die Frage, ob es gehen wird. Wir schauen deshalb auch Alternativen an – bei Bussen Wasserstoff und synthetischer Diesel. Beide Technologien sind noch nicht ganz marktreif. Es gibt schlicht zu wenig Wasserstoff, wenn wir jetzt 1000 Busse bestellen würden. Wir setzen aktuell prioritär auf Elektrobusse - dort, wo es Sinn ergibt. Für die übrigen Strecken bleiben uns zum Glück noch einige Jahre Zeit, um uns zu entscheiden.

Werden die Akkus sich noch einmal so stark weiterentwickeln, dass Elektro-Busse in den Bergen möglich werden?
Das wissen wir noch nicht. Deshalb müssen wir offen bleiben. Bei uns im Regionalverkehr ist das etwas schwieriger als anderswo. Die Stadt Zürich etwa hat entschieden, nur noch Elektrobusse zu beschaffen. Aber die Verkehrsbetriebe haben einen homogenen Park, die Stadt ist relativ flach und die Verkehrsbetriebe können auch über die Standorte von Ladestationen selbst entscheiden. Wir sind hingegen dezentral aufgestellt, betreiben 190 Betriebshöfe und müssen mit 24 Kantonen verhandeln.

Sind Elektrobusse noch immer deutlich teurer?
Die Anschaffungskosten sind fast doppelt so hoch, aber die Betriebskosten sind tiefer. Unter dem Strich sind Elektrobusse noch immer ein bisschen teurer, aber in ein paar Jahren wird das vergleichbar sein mit Diesel. Die einzige Unsicherheit ist die Preisentwicklung für Diesel und Strom.

Verschärft die Elektrifizierung Ihrer Flotte nicht noch das Problem der Stromlücke?
Das haben wir auf dem Radar. Immerhin kann die Schweiz heute rund 90 Prozent ihres Bedarfs selbst produzieren. Beim Öl und Diesel beträgt dieser Anteil 0 Prozent. Auch bei stark steigender Elektromobilität bleiben wir deutlich unabhängiger, als dies heute mit den fossilen Treibstoffen der Fall ist.

Die Dieselpreise steigen. Im Ausland mussten erste Busunternehmen die Preise erhöhen. Wie sieht es bei ihnen aus?
Für dieses und nächstes Jahr sind wir abgesichert. Wir haben etwa 95 Prozent der benötigten Dieselmengen abgesichert. Wenn der Preis in einem Jahr aber noch immer so hoch ist, werden wir die Diskussion über höhere Preise führen müssen. Dann müssen sich die Kantone fragen, ob sie die Mehrkosten übernehmen wollen. Ob es Ende 2023 eine Preiserhöhung gibt, ist deshalb offen. Die Energiepreise werden eine wichtige Komponente in dieser Diskussion sein.

Während der Coronakrise haben viele auf bargeldloses Bezahlen und Apps wie Fairtiq umgestellt. Wie viele Passagiere kaufen überhaupt noch ihr Ticket mit Bargeld an der Postauto-Kasse?
Die gibt es noch, aber ein sehr grosser Teil der Kundinnen und Kunden hat ein Abo oder nutzt andere Kanäle. Rund 3 Prozent benützen für den Ticketkauf beim Fahrer Twint. Das Handling von Bargeld in den Bussen ist teuer und birgt auch ein Diebstahlrisiko.

Welche Lösung sehen Sie vor?
Wir prüfen die Installation bargeldloser Automaten in den Fahrzeugen.

Das Bargeld wird in der Schweiz sehr emotional diskutiert…
Die Schweiz ist diesbezüglich eine Ausnahme. Das müssen wir akzeptieren. Ich kann nur festhalten: Bargeld ist eine Belastung für die Fahrerinnen und Fahrer, für das System und die Erträge, die wir mit Bargeld-Tickets im Bus machen, sind sehr tief. Kommerziell ist es eigentlich ein Unsinn. Aber klar: Wir sind ein Service-Public-Unternehmen und bieten die Dienstleistungen an, die gewünscht werden.

Die Coronakrise hat zu Konflikten geführt wegen der Maskenpflicht im ÖV. Wie sieht es im Moment aus?
Nach dem Ende der Maskenpflicht am 1. April trugen zunächst noch bis ein Drittel der Fahrgäste eine Maske. Es wurden täglich weniger, und jetzt sind es vielleicht noch 10 Prozent.

Die Coronamassnahmen sind aufgehoben. Was hat die Branche gelernt – auch mit Hinblick auf eine allfällige weitere Welle im Herbst?
Wir haben in den letzten zwei Jahren gesehen, was wirkt und was nicht. Was nichts brachte, ist die Reduktion des Fahrplans. Kurzfristig kann man damit keine Kosten sparen und verschlechtert mit riesigem Aufwand das Angebot. Bei den Ansteckungen hatten wir nie grossflächige Probleme, mussten aber in den Betriebshöfen aufpassen, wo sich viele Fahrer trafen. Das Plexiglas bei den Fahrern hat sehr viel Goodwill geschaffen. Wir hatten nie mehr Ansteckungen, als es gesamtschweizerisch der Fall war, obwohl unsere Leute jeden Tag mit vielen Fahrgästen unterwegs sind. Das zeigt mir, dass wir im ÖV keine spezielle Gefährdung hatten. Aber wir hoffen natürlich alle, dass die Massnahmen nicht noch einmal nötig werden. (aargauerzeitung.ch)

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17 Bilder, die zeigen, wir wir früher im Zug reisten
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17 Bilder, die zeigen, wir wir früher im Zug reisten
Füsse raus, Dose auf, Stumpen rein: Dieser Herr lässt es sich 2003 in der ersten Klasse zwischen Schüpfheim-Konolfingen gutgehen.
quelle: keystone/martin ruetschi
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