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Italiener missbrauchte Vierjährige – Bundesgericht stoppt Ausschaffung

Italiener missbraucht Vierjährige: Bundesgericht lässt Ausschaffung überprüfen

Ein heute 52-jähriger Italiener verging sich beim Kinderhüten an einem Mädchen. Das Obergericht Zürich verurteilte ihn zu sechs Jahren Haft und ordnete einen Landesverweis an. Dagegen hat sich der Kunstmaler gewehrt – vorerst mit Erfolg.
06.08.2024, 07:5206.08.2024, 09:40
Kari Kälin / ch media
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Schwarzes schaf
Schwarze Schafe: Mit diesem Sujet warb die SVP für die Ausschaffungsinitiative.bild: keystone

«Es ist schrecklich, was ich getan habe, es tut mir unendlich leid», sagte der heute 52-jährige Italiener im Frühling 2023 bei der Verhandlung vor dem Obergericht Zürich. Der IV-Rentner erklärte, er sei nicht pädophil, das habe ihm ein Psychiater attestiert. Sein Fehlverhalten führt er auf seinen exzessiven Cannabiskonsum zurück: Er rauchte damals täglich 10 bis 15 Joints.

Die Taten wiegen schwer. Das Obergericht Zürich verurteilte den Mann wegen mehrfacher sexueller Handlungen mit Kindern, mehrfacher Schändung, mehrfacher Pornografie und anderen Delikten zu einer Freiheitsstrafe von 6 Jahren. Dazu ordnete es eine Landesverweisung für 7 Jahre an. Sexueller Missbrauch von Kindern und Schändung sind sogenannte Katalogstaten, die automatisch zu einer Ausschaffung führen.

Der Mann hütete zwischen Juni 2017 und August 2018 das vierjährige Mädchen, dessen Zwillingsbruder und ein weiteres Geschwister. Es handelte sich um Nachbarskinder. Das Ziel lautete, eine alleinerziehende Mutter zu entlasten. Der Italiener missbrauchte aber seine Hilfsdienste; er verging sich mehrfach an der schlafenden Zwillingsschwester und filmte die Taten. Die Sache flog auf, als er beim Besprayen einer S-Bahn der SBB in Schaffhausen erwischt wurde. Auf dem Mobiltelefon stiess die Polizei auf den Kindesmissbrauch.

Der Italiener ist in der Schweiz geboren. Er wuchs mit seinen Eltern und seiner Schwester in Zürich auf. Er absolvierte hierzulande die ganze Schulzeit und schloss eine Berufslehre als Polymechaniker ab. Er machte sich zwischenzeitlich selbstständig. Aus psychischen Gründen bezieht er seit nunmehr sieben Jahren eine IV-Rente. Sein monatliches Einkommen beträgt 4500 Franken. Da er 50'000 Franken Schulden angehäuft hat, wird sein Einkommen bis auf das Existenzminimum gepfändet. Einbürgern liess er sich nie.

Er hat eine erwachsene Tochter und ein Enkelkind

Der Mann ist Vater einer erwachsenen Tochter und bereits Grossvater. Seine Tochter treffe er zwei- bis dreimal pro Monat, die Enkeltochter hingegen, die in einem Heim lebt, sehe er nicht so häufig. Regelmässigen Kontakt pflegt er zu seiner Schwester. Unterdessen hat er den Drogen abgeschworen, besucht regelmässig eine Therapie, treibt Sport, hat 17 Kilo abgenommen. Seine familiären Verbindungen zu Italien: eine Tante und ein Onkel.

Angesichts dieser Ausgangslage machte der Italiener einen persönlichen Härtefall geltend. Bei einem persönlichen Härtefall können Gerichte ausnahmsweise von einer Landesverweisung absehen. Dabei müssen sie der besonderen Situation von Ausländern Rechnung tragen, die in der Schweiz geboren oder aufgewachsen sind. Eine Rolle spielt auch das Recht auf Achtung des Familienlebens gemäss der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK).

Obergericht sieht Jobchancen in Südtirol

Das Obergericht Zürich erkannte keinen Härtefall. Es fand: Selbst bei einer grosszügigen Auslegung des Familienbegriffs kann beim Italiener nicht von einem Zusammenleben im Sinne der EMRK ausgegangen werden. Seine Tochter zweimal monatlich zu treffen, genüge nicht. Das Obergericht hielt weiter fest, der Mann sei auch wirtschaftlich und gesellschaftlich nicht gut integriert. Und eine neue Lebenspartnerin begründe noch keine Kernfamilie.

Er sei in der Vergangenheit mehrmals als Künstler – er fertigt Auftragsmalereien an – in Italien tätig gewesen, und dank dem Freizügigkeitsabkommen habe er auch in Italien Anrecht auf seine IV-Rente. Die sozialen Kontakte zur Schweiz könne er anders aufrechterhalten, seine Verwandten könnten ihn in Italien besuchen. Auch habe er im Südtirol, im deutschsprachigen Teil Italiens, durchaus gute Chancen auf dem Arbeitsmarkt.

Jetzt hat das Bundesgericht die Landesverweisung aufgehoben, wie aus einem am Montag publizierten Urteil hervorgeht. Anders als das Obergericht liegt für die Richter in Lausanne ein Härtefall vor – weil der Italiener sein ganzes Leben in der Schweiz verbracht, hierzulande die Schule besucht und gearbeitet hat, und weil neben Tochter, Enkeltochter und Schwester auch seine aktuelle Freundin hier lebt. Der Mann weist laut Bundesgericht derart enge Verbindungen zur Schweiz auf, dass eine Ausschaffung auch das Recht auf sein Privat- und Familienleben verletzen würde.

Das Bundesgericht moniert, das Zürcher Obergericht habe es unterlassen abzuwägen, ob das private Interesse des Italieners am Verbleib in der Schweiz nicht grösser ist als das öffentliche Interesse an dessen Ausschaffung. Das Obergericht muss also auf Geheiss des Bundesgerichts entscheiden, ob es trotz persönlichen Härtefalls an der Landesverweisung festhält oder nicht.

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37 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Chalbsbratwurst
06.08.2024 08:55registriert Juli 2020
"Einbürgern liess er sich nie."

Tja... so wie viele andere wollte er stolzer Italiener bleiben und kein Bünzli-Schweizer sein. Zudem hat er sich damit auch vor den Militärdienst gedrückt. Jetzt wo er nach Italien gehen müsste will er plötzlich nichts mehr mit Italien zu haben. Immer so wie es gerade zu seinem Vorteil ist.

Werft ihn raus! Es hat ihn niemand gezwungen die Straftaten zu begehen und Kiffen ist ganz sicher keine Ausrede dafür. Und wenn diese Straftaten nicht Grund genug sind für einen Landesverweis, welche dann?
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insert_brain_here
06.08.2024 08:21registriert Oktober 2019
Echt jetzt? Nachdem gestern beim Artikel zu dem Fall der irreführende Titel zumindest noch korrigiert wurde kommt nun dieser?
Nochmal: Das BG hat NICHT entschieden, dass der Mann aufgrund seiner familiären Bindungen nicht ausgeschafft werden darf sondern lediglich festgestellt, dass das zürcher Obergericht diesbezüglich keine saubere Interessenabwägung gemacht bzw. im Urteil nicht aufgeführt hat und entsprechend die untere Instanz angewiesen dies zu tun. Aus dem Urteil:

„Demnach ist vorliegend eine Interessenabwägung im Sinne von Art. 66a Abs. 2 StGB resp. Art. 8 Ziff. 2 EMRK vorzunehmen.“
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Voraus denken!
06.08.2024 08:15registriert März 2022
"dass eine Ausschaffung auch das Recht auf sein Privat- und Familienleben verletzen würde."

Der Täterschutz ist mal wieder höher gewertet als der Schutz der hier lebenden Menschen!

Es gibt leider zu viele, auch hier in der Kommentarspalte, die dies auch noch feiern.

Eine absolut unverständlich selbstzerstörerische Haltung!
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