Die Bundesanwaltschaft (BA) bleibt bis mindestens im März 2021 führungslos. Wie die Gerichtskommission am Mittwoch bekannt gab, wird die Stelle des Bundesanwalts erneut ausgeschrieben. Anstatt in der nächsten Woche beginnenden Wintersession soll die Vereinigte Bundesversammlung erst während der Frühlingssession im März 2021 einen neuen Bundesanwalt oder eine neue Bundesanwältin wählen.
Frei geworden war die Stelle durch den Rücktritt Michael Laubers im August 2020. Der bisherige Bundesanwalt kam damit einem möglichen Amtsenthebungsverfahren zuvor. Die oberste Strafverfolgungsbehörde des Landes wird seither interimistisch von Laubers zwei Stellvertretern geleitet.
Grund für die Extrarunde: Die Gerichtskommission war unzufrieden mit der Qualität der vorliegenden Bewerbungen. Am Ende waren nur noch zwei Personen im Rennen. Der Genfer Generalstaatsanwalt Olivier Jornot (51), Mitglied der FDP, sowie der parteilose Andreas Müller (57) aus dem Kanton Freiburg, der aktuell als Staatsanwalt bei der Bundesanwaltschaft (BA) tätig ist.
Die Kommission hörte Jornot und Müller am Mittwoch ein zweites Mal an, nachdem die beiden ein externes Evaluationsverfahren durchlaufen hatten. Eine Mehrheit der 17 Kommissionsmitglieder aus National- und Ständerat zog daraufhin die Reissleine. Weder Jornot noch Müller bringen «sämtliche persönlichen und beruflichen Fähigkeiten» mit, die es für ein «derart exponiertes Amt» braucht, schreibt die Kommission in einer Mitteilung. «Wir waren der Ansicht, eine Wahlempfehlung für einen der beiden Kandidierenden wäre nicht zu verantworten gewesen», erläutert Kommissionspräsident Andrea Caroni auf Anfrage.
Die Stelle werde nun umgehend neu ausgeschrieben, kündigt FDP-Ständerat Caroni an. Die Bewerbungsfrist läuft bis Anfang Jahr. Danach geht es Schlag auf Schlag: Am 20. Januar trifft sich die zuständige Subkommission, am 10. Februar findet eine erste, am 24. Februar eine zweite Anhörung mit den Kandidierenden statt.
Damit endet der erste Anlauf zur Suche nach einer Lauber-Nachfolge erfolglos. Das Prozedere war von Anfang an unter einem unglücklichen Stern gestanden. Das Scheitern mehrerer prestigeträchtiger Strafverfahren der BA, die Querelen rund um Michael Lauber und seine nicht-protokollierten Treffen mit Fifa-Präsident Gianni Infantino, Laubers öffentlich ausgetragenen Konflikte mit der Aufsichtsbehörde über die Bundesanwaltschaft (AB-BA), die Kritik in den Medien, aus der Politik und aus Juristenkreisen: Unter all dem litt das Ansehen der Institution und die Attraktivität der Stelle des Bundesanwalts.
Diese hat mit einem Jahressalär von 300'000 Franken, der Hoheit über ein Budget von jährlich 70 bis 80 Millionen Franken und 200 MitarbeitendeN zwar einiges zu bieten. Doch steht der Stelleninhaber im Fokus der Öffentlichkeit wie sonst kaum ein Bundesangestellter: «Bundesanwalt ist eine Position zwischen dem Hammer der Politik und dem Amboss der Justiz», formulierte es SVP-Ständerat Hannes Germann gegenüber der «NZZ am Sonntag».
Nur gerade ein halbes Dutzend Bewerbungen gingen für den Job ein. Die Hälfte wurde bereits in der Vorauswahl aussortiert, eine weitere Kandidatur schaffte es nicht über die erste Anhörung hinaus. Für die verbleibenden Anwärter Jornot und Müller kam das Ende im letzten Schritt des zweistufig konzipierten Verfahrens. Diesem drohte bereits vor zwei Wochen der vorzeitige Abbruch. Laut Radio SRF lehnte damals nur eine hauchdünne Mehrheit der Kommission den Antrag ab, die Stelle neu auszuschreiben, ohne das Ergebnis des Evaluationsverfahrens und der zweiten Anhörung von Jornot und Müller abzuwarten.
Weshalb sich die Gerichtskommission zwei Wochen später zu diesem Schritt entschieden hat, will ihr Präsident Andrea Caroni nicht im Detail verraten. Er verweist auf die Medienmitteilung, wo vom Wunsch nach einer «Person mit langjähriger Erfahrung in einem vergleichbaren Amt und umfassenden Führungskompetenzen» die Rede ist, «die geeignet ist, Ruhe in eine Behörde zu bringen, um die es in den letzten Jahren viel Wirbel gab».
Für den zweiten Anlauf will die Gerichtskommission die Alterslimite auf 68 Jahre erhöhen. Bisher müsste eine Bundesanwältin mit 64, ein Bundesanwalt mit 65 in Pension gehen. Die Gerichtskommission bittet die Rechtskommissionen von National- und Ständerat, die entsprechende Gesetzesgrundlage anzupassen. Laut Andrea Caroni sei der Gerichtskommission die Existenz dieser Alterslimite erst im Laufe des Verfahrens bewusst geworden: «Sie liegt tiefer als bei den Bundesrichtern und normalen Bundesverwaltungsangestellten und diskriminiert weibliche gegenüber männlichen Bewerbern», so der Ausserrhoder Ständerat.
Die Änderung habe man nicht im Hinblick auf eine bestimmte Person getroffen, die sich wegen der Alterslimite nicht beworben habe, betont Caroni: «Aber natürlich wird der Kandidatenpool dadurch erweitert». Es sei denkbar, dass sich beispielsweise erfahrene Strafverfolger aus den Kantonen um die 60 Jahre aufgrund der Altersguillotine nicht beworben hätten. Vom zweiten Anlauf erhofft er sich auch aus anderen Gründen neue Bewerbungen: «Es gibt immer Leute, die sich beim ersten Mal nicht vorwagen, es sich dann aber nochmals anders überlegen.» Denkbar sei auch, dass die nun gescheiterte Kandidatur des bekannten Genfer Generalstaatsanwalts Olivier Jornots andere Mitbewerber abgeschreckt habe.
Warum in der ersten Runde niemand das Rennen gemacht hat, will Caroni nicht im Detail verraten. Olivier Jornot dürfte als langjähriger Leiter der Genfer Strafverfolgungsbehörden zwar viele Voraussetzungen erfüllt haben. Der frühere Genfer Grossrat gilt als führungsstark, durchsetzungsfähig, erfahren im Umgang mit Medien und verfügt über ein grosses Organisationstalent.
Ob mit ihm an der Spitze die gewünschte Ruhe in die Bundesanwaltschaft eingekehrt wäre, ist aber fraglich: Jornot kann aufbrausend sein und hat mit seinem Verhalten immer wieder für Negativschlagzeilen gesorgt: Als Grossrat geriet er 2004 auf dem Parkplatz eines Einkaufszentrums mit einem Paar dermassen heftig aneinander, dass er wegen einer Tätlichkeit verurteilt wurde.
Und 2016 musste er bei der Aufsichtsbehörde der Genfer Justiz antraben, weil er bei der Jahresabschlussfeier seiner Behörde einer alkoholisierten Untergebenen in einem Genfer Nachtclub zu nahe gekommen war. Ausserdem zeigten Recherchen von CH Media, dass der gern als knallharter «Sheriff» auftretende Jornot einen beschuldigten Genfer Chefarzt möglicherweise ungerechtfertigt vor einer Anklage bewahrt hatte.
Gegen den zweiten Kandidaten Andreas Müller, dessen Name erst Anfang Woche durch Tamedia-Recherchen bekannt geworden war, dürfte vor allem dessen mangelnde Führungserfahrung gesprochen haben. Als Mitarbeiter des Rechtsdienstes kennt er zwar das Innenleben der Bundesanwaltschaft. In der Strafverfolgung hat der Staatsanwalt des Bundes und ehemalige eidgenössische Untersuchungsrichter und Jugendanwalt viel Erfahrung. Doch hat ihm in den Augen der Kommissionsmehrheit wohl die Erfahrung im Umgang mit den Medien und der Politik gefehlt, die an der Spitze der Bundesanwaltschaft nötig sind.
Kevin Justin Bünzli
So habe ich das gar noch nie betrachtet.
Gegen solche Diskriminierungen muss etwas getan werden. Sofort das Rentenalter aller Frauen an das der Männer angleichen.
ETH1995