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Fall Rupperswil: Thomas N. und die Gefängniswärterin

THEMENBILD ZUM VERSUCH RISIKOORIENTIERTER STRAFVOLLZUG --- Ein Gang der neuen forensisch-psychiatrischen Abteilung der Strafanstalt Poeschwies, am Mittwoch, 21. Oktober 2009, in Regensdorf. Die neue A ...
Annäherung hinter Gefängnismauern: Blick in die Strafvollzugsanstalt Pöschwies ZH.Bild: KEYSTONE

Wie Rupperswil-Mörder Thomas N. eine Gefängniswärterin manipulierte

Eine Gefängnisangestellte entwickelte Gefühle für den Mörder von Rupperswil – jetzt reagiert das Amt für Justizvollzug.
15.12.2018, 06:2815.12.2018, 17:03
andreas maurer / schweiz am wochenende
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Ein Artikel von Schweiz am Wochenende
Schweiz am Wochenende

Thomas N., der Vierfachmörder von Rupperswil, hatte in den 33 Jahren seines Lebens vor seiner Tat nur eine Bezugsperson: seine Mutter. Er war nicht in der Lage, zu anderen Menschen eine langfristige Beziehung aufzubauen. Auch im Gefängnis bleibt die Mutter für ihn wichtig. Sie besucht ihn alle zwei Wochen. Er nutzt die vier Stunden Besuchszeit, die ihm im Gemeinschaftsraum zustehen, sowie die 160 Minuten Telefongespräche nur für sie.

In der Justizvollzugsanstalt Pöschwies in Regensdorf ZH, in der N. sitzt, ist eine neue Vertrauensperson im Leben des Vierfachmörders aufgetaucht. Zu einer Angestellten der Anstalt hat er eine Beziehung aufgebaut, die über den üblichen Kontakt zwischen Aufseherinnen und Insassen hinausgeht.

Er heulte sich bei ihr aus, als er erfahren hatte, dass die Staatsanwältin ein weiteres Gutachten in Auftrag gegeben hatte. Dieser Verfahrensschritt bedeutete für ihn, dass ihm die Verwahrung drohte. Die Fachfrau hatte Mitleid mit ihm und wollte ihm helfen. Sie wählte die Nummer der Aargauer Staatsanwältin Barbara Loppacher und kritisierte die Ermittlerin für ihre Untersuchungshandlung. Thomas N. sei nun wegen ihr «völlig durch den Wind», soll die Justizvollzugsangestellte gejammert haben.

Loppacher machte den Vorfall diese Woche an der Gerichtsverhandlung publik. Sie wollte damit die Fähigkeit des Mörders illustrieren, andere Leute zu manipulieren. Gleichzeitig deckte sie dadurch allerdings auch einen mutmasslichen Regelverstoss im sichersten Gefängnis der Schweiz auf.

Amtsvorsteher wusste nichts

Thomas Manhart leitet das Zürcher Amt für Justizvollzug und ist für Thomas N. verantwortlich. Am Donnerstagabend erfährt er über diese Zeitung von der Anschuldigung der Staatsanwältin und reagiert umgehend. Er startet Abklärungen und schreibt: «Mir ist der Fall nicht bekannt. Ich finde es auch etwas merkwürdig, dass die Staatsanwältin mich deswegen nicht kontaktiert hat. Das werde ich nun meinerseits nachholen.»

Am Freitag stellt er die Staatsanwältin zur Rede und lässt danach ausrichten, dass sich der Vorfall im Frühjahr 2017 ereignet habe. Die Mitarbeiterin habe sich wegen N.s «psychischer Belastung durch das Gutachten» an die Staatsanwältin gewandt.

Grundsätzlich könne es etwa bei einer Suizidgefährdung angebracht sein, die fallführende Staatsanwältin über besondere Vorkommnisse zu informieren. Inzwischen arbeite die Frau nicht mehr in der Pöschwies. Deshalb könnten die Hintergründe nicht weiter untersucht werden.

Das berühmteste Knastpaar

In jüngerer Zeit hat eine Zürcher Anstalt sogar international Schlagzeilen ausgelöst, weil eine Aufseherin vergass, was sie in der Ausbildung gelernt hatte. Der richtige Umgang mit Nähe und Distanz ist ein zentraler Bestandteil des Lehrgangs für Justizvollzugsmitarbeitende. Die Frau, die zur berühmtesten Gefängnisaufseherin der Schweiz wurde, heisst Angela Magdici. Die damals 27-Jährige befreite den 32-jährigen Vergewaltiger Hassan Kiko aus dem Gefängnis Limmattal. Die Verliebten flüchteten nach Italien und wurden erst nach sieben Wochen verhaftet. Zurück im Gefängnis heirateten sie.

Es ist allerdings nicht davon auszugehen, dass sich Thomas N. körperlich zur Gefängnismitarbeiterin hingezogen fühlt, da er pädophil und homosexuell ist. N. gelang es 33 Jahre lang, seiner Mutter vorzuspielen, er sei ein ganz normaler Sohn. Die Staatsanwältin geht davon aus, dass er die Angestellte ebenfalls mit Lügengeschichten vereinnahmte.

Lob von der Gefängnisleitung

Die Pöschwies ist mit 400 Plätzen und 260 Angestellten die grösste Justizvollzugsanstalt der Schweiz. Der Mann, der vier Menschen die Kehle durchgeschnitten hat, gilt als angenehmer Insasse. In den bisherigen zweieinhalb Jahren Haft ging wegen ihm kein einziger Rapport ein. Dabei sind diese an der Tagesordnung. Im vergangenen Jahr war die Anstalt mit durchschnittlich 335 Gefangenen belegt. Diese verhielten sich 411 Mal daneben, so viele Rapporte gingen bei der Anstaltsleitung ein, meist wegen negativem Verhalten in der Gruppe. Das führte zu 781 Disziplinarmassnahmen. Keine betraf N.

In einem Gutachten des Gefängnisses erhielt er sogar Lob. Im Vergleich zu anderen Sexualstraftätern wurde er als geringeres Risiko eingestuft. Deshalb kommt der Schwerverbrecher in den Genuss eines lockeren Haftregimes. Seine Zelle ist tagsüber geöffnet, er muss keine Handschellen tragen. Jeden Tag darf er sich in offenen Arbeitsräumen aufhalten. Er nutzte die Gelegenheit für eine neue Bekanntschaft.

Vierfachmord von Rupperswil AG

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Vierfachmord von Rupperswil AG
Barbara Loppacher, leitende Staatsanwältin der Staatsanwaltschaft Lenzburg-Aarau, informiert wahrend der Medienkonferenz zum Tötungsdelikt Rupperswil.
quelle: keystone / alexandra wey
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32 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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ARoq
15.12.2018 12:18registriert September 2014
"N. gelang es 33 Jahre lang, seiner Mutter vorzuspielen, er sei ein ganz normaler Sohn. "
Also schon als Säugling und Kleinkind. Woher weiss der Autor das?
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HenryJames
15.12.2018 16:51registriert Februar 2018
Der Artikel geht unter dem motto: Was wollen wir denn heute schreckliches über T. N. schreiben? Vorschlag: Wenn's nix zu schreiben gibt: Nix schreiben.
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Ökonometriker
15.12.2018 11:38registriert Januar 2017
Warum soll der Häftling die Aufseherin in diesem Fall manipuliert haben? Es kann doch davon ausgegangen werden, dass er tatsächlich ziemlich unglücklich über die Vorstellung war, nie mehr wieder in Freiheit leben zu können. Es gibt keinen Grund zur Annahme, dass diese Emotionen nicht echt, sondern gespielt sind.

Dass man in so einem Fall Mitgefühl empfindet, ist dann auch menschlich. Es sei denn man ist, wie der Täter, ein Psychopath und kann nicht ausreichend Mitgefühl empfinden.
Dann aber für den Täter aufgebracht einzustehen zeigt, dass man dem Job als Aufseher nicht gewachsen ist.
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