Das aufgehobene Urteil gegen den ehemaligen Chef der Nationalpolizei von Guatemala hatte das Genfer Kantonsgericht 2018 gefällt. In einem für Montag zur Veröffentlichung vorgesehenen Urteil heisst das Bundesgericht das Revisionsgesuch von Sperisen teilweise gut. Das Urteil gelangte wegen dem Bruch der Sperrfrist durch ein Medium vorzeitig am Freitag an die Öffentlichkeit.
Die Lausanner Richter stützen sich auf das EGMR-Urteil vom 13. Juni. Der Menschenrechtsgerichtshof in Strassburg war zum Schluss gekommen, dass die Präsidentin der Beschwerdekammer des Genfer Berufungsgerichts beim Prozess im April 2017 befangen war. Damit sei das Recht des schweizerisch-guatemaltekischen Doppelbürgers auf ein unparteiisches Gericht verletzt worden.
In seinen Erwägungen wies das Bundesgericht die Einwände der Genfer Staatsanwaltschaft gegen die Begründung des EMGR zurück. Die Staatsanwaltschaft war der Ansicht, dass keine Massnahmen ergriffen werden sollten, da die Strassburger Richter sich auf einen falschen Sachverhalt gestützt hätten.
Im weiteren beschied das Bundesgericht die Genfer Staatsanwaltschaft, der Entscheid aus Strassburg sei endgültig. Die Schweiz sei der europäischen Erklärung der Menschenrechte verpflichtet und setze sich für den Vollzug der EMGR-Beschlüsse ein. Es sei damit nicht an der höchsten Schweizer Instanz, die Begründungen des EMGR zu erörtern.
Sein eigenes Urteil von 2019 mit der Bestätigung der Strafe für Sperisen hob das Bundesgericht nicht auf. Die Dauer des Verfahrens von elf Jahren bezeichnete es zudem als nicht übermässig lang. Sie erkläre sich mit der äussersten Schwere des Falls und dem internationalen Charakter.
In seinem Entscheid befand das Bundesgericht, Sperisen müsse in die Lage zurück versetzt werden, in dem er sich vor dem Zeitpunkt der als voreingenommen gerügten Äusserungen der Genfer Gerichtspräsidentin befunden hatte. Das Genfer Berufungsbericht muss das Verfahren somit auf dem Stand von Anfang Oktober 2017 wieder aufnehmen.
Das Bundesgericht entschied nicht über eine Freilassung von Sperisen. Diese wurde aufgrund eines Rekurses der Genfer Staatsanwaltschaft Ende September ausgesetzt. Zuvor hatte das kantonale Straf- und Massnahmenvollzugsgericht die Freilassung des 53-Jährigen angeordnet. Der Entscheid liegt wieder bei diesem Gericht.
Die Genfer Staatsanwaltschaft nahm das Urteil zur Kenntnis. Sie erinnerte jedoch daran, dass das EGMR-Urteil und das Bundesgerichtsurteil «sich ausschliesslich auf die Frage der scheinbaren Befangenheit einer Richterin beziehen und keineswegs auf die Gründe, die zur Verurteilung von Erwin Sperisen geführt haben».
Westschweizer Medien spekulierte über eine Freilassung bereits am Freitagnachmittag. Sperisen sitzt seine Strafe in der Berner Strafanstalt Witzwil ab. Inhaftiert ist er seit 2012. Im Februar 2024 könnte er nach Verbüssen von zweit Dritteln seiner Strafe bedingt freikommen.
Sperisen wurde 2012 in Genf festgenommen, wohin er 2007 mit seiner Familie geflohen war. Im April 2018 verurteilte ihn das Genfer Kantonsgericht in zweiter Instanz zu 15 Jahren Haft wegen Beihilfe zum Mord.
Die Richter befanden ihn für schuldig, bei der Erstürmung der Strafanstalt «El Pavon» durch die Sicherheitskräfte im Jahr 2006 an der Ermordung von sechs Gefangenen mitgewirkt und einen weiteren eigenhändig erschossen zu haben. Das Bundesgericht bestätigte dieses Urteil im November 2019. (Urteil 6F_33/2023) (sda)