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Justiz

Tötung in Aarauer Asylunterkunft: «Innerseelische Explosion» oder Mord?

Messerattacke in Aarauer Notspital: Iranischer Asylbewerber muss 17 Jahre ins Gefängnis

14.11.2018, 13:2314.11.2018, 15:58
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Bezirksgericht Aarau
Bild: Bezirksgericht Aarau

Mit 17 Jahren Freiheitsentzug hat das Bezirksgericht Aarau am Mittwoch einen 29-jährigen Mann bestraft. Es sprach ihn der vorsätzlichen Tötung und des versuchten Mordes schuldig. Eine Verwahrung, wie sie die Anklage gefordert hatte, sprach das Gericht nicht aus.

Der Iraner hatte am 20. August 2016 in einer unterirdischen Asylunterkunft in Aarau einen 43-jährigen Landsmann mit Messerstichen getötet und einen anderen so schwer verletzt, dass er seither behindert ist.

Dem 27-jährigen Überlebenden und dessen Eltern muss er laut Gericht Schadenersatz zahlen. Zudem hat er ihnen Genugtuung von insgesamt 170'000 Franken zu entrichten. Der Mutter des Getöteten sprach das Gericht eine Genugtuung von 15'000 Franken zu. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig.

Der Staatsanwalt, der wegen Mordes und versuchten Mordes 18 Jahre und Verwahrung gefordert hatte, will von sich aus keine Berufung einlegen, wie er auf Anfrage sagte. Der Verteidiger wartet die schriftliche Begründung ab und entscheidet erst dann mit seinem Mandanten über einen allfälligen Weiterzug. Er hatte 8,5 Jahre wegen vollendeten und versuchten Totschlags beantragt.

Keine Bedrohungslage

Als versuchten Mord qualifizierte das Gericht den Angriff auf den heute 27-Jährigen. In der kurzen mündlichen Urteilsbegründung erklärte die Gerichtsvorsitzende, der Beschuldigte habe heimtückisch gehandelt. Der Angegriffene habe an jenem Samstagmorgen um 6.45 Uhr noch geschlafen. Grund für die Attacke seien Kleinigkeiten gewesen.

Tatsächlich habe es Konflikte gegeben, wie einige Mitbewohner ausgesagt hätten. Noch am Vorabend der Bluttat seien die beiden verbal aneinander geraten. Aber laut den Zeugen bestand keine Bedrohungslage, wie sie der Beschuldigte geltend gemacht hatte.

Die Aufnahmen der Videoüberwachung der Asylunterkunft zeigten, dass er vor der Tat ein Messer im Ärmel versteckt hatte. Die Tat sei also geplant gewesen und nicht im Affekt erfolgt. «Er ging gezielt auf ihn los und wollte ihn töten».

Keinen Mord - der unter anderem besondere Skrupellosigkeit voraussetzt - sondern vorsätzliche Tötung sah das Gericht beim Angriff auf den 43-Jährigen als gegeben. Zwar sei der Beschuldigte auch auf diesen Mann gezielt losgegangen, als er dem 25-Jährigen zu Hilfe eilte. Die Tat sei aber nicht geplant gewesen.

Keine Verwahrung

Eine Verwahrung, wie der Staatsanwalt sie forderte, sprach das Gericht nicht aus. Das Rückfallrisiko sei vom Gutachter nicht so hoch eingestuft worden, dass die besonders hohen Anforderungen für eine Verwahrung von Ersttätern erfüllt wären.

Ob der Mann nach Verbüssung der Strafe aus der Schweiz und dem Schengenraum ausgewiesen wird, entscheidet nicht das Gericht, sondern die Migrationsbehörden. Die entsprechenden Bestimmungen im Strafgesetzbuch traten erst nach dem Tatzeitpunkt in Kraft.

Am Tatmorgen stand der Beschuldigte mit anderen Bewohnern der Asylunterkunft vor der Anlage, um zu rauchen. Dabei versteckte er ein Messer im Ärmel. Zielgerichtet ging er dann in den Schlafsaal, in dem der damals 25-Jährige schlief, und ging mit dem Messer auf diesen los.

Als andere Mitbewohner ihn zurückhalten wollten, stach er auf den 43-Jährigen ein, verfolgte den Flüchtenden in den Korridor hinaus und traktierte ihn weiter mit dem Messer, so dass er verblutete.

Dann kehrte der Beschuldigte zurück zum ersten Opfer und stach mit derartiger Wucht mehrmals auf dessen Kopf ein, dass das Messer die Schädeldecke durchdrang und das Gehirn verletzte.

Der Angegriffene konnte sich noch in den benachbarten Schlafsaal retten, wo die Bewohner die Tür verrammelten, so dass der im Korridor tobende Beschuldigte nicht hinein kam. Gleich darauf trafen Polizei und Rettungskräfte ein.

Vor dem Bezirksgericht verweigerte der Beschuldigte jegliche Aussage. Er habe all die Fragen schon beantwortet, sagte er. Während der Plädoyers gab er sich gleichgültig. Reue war keine erkennbar, wie die Gerichtsvorsitzende sagte. (aeg/sda)

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