Ein 57-jähriger Mann ist am Mittwoch am Kreisgericht in Mels SG wegen fahrlässiger Tötung schuldig gesprochen worden. Der Lastwagenchauffeur hatte Ende 2023 in Sargans beim Abbiegen ein sechsjähriges Kind übersehen und dieses mit seinem Lastwagen überrollt. Der Bub starb.
«Ich hatte hier einen Verkehrsunfall mit einem höchst tragischen Ausgang zu beurteilen», sagte der Richter zu Beginn der Urteilsverkündung am Gericht in Mels. Der Unfall, bei dem ein deutscher Chauffeur mit einem Lastwagen einer Schweizer Transportfirma über ein Trottoir nach rechts in eine Strasse abgebogen war, mache nach wie vor betroffen und sei mit grossen Emotionen verbunden.
Dann führte der Richter aus, dass zum Zeitpunkt des Unfalls ein hohes Verkehrsaufkommen geherrscht habe. Zudem sei in drei Schulen der Unterricht kurz vorher zu Ende gegangen und es seien viele Kinder unterwegs gewesen.
«Hätten sie die nötige Aufmerksamkeit gehabt, hätten sie das Kind sehen müssen», sagte der Richter zum Lastwagenchauffeur. Er habe zudem gewusst, dass die Sicht aus der Führerkabine nach rechts nicht optimal sei.
Sollten bei einem Abbiegemanöver nicht alle Bereiche einzusehen sein, sei eine Hilfsperson herbeizuziehen, so der Richter weiter. Oder man dürfe nicht abbiegen. Der heutige 57-Jährige habe seine Sorgfaltspflichten verletzt. Keinerlei Vorwürfe könnten hingegen dem sechsjährigen Knaben gemacht werden, hielt der Richter fest.
«Das ist ein Fall, der nur Verlierer zurücklässt», sagte der Richter gegen Ende der Urteilsverkündung. «Der Fall mag nun strafrechtlich abgeschlossen sein, für die Familie wird es wohl nie vorbeigehen.» Ähnliches gelte für den Lastwagenfahrer, denn auch ihn werde der Unfall ein Leben lang verfolgen.
Dass ihn der Unfall weiterhin stark beschäftigte, hatte der 57-Jährige zu Beginn des Prozesses gleich selbst ausgesagt. Er habe ständige Schuldgefühle und denke immer an die Eltern des toten Jungen. «Ich hatte keine Lust mehr zu leben», so der Chauffeur.
Wie es zum Unfall kam, konnte sich der Deutsche nicht erklären. «Als ich losgefahren bin, habe ich mich versichert, dass niemand kommt, und ich habe niemanden gesehen.» Mehrmals betonte der Mann, dass er mittels Blicken in die Spiegel geschaut habe, ob der Bereich vor seinem Lastwagen frei sei.
«Ein ehrliches 'es tut mir leid' genügt wahrscheinlich nicht, das bringt ja nichts. Es tut mir leid, aber damit kann niemand etwas anfangen», war zudem während des Prozesses vom 57-Jährigen zu hören.
«Der Beschuldigte war während des Abbiegens voll konzentriert und keineswegs abgelenkt», sagte derweil die Verteidigerin des Chauffeurs. Vor dem Abbiegen habe er überprüft, dass der Fahrweg sicher und frei gewesen sei. «Trotz aller Vorsicht kam es aus unerklärlichen Gründen zum Unfall», so die Verteidigerin. Sie forderte einen Freispruch.
«Meines Erachtens ist klar, dass der Beschuldigte die gebotene Aufmerksamkeit beim Unfall respektive unmittelbar vor dem Unfall eben nicht aufgewendet hat», entgegnete der Anwalt der Familie des verstorbenen Kindes. Der Fahrer könne sich beispielsweise nicht mehr an die weiteren Personen erinnern, die sich in der Nähe des Unfallortes aufgehalten und mitunter als Zeugen ausgesagt hätten.
Zudem berief sich der Anwalt auf eine Sichtfeldanalyse. «Gemäss dieser Messung war der gesamte Bereich vor dem Lastwagen und rechts vom Lastwagen einsehbar», so der Anwalt.
Auf diese Ausführungen erwiderte die Verteidigerin, dass es erklärbar sei, warum sich der Fahrer nicht mehr an die weiteren Personen am Ort des Unfalls erinnere. Ihr Mandant habe unter Schock gestanden und deshalb keine Erinnerungen mehr an Details. Das heisse aber nicht, dass er die Personen während des Abbiegens nicht wahrgenommen habe.
Aus ihrer Sicht sei die Sichtfeldanalyse zudem nicht eindeutig ausgefallen, so die Verteidigerin. Diese sei etwa nicht am Unfallort gemacht worden und gebe die realen Verhältnisse zum Zeitpunkt des Unfalls nur bedingt wieder.
Letztlich sah es das Gericht als erwiesen an, dass der Fahrer seine Sorgfaltspflichten verletzt hatte. Er wurde zu einer bedingten Geldstrafe von 150 Tagessätzen zu je 80 Franken verurteilt. Die Probezeit beträgt drei Jahre. Zudem muss er die Verfahrenskosten von über 11'000 Franken und den Angehörigen des Jungen eine Entschädigung von rund 8000 Franken bezahlen.
Die Staatsanwaltschaft war beim Prozess nicht anwesend. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. (sda)