Die SVP will den indirekten Gegenvorschlag zur Gletscher-Initiative zu Fall bringen. Eines der Argumente, mit denen sie derzeit Unterschriften für das Referendum sammelt, sind die hohen Kosten. Dabei nennt die SVP eine stattliche und erstaunlich präzise Summe. Auf dem Referendumsbogen schreibt sie: «Der geplante Umbau der Energieversorgung führt zu geschätzten Kosten von 347 Milliarden Franken – mindestens! Bezahlen müssen die Hausbesitzer und Mieter, die Auto-, Lastwagen- und Töfffahrer, die Familien, Gewerbler – kurz wir alle!»
Das Preisschild des indirekten Gegenvorschlags ist auf den ersten Blick deutlich kleiner: 3.2 Milliarden Franken sind vorgesehen, zum grossen Teil (2 Milliarden) für den Ersatz fossiler Heizungen. Gleichzeitig wird mit dem Gesetz das Netto-null-Ziel 2050 festgeschrieben. Das heisst unter anderem: Ölheizungen müssen ersetzt, Gebäude saniert und der Verkehr dekarbonisiert werden.
Hier setzt die SVP an. Aus einem Positionspapier zum Thema geht hervor, dass sie sich bei den 347 Milliarden auf einen NZZ-Artikel vom August 2021 stützt. Dieser bezieht sich wiederum auf eine Studie der Schweizerischen Bankiervereinigung in Zusammenarbeit mit der Boston Consulting Group mit dem Titel «Investitions- und Finanzierungsbedarf für eine klimaneutrale Schweiz bis 2050».
Die Studie schätzt, dass die Umstellung auf eine emissionsarme Volkswirtschaft in den nächsten 30 Jahren Investitionen von 387 Milliarden Franken erfordert. Im NZZ-Artikel ist fälschlicherweise von 347 Milliarden die Rede – die Zahl, mit welcher die SVP argumentiert. Doch auch mit der in der Studie genannten Zahl von 387 Milliarden Franken weckt die SVP Widerstand.
Die Partei verdrehe die Informationen, sagt Sophie Fürst, Geschäftsleiterin vom Verein Klimaschutz Schweiz und Co-Kampagnenleiterin der Gletscher-Initiative. Erstens gehe es bei den 387 Milliarden um Investitionen – und nicht Kosten, wie die SVP behaupte. Zweitens fielen gemäss Studie 58 Prozent davon unabhängig vom Klimaziel an. Es geht dabei um Investitionen, welche sowieso hätten getätigt werden müssen – etwa, wenn ein Unternehmer seine veraltete Lkw-Flotte ersetzen muss.
Drittens sei die Aussage falsch, dass Hausbesitzerinnen, Mieter und Autofahrer die Kosten tragen müssten, wie die SVP behauptet. Fürst verweist darauf, dass 91 Prozent der Investitionen laut der Studie vom privaten Kapitalmarkt aufgebracht werden können. «Solche Investitionen sind Geldanlagen, mit denen Gewinn erwirtschaftet wird», betont sie. Fürst argumentiert, eine Stärkung der inländischen Energieversorgung bringe längerfristig wirtschaftlichen Nutzen.
Nach Ansicht von Mitte-Nationalrat Stefan Müller-Altermatt bedient sich die SVP «ihres alten Tricks, irgendwelche in Zukunft anfallenden Infrastrukturkosten einer Gesetzesvorlage zuzuschreiben». Der Umwelt- und Energiepolitiker verweist darauf, dass wir heute viel Geld für ausländische Energieträger ausgeben – laut Bund acht Milliarden Franken pro Jahr für Erdöl und -gas.
«Die SVP schickt also lieber Geld in die arabischen Staaten und zu Putin als in das einheimische Gewerbe und zu den heimischen Hausbesitzern», kritisiert er. Zweitens werde es dann richtig teuer, «wenn alle Staaten die SVP-Taktik fahren und nichts machen». Die Anpassung an den Klimawandel werde viel teurer sein als die Massnahmen dagegen.
SVP-Generalsekretär Peter Keller erklärt auf Anfrage, die erwähnte Studie der Bankiervereinigung sei «eine der berücksichtigen Grundlagen» – sprich: nicht die einzige. Zudem verweist er darauf, dass die Studie nur 87 Prozent der für die Emissionen verantwortlichen Sektoren umfasst; der Investitions- und Finanzierungsbedarf dürfte daher noch höher liegen.
Auch eine Kostenberechnung aus Deutschland - «vorsichtig übertragen» auf die Schweiz - zeige, dass die zu erwartenden Kosten «weit höher» ausfallen könnten.
Die Kosten sind indes nur ein Argument der SVP. Kommt das Referendum zustande, wird nächstes Jahr abgestimmt – und ein heisser Abstimmungskampf ist absehbar. (cpf/aargauerzeitung.ch)