Schweiz
Klima

Der neue Hype um Negativemissionen

CO₂-Sauger, unterirdische Röhren und Filter – der neue Hype um Negativemissionen

Ein Seitenaspekt des Klimaschutzgesetzes hat einen Trend in der Schweiz befeuert: Negativemissionen. Eine Schweizer Firma sorgt weltweit für Furore – aber lässt sich ihre Idee auch in der Schweiz anwenden?
12.11.2023, 14:5812.11.2023, 15:19
Benjamin Rosch / ch media
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Klimaneutral. Dieser Begriff fiel im Abstimmungskampf über das Klimaschutzgesetz - neben einem Heizersatzprogramm für zwei Milliarden - hundertfach und blieb dennoch diffus. Was es nicht bedeutet: dass die Schweiz ab 2050 kein CO2 mehr ausstossen darf. Vielmehr muss das Land Wege finden, um den Ausstoss einerseits zu drosseln und andererseits den Überschuss wieder aus der Atmosphäre zu entfernen.

Damit letzteres gelingt, braucht es Negativemissionen. So nennt man es, wenn auf unterschiedliche Weise Treibhausgase aus der Atmosphäre gefiltert werden. In der Debatte vor dem 18. Juni spielte dieser Begriff jedoch kaum eine Rolle, und das hat gute Gründe: Das Wort ist nicht nur sperrig, an ihm haften auch viele falsche Hoffnungen, die Schweiz könne dank neuartigen Technologien grosso modo so weiterfahren wie bisher.

ZUR INBETRIEBNAHME DER CO2-FILTERANLAGE DER FIRMA CLIMEWORKS SENDEN WIR IHNEN HEUTE, MITTWOCH, 31. MAI 2017, FOLGENDES NEUES BILDMATERIAL ZUR VERFUEGUNG --- CO2 capture plant of the company Climeworks ...
Die Sauger von Climeworks, hier in einer Schweizer Testanlage: Grosse Hoffnung, aber teuer und energieintensiv.Bild: KEYSTONE

Tatsächlich aber sind Negativemissionen ein wichtiger Bestandteil des Klimaschutzgesetzes: Bereits im ersten Artikel des neuen Gesetzes ist von den Technologien die Rede, die nun gefördert werden sollen.

Die Erwartungen an den technischen Fortschritt sind riesig. Wie riesig, lässt sich am besten anhand der Firma Climaworks illustrieren, einem Spin-off der ETH Zürich. Mit gigantischen Saugern filtert das Unternehmen Treibhausgase aus der Luft. 2009 gegründet, stapelt die Firma Superlative. Seit der jüngsten Finanzierungsrunde wird Climeworks mit mehr als einer Milliarde Dollar bewertet, im Start-up-Sprech werden solche Jungunternehmen «Unicorn», Einhörner, genannt. Im Sommer gewann Climeworks zusammen mit anderen eine Ausschreibung des US-Energieministeriums, dessen Gesamtwert 1,2 Milliarden Dollar betrug.

Im US-Bundesstaat Louisiana soll damit eine Filteranlage stehen, die dereinst jährlich 1 Million Tonnen CO2 aus der Luft saugt. Klingt nach viel, entspricht aber ziemlich genau dem, was die rund 83'000 Einwohner der Stadt Luzern in der gleichen Zeitspanne in die Atmosphäre pumpen. Eine kleinere Anlage steht bereits in Island.

Und bald auch in der Schweiz?

Kaum. Die Maschinen, die Climeworks einsetzt, sind enorm energieintensiv. Zum Vergleich: Um den fossilen Fussabdruck einer einzigen Person in der Schweiz während eines Jahres komplett zu entfernen, braucht die Climeworks-Technologie so viel Energie, wie fünf Familien in derselben Zeitspanne verbrauchen. Eine Studie der Stiftung für Technologiefolgen-Abschätzung (TA-Swiss) von vergangenem Sommer kommt deshalb zum Schluss, dass sich ein Einsatz in der Schweiz kaum lohnt.

Buchhalterische Tricks

Ähnlich sieht es Anthony Patt, Professor für Klimapolitik an der ETH Zürich: «In der Schweiz, wo die Energieproduktion sehr limitiert ist, ergibt dies keinen Sinn. Zumal in der Schweiz auch kaum Forschung darüber betrieben wurde, wo man das CO2 sicher lagern würde.» Island ist für Climeworks nicht nur wegen der gut verfügbaren Geothermie spannend, sondern auch aufgrund des grossen Vorkommens von Basaltgestein, welches das abgeschiedene CO2 gut binden kann.

Darüber hinaus gibt es Zweifel, ob sich die Technologie je rentieren wird: Noch ist das Prozedere viel zu teuer, als dass das Climeworks-Verfahren wirklich marktfähig wäre. So ergeht es vielen von diesen Negativemissions-Technologien.

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Bild: Shutterstock

Marcel Hänggi ist geistiger Vater der Gletscherinitiative, die wiederum Patin des Klimaschutzgesetzes war. Er vergleicht die aktuelle Situation mit der Erfindung des Faxgeräts. Auch in dessen Anfangsstadium hätte die neue Technik nicht rentiert - aber das änderte sich schnell. Hänggi fordert, dass der Bund nun Geld in die Hand nimmt: «Wichtig ist, dass der Staat nicht die tief hängenden Früchte erntet, sondern Projekte anschiebt, die sich vorerst nicht rechnen.» Die Alternative, Klima-Kompensationen im Ausland, hält Hänggi für einen «buchhalterischen Trick». Aktuell zeigt das Beispiel der Schweizer Firma South Pole, wie umstritten der Zertifikathandel sein kann (siehe Box).

Knatsch bei South Pole
Eine Recherche hatte Anfang Jahr das Geschäft mit Klimazertifikaten in Verruf gebracht. Im Fokus: das Zürcher Unternehmen South Pole. Es ist weltweit einer der grossen Player im Handel mit CO₂-Zertifikaten, die es anderen Unternehmen erlauben, ihre Emissionen an anderen Orten zu kompensieren. Die Firma verkaufte auch Klimazertifikate für den Kariba-Wald in Simbabwe. Wie die Recherche verschiedener Medien belegte, kompensiert das Projekt viel weniger CO2, als es verspricht. Bei Kariba waren es demnach nur 20 Millionen Tonnen – statt, wie behauptet, 40 Millionen Tonnen seit der Lancierung 2011.

Nun zieht der Grüne Nationalrat Bastien Girod Konsequenzen. Er hat seine Anstellung bei der umstrittenen Firma beendet, wie er auf der Karriere-Plattform Linkedin bekannt gab. Der Politiker ist ein prominenter Kopf bei South Pole. Seit mehr als vier Jahren arbeitet er beim Unternehmen, mittlerweile ist er zum Europachef für Klimalösungen aufgerückt. Lange Zeit hatte er South Pole verteidigt. Noch im Juni hatte er in einem Interview mit dem «Tages-Anzeiger» bestritten, dass seine Firma wertlose Zertifikate verkauft habe.

Nach «sorgfältiger Prüfung der Informationen» habe er sich nun entschieden, das Unternehmen zu verlassen, schreibt Girod. «Eine genauere Prüfung von Klimaprojekten ist notwendig, um mehr Integrität in den sich entwickelnden globalen CO2-Markt zu bringen.» Girod wird nach eigenen Angaben noch bis Mitte Dezember bei South Pole tätig sein. (rwa)

Kehrichtverbrennungsanlagen der Hoffnung

Auch Hänggi beobachtet, dass Negativemissionen derzeit stärker in den politischen Fokus rücken. Zwar hat das Klimaschutzgesetz primär den Anspruch, den Ausstoss von Treibhausgasen zu senken. Aber Hänggi ist sich sicher: «Ohne Negativemissionen wird es nicht gehen, etwa aufgrund der Landwirtschaft.» Vereinfacht gesagt: Selbst wenn jeder Diesel-Traktor künftig mit Strom läuft, werden Kühe und Schweine noch immer furzen, also Methan ausstossen, und so die CO2-Bilanz trüben.

Hänggi denkt dabei weniger an gigantische Saugapparate, sondern eine etwas unspektakulärere Technik: Filter, die direkt in Kehrichtverbrennungsanlagen eingebaut werden, um CO₂ abzubinden. Das ist keinesfalls Zukunftsmusik: Erst im Frühling hat der Bundesrat die 26 KVA-Betreiber dazu verpflichtet, bis 2030 «mindestens eine Anlage zur CO₂-Abscheidung in Betrieb zu nehmen». So steht es in einer Medienmitteilung vom März. Auch Klimaforscher Patt nennt dies die «vielversprechendste Technologie».

Doch das ist nicht alles.

Spätestens seit Annahme des Klimaschutzgesetzes steigt der Druck in der Schweiz, dass die Politik den Schwung aus der Wirtschaft mitnimmt. Im Sommer veröffentlichte der Wirtschaftsverband Swisscleantech ein Whitepaper zum Thema Negativemissionen. Ende September zog die Swiss Carbon Removal Platform mit einem Leitfaden nach. Zu dieser Initiative der Stiftung Risiko Dialog gehören inzwischen über 60 Amtsstellen, Universitäten, Firmen und Verbände.

Zu den darin skizzierten Zukunftsvisionen gehört ein Pipeline-System, das die grössten CO₂-Produzenten der Schweiz mit den Basler Rheinhäfen verbindet. Die Idee: Bereits ab 2030 soll das Land so einen grossen Teil seiner Treibhausgase nach Nordeuropa exportieren, um es dort zu lagern.

Nicht abwegig, findet Patt. Eine Gesetzesregelung auf Bundesebene für das Pipeline-System, das die Schweiz für die Ausfuhr von CO₂ benötigen wird, solle «jetzt aufgegleist werden».

Verordnung kann nicht alles auffangen

Was den Diskussionen aktuell Schub verleiht: In diesen Wochen beugt sich die Verwaltung in einer sogenannten Ämterkonsultation über die Verordnungen, die das Klimagesetz genauer regeln. Die Hoffnungen von Hänggi und Konsorten sind gross, dass diese den Negativemissionstechnologien mehr Auftrieb verleihen – schliesslich ist das Klimaschutzgesetz auch ein Innovationsgesetz. «Ich erhoffe mir eine Verordnung, die genauso klar ist wie das Gesetz», sagt Hänggi.

Bereits jetzt scheint klar: Vieles vom Wunschzettel der Initianten werden die Verordnungen nicht erfüllen können. Vielmehr hat das Klimagesetz eine Entwicklung ins Rollen gebracht, die viele weitere Gesetze folgen lassen wird – und Investitionen, die jene zwei Milliarden in ein Heizersatzprogramm um ein Vielfaches übersteigen.

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75 Kommentare
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chrimark
12.11.2023 16:04registriert November 2016
Die physikalischen Naturgesetze sagen, dass immer mehr Energie nötig ist, um eine bestimmte Menge CO2 zu binden, als bei deren Freisetzung frei wurde.
Negativemissionen werden daher fast immer die teurere Lösung sein, als direkt die Emissionen zu senken.
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PVJ
12.11.2023 16:36registriert Februar 2014
Die Technologie ist wichtig, um die letzten paar Prozent CO2-Emissionen auf Null oder darunter zu drücken, etwa jene aus der Müllverbrennung oder der Zementproduktion, die sich nicht eliminieren lassen. Sie ist nicht dafür geeignet, alles was wir heute in die Luft blasen einfach wieder herauszuholen. Das muss auf anderem Weg geschehen: Keine fossilen Brennstoffe mehr nutzen.
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Eat.Sleep.Work.Repeat
12.11.2023 18:42registriert März 2022
Diese Negativemissions-Maschine um CO2 zu binden ist schon lange erfunden und Millionenfach im Betrieb.

Sie heisst "Baum".

Das Holz dann zum Bauen verwenden, statt Beton und das CO2 ist weitere 50-100 Jahre gebunden. Kann danach wiederverwendet oder im schlimmsten Fall der thermischen Nutzung zugeführt werden.

Baumstämme können auch eingelagert werden um das CO2 dauerhaft zu binden.
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