Während sich die einen über die aktuelle Sommerhitze freuen, würden die anderen am liebsten erst wieder im Herbst aufwachen. Entgegen dem ersten Impuls liegt das nicht einfach daran, dass die Sommer-Pessimisten wehleidige Nörgler sind, sondern daran, dass sich ihre Körper in vielen Fällen weniger gut an die derzeitigen Temperaturen anpassen können.
Das liegt zum einen an unbeeinflussbaren Faktoren wie der Genetik, die für die Anzahl Schweissdrüsen oder die Dicke der Haut entscheidend ist (von Vorteil ist eine möglichst dünne, wärmedurchlässige Haut). Einen noch wichtigeren Einfluss hat allerdings das Training der veränderbaren Faktoren. «Grundsätzlich reguliert der menschliche Körper die Hitze mit der Aktivität der Schweissdrüsen», sagt Hanns-Christian Gunga, Professor für extreme Umwelt und Weltraummedizin an der Charité in Berlin. Deren Leistungsfähigkeit variiere von einem Menschen zum anderen aber stark.
«So schwitzt eine Durchschnittsperson bei sommerlichen Temperaturen pro Stunde ungefähr einen bis eineinhalb Liter Flüssigkeit aus dem Körper.» An Hitze gewöhnte Leute und Leistungssportler können laut Gunga aber stündlich bis zu drei oder vier Liter Schweiss produzieren.
Das sorgt für ein deutlich besseres Wohlbefinden, als wenn die Hitze im Körper bleibt und den Kreislauf belastet. «Man sollte aber auch als Leistungssportlerin anstrengenden Sport bei den aktuellen Temperaturen meiden», mahnt Mediziner Gunga, auch mit Hinblick auf die Frauen-EM, die bei Temperaturen über 30 Grad medizinisch bedenklich sein könne. «Denn der Magen-Darm-Trakt kann maximal etwa eineinhalb Liter Flüssigkeit pro Stunde aufnehmen.» Wenn man mehr als das wieder herausschwitzt, landet man im gesundheitsgefährdenden Defizit.
Hitzepapst Gunga rät deshalb, in diesen heissen Zeiten jeden Morgen und jeden Abend auf die Waage zu stehen – nicht aus Eitelkeit, sondern der Gesundheit zuliebe. So könne man sehen, wie viel Flüssigkeit man netto den Tag über verloren habe. «Ich selbst mache das auch und sehe dann oft, dass selbst ich am Abend ein Kilo leichter bin.» Wenn er das erfasst habe, könne er mit ein paar Gläsern Wasser gegensteuern und sich so für den nächsten Tag vorbereiten.
Gut trainierte Blutgefässe in Hautnähe transportieren mehr Blut und sorgen so für ein besseres Lebensgefühl. Wie die Schwitzfähigkeit der Schweissdrüsen ist auch diese Eigenschaft trainierbar.
Daneben gibt es noch einen weiteren trainierbaren Faktor, der in diesen Tagen beim Blick aufs Thermometer über Freude oder Missmut entscheidet: nämlich die Durchblutungsfähigkeit der Hautgefässe. Sind diese fähig, viel Blut zu transportieren, kann der Körper die im Inneren angestaute Hitze einfacher loswerden, weil das warme Blut an der Hautoberfläche abgekühlt wird. «Diesbezüglich ist die Fitness des Herz-Kreislauf-Systems und der Nieren entscheidend», sagt Charité-Professor Hanns-Christian Gunga.
Die Wissenschaft kennt zusätzlich auch noch einen dritten, weniger bekannten Angriffspunkt, der mit etwas Übung beeinflusst werden kann und für eine bessere Hitzeverträglichkeit sorgt: die erst vor wenigen Jahrzehnten entdeckten Hitzeschockproteine, welche uns auf molekularer Ebene davor bewahren, innerlich zum gekochten Ei zu werden. «Diese sogenannten HSPs fungieren als Hilfsproteine, die alle anderen lebenswichtigen Proteine vor der Degradierung in der Hitze schützen – indem sie die korrekte Proteinfaltung unterstützen», erklärt der Berliner Hitzeforscher Gunga.
Hitzeschockproteine kommen zwar bei allen Menschen in einer kleinen Konzentration vor, doch der Körper reguliert ihre Produktion herauf, wenn wir körperlichen Stress erleben, etwa wegen zu starker UV-Strahlung oder der Sommerhitze. Physiologe Gunga erklärt: «Untersuchungen aus Turkmenistan, wo es im Sommer auch mal über 45 Grad heiss werden kann, zeigen, dass die an diese Temperaturen gewöhnte Bevölkerung deutlich mehr HSPs im Blut hat.»
Damit sind die Leute besser vor körperlichem Zerfall bei Extremtemperaturen geschützt als europäische Büroangestellte. Derselbe Effekt ist auch für in der Hitze arbeitende Bauarbeiter nachgewiesen worden, die an die Temperaturen gewöhnt sind.
Um die drei Hitze-Regulationssysteme zu trainieren, muss man allerdings etwas Effort einsetzen – die Systeme sind träge, fast so sehr wie wir selbst im Sommer. Wer an seiner Hitzetoleranz arbeiten will, muss sachte beginnen und sich nach einer Eingewöhnungsphase vierzehn Tage lang mindestens zwei Stunden täglich den heissen Temperaturen aussetzen. Der Körper braucht diese täglichen Reize, um sich an Temperaturen jenseits der 30-Grad-Grenze zu gewöhnen.
«Dabei sollte man jedoch unbedingt vernünftig bleiben», sagt Professor Hanns Gunga. «Wer nierenkrank ist (und damit Herz-Kreislauf-Einschränkungen hat) oder Medikamente nimmt, sollte seine körperliche Aktivität einschränken und auf eine ausreichende Flüssigkeitszufuhr achten.» Das würden auch die Menschen tun, die in den heissesten Ländern Afrikas täglich mit Extremtemperaturen leben. «Sonst riskiert man ernsthafte gesundheitliche Folgen bis hin zum Tod», sagt Gunga.
Mit der Hitze nicht klarkommen kann übrigens auf eine funktionelle Störung (Disautonomie) hinweisen, die mit dem Nervensystem zu tun hat. Dies bleibt meist unerkannt, weil die Betroffenen es für normal halten und kein Arzt je danach fragen wird. Genau diese Leute dürfen sich aber eben nicht einfach der Hitze aussetzen um den Körper "zu trainieren".