Gesucht wird eine «führungsstarke Persönlichkeit», die «Teamplayer-Qualitäten» haben muss – und noch vieles mehr: «Durchsetzungskraft» etwa, eine «schnelle Auffassungsgabe», «Verhandlungsgeschick», «Empathie», «stilsicheres Auftreten» sowie «ein Verständnis für die gesundheitspolitischen Inhalte und Prozesse». Und freilich einen akademischen Abschluss und «ausgezeichnete Deutsch- und Französischkenntnisse».
So jedenfalls steht es im Stelleninserat für den Job als Direktor oder Direktorin des neuen, noch namenlosen Krankenkassenverbands, der die heillos zerstrittene Branche wieder vereinen soll.
Der Findungsprozess, der mit Hilfe des Headhunterbüros Level Consulting erfolgt, ist schon weit fortgeschritten. «Bis spätestens Ende November» soll der Name des künftigen Direktors oder der künftigen Direktorin publiziert werden, sagt Andreas Hildenbrand von der Agentur Lemongrass, der derzeit für die externe Kommunikation für den noch zu gründenden Verband verantwortlich ist.
Die Verbandsarchitekten räumen ein, dass ihre Ziele ambitioniert seien, sie geben sich aber zuversichtlich. «Der neue Verband soll dann Anfang Jahr operativ starten», sagt Hildenbrand. Doch bis dahin gibt es noch viel zu tun, die Verbandsgründung ist kompliziert und sorgt für viel Juristenfutter und viel Arbeit für die Projektorganisation, die von Sanitas-Geschäftsleitungsmitglied Gabor Blechta geleitet wird.
An skeptischen Stimmen fehlt es dabei nicht, in diesem von gegenseitigem Misstrauen geprägten Kassen-Umfeld. «Es ist ein Murks», sagt etwa Felix Schneuwly, Gesundheitsexperte beim Vergleichsportal Comparis. Er wirft den Kassen-Managern und ihrer Projektorganisation gar «dilettantisches Vorgehen» vor. Gleichzeitig wünscht er ihnen Erfolg: «Es ist sehr wichtig, dass es klappt und die Branche endlich wieder geschlossen auftritt.»
In der Tat war das in der Vergangenheit nur äusserst selten der Fall. Kaum einmal waren Santésuisse und Curafutura einer Meinung. Unterstützte der eine der beiden Verbände eine Reform, wurde sie prompt vom anderen sabotiert. Sogar kassenfreundliche Politiker verzweifelten ob des destruktiven Gebarens der beiden Verbände. «Unmöglich» sei diese Situation, «eine Zumutung» – insbesondere angesichts des Reformstaus in der Gesundheitspolitik und der sich wiederholenden Prämienschocks.
Ein erster Versuch, die beiden zerstrittenen Verbände zu einen, scheiterte. Ergriffen hatten die Initiative im Sommer 2022 die Verwaltungsratspräsidenten von sieben grossen Kassen aus den beiden Verbänden, bald schon holten sie Santésuisse-Präsident Martin Landolt, der sich seit Amtsantritt gesprächsoffen positioniert hatte, und Curafutura-Präsident Josef Dittli an Bord. Doch das Projekt mit dem umständlichen Namen ZUGEBE, ein Akronym für «Zusammen geht es besser», scheiterte. Curafutura machte im Dezember einen Rückzieher, die Wiederbelebungsversuche beim Fusionsprojekt blieben zwecklos. Im Mai 2024 erhielt Santésuisse-Präsident Landolt die letzte formelle Absage von Seiten Curafutura, wie Recherchen der «Schweiz am Wochenende» zeigen.
Dem Gebaren der Verbände mochten einige Kassen-Oberen nicht mehr länger zusehen. Einige machten in der Folge ihren Unmut öffentlich. So gab KPT-Chef Thomas Harnischberg im November 2023 den Austritt seiner Kasse aus Curafutura bekannt. Im März 2024 sagte Groupe-Mutuel-Chef Thomas Boyer im Interview mit «Le Temps», dass ein Austritt aus Santésuisse zur Diskussion stehe. «Es ist absolut notwendig, dass es in der Schweiz nur noch einen einzigen Dachverband gibt.»
Es sind denn auch Harnischberg und Boyer, die das Projekt für einen neuen Verband angestossen haben. Und sie wollten den Zusammenschluss anders angehen. Anstelle der Verwaltungsratspräsidenten wie bei den früheren, gescheiterten Versuchen waren es diesmal die operativen Chefs der Kassen, welche sich der Sache annahmen. Und diesmal wurde der Kreis der Informierten und Involvierten bewusst klein gehalten – auch um Leaks und Sabotageakte zu verhindern.
Die Verbandsgeschäftsstellen, die beim ZUGEBE-Versuch als grösste Obstruktionsstellen identifiziert worden waren, wurden bewusst aussen vor gelassen. Deshalb wurden auch die beiden Verbandspräsidenten und Verbandschefs zuletzt informiert. Besonders gross war in den fusionsfreudigen Kreisen die Skepsis gegenüber der «Luzerner Gruppe», sprich gegenüber der CSS, dem neuen Curafutura-Präsidenten, dem früheren Luzerner Ständerat Konrad Graber, und vor allem gegenüber dem Curafutura-Direktor Pius Zängerle.
Entscheidend waren also letztlich «persönliche Beziehungen» und «Vertrauen», wie es einer ausdrückt, der den Prozess eng begleitet hat. Im Frühjahr 2024 schlossen sich die Chefs von Sanitas und Swica, Andreas Schönenberger und Reto Dahinden, Harnischberg und Boyer an. Noch etwas später kamen auch noch die CEOs von Visana und Helsana dazu, Angelo Eggli und Roman Sonderegger.
Am Dienstag, 18. Juni 2024, wird dann Santésuisse-Präsident Landolt informiert. Seine Fusionsbereitschaft war bekannt, die Verbandsgründer gingen davon aus, dass er ihr Projekt unterstützen würde. Der Plan ging auf. Oder wie es einer ausdrückt, der den ganzen Prozess aus der Nähe verfolgt hat: «Der Hosenlupf ist gelungen.»
Tags darauf findet in Bern die Verwaltungsratssitzung von Santésuisse statt. Landolt informiert seine Verwaltungsratskollegen, dass die Santésuisse-Kassen Groupe Mutuel, Swica und Visana zusammen mit KPT und den Curafutura-Kassen Helsana und Sanitas einen neuen Verband gründen wollen. Nach einer «Chropfleerete» sowie einer kurzen Zeit, während der die drei Groupe-Mutuel-, Swica- und Visana-Vertreter den Raum verlassen mussten, schlossen sich die restlichen sechs Kassen-Verwaltungsratsmitglieder mit ihren Kassen ebenfalls dem neuen Verband an.
Damit waren fortan auch Sympany, Concordia, EGK, ÖKK, Atupri und Assura dabei. Und damit fast alle grossen Kassen mit Ausnahme der Curafutura-Kasse CSS. Es soll Santésuisse-Präsident Landolt gewesen sein, der den putschenden Kassen empfahl, jetzt auch noch die CSS an Bord zu holen, wie mehrere Quellen übereinstimmend rapportieren. Beleidigt schliesst sich dann auch die CSS an, etwas anderes blieb ihr allerdings auch nicht übrig. KPT und Groupe Mutuel haben sich mit Austritten oder Austrittsdrohungen durchgesetzt.
Am Donnerstagnachmittag, 20. Juni 2024, machen dann dreizehn Kassen öffentlich, was Monate zuvor im Geheimen gestartet worden war: Die Gründung eines neuen Verbands. Am 15. September gibt auch der RVK-Verband mit seinen neunzehn Krankenkassen-Mitgliedern bekannt, dass er sich dem neuen Verband anschliessen will. Damit wird dieser praktisch 100 Prozent der Versicherten vertreten.
Der neue Verband wird seine Zentrale in Bern haben, die Büroräumlichkeiten werden noch gesucht. Der neue Direktor oder die neue Direktorin soll dann zusammen mit dem – ebenfalls noch nicht bestehenden Vorstand – die neue Organisation aufbauen und ein «schlagkräftiges Team» zusammenstellen, wie es im Stelleninserat heisst. Die Ziele sind ambitioniert gesetzt, jetzt müssen die Kassen beweisen, dass sie diese auch erfüllen können. (aargauerzeitung.ch)