Kaum ein Thema beschäftigt die Schweizer Bevölkerung so sehr wie die Gesundheit und die Krankenkassenprämien. Kein Wunder: Die Grundversicherung belastet das Portemonnaie vieler Menschen hierzulande empfindlichst. Im Mai verkündete das Bundesamt für Gesundheit (BAG), dass für das Jahr 2023 mit einem Anstieg der Krankenkassenprämien zu rechnen sei. Der Krankenkassen-Dachverband Santésuisse warnte gar vor einem Anstieg um mehr als zehn Prozent.
Ein Streitpunkt in der Diskussion um die Prämien sind die milliardenhohen Reserven der Krankenkassen. Im vergangenen Jahr hatten die Kassen gemäss den Zahlen vom BAG 12,4 Milliarden Franken auf der hohen Kante. Doppelt so viel, wie das Gesetz vorschreibt. Die Verordnung über die Krankenversicherungsaufsicht verlangt zwar eine Mindestreserve, die für ein weiteres Jahr Zahlungsfähigkeit ausreicht. Die überschüssigen Reserven können die Versicherungen abbauen – wenn sie denn wollen. Aber der Abbau ist freiwillig.
Das wollte der Tessiner Lega Nationalrat Lorenzo Quadri ändern. In einer Motion verlangte er, der Abbau der Reserven müsse obligatorisch werden. «Die überhöhten Rückstellungen der Krankenkassen werden durch überhöhte Prämien gebildet. Die Überschussreserven müssen an die Bürger zurückgegeben werden und somit denjenigen zugutekommen, die zu viel gezahlt haben.»
Der Bundesrat erteilte diesem Anliegen eine Abfuhr. «Übersteigen die Reserven eine gewisse Höhe, besteht für den Versicherer die Möglichkeit, die Prämientarife für das Folgejahr knapp zu kalkulieren.» Der Bundesrat bevorzugt diese Lösung, da sie eine gewisse Stabilität bei der Prämienentwicklung gewährleiste. Anders sah es der Nationalrat. In der Herbstsession im September vor einem Jahr sprach sich eine Mehrheit für Motion von Quadri aus. Unterstützung für sein Anliegen fand der Lega-Politiker in allen Fraktionen. Insbesondere bei der SP und FDP.
Am Dienstag diskutierte der Ständerat das Geschäft. Allzulange dauerte die Debatte allerdings nicht. Nach drei Voten lehnte der Ständerat die Motion mit 22 zu 15 Stimmen ab. Damit ist das Geschäft vom Tisch.
Für einige Politikerinnen und Politiker hat die Diskussion allerdings einen fahlen Nachgeschmack. Als Sprecher der vorberatenden Kommission fungierte ausgerechnet FDP-Ständerat Josef Dittli, seines Zeichens Präsident des Krankenversichererverbandes Curafutura. Er argumentierte, ein obligatorischer Reserveabbau sei zu wenig flexibel. Reserven könnten etwa rasch notwendig werden, wenn die Gesundheitskosten innert kurzer Zeit stark ansteigen würden.
Nicht nur Krankenkassen-Lobbyist Dittli stellte sich gegen das Geschäft. Auch vier weitere Ständeräte, die mit einer Krankenversicherung verbandelt sind, lehnten die Motion ab: Erich Ettlin (Mitte), Verwaltungsrat bei der CSS, Brigitte Häberli-Koller (Mitte), Mitglied der Groupe de réflexion bei Groupe mutuel, Peter Hegglin (Mitte), Präsident RVK, Alex Kuprecht (SVP), Mitglied der Groupe de Réflexion bei Groupe Mutuel.
Für Quadri, Urheber des Reserve-Abbau-Vorstosses, ist das nicht nur im Fall Dittli, sondern generell ein Problem. Immer, wenn Bundesparlamentarier in den vorbereitenden Kommissionen seien und gleichzeitig in Verwaltungsräten von Krankenkassen oder deren Dachverbänden sitzen würden, werde es schwierig. «Es besteht ein offensichtlicher Interessenkonflikt, der sowohl die Debatten als auch die Entscheidungen des Parlaments beeinflusst.»
Ähnlich sieht es die SP-Frau Barbara Gysi, Vizepräsidentin in der Gesundheitskommission des Nationalrats. «Ich finde es nicht gut, wenn der Präsident des Dachverbandes gleichzeitig der Kommissionssprecher dieses Geschäfts ist. Die Krankenversicherer stehen hier auf der Bremse.» Zwar müssen im Rat die Interessenbindungen deklariert werden, nicht aber, die Höhe der Entschädigungen. Gysi findet das stossend. «Das müsste zugunsten der Transparenz offengelegt werden.»
Ganz beerdigt ist die Diskussion über Krankenkassenreserven aber nicht, denn der nächste Vorstoss steht bereits in den Startlöchern. Der FDP-Nationalrat Philippe Nantermod schlug die Einführung einer Überschussbeteiligung vor. Gemäss seinem Vorstoss soll der entsprechende Überschuss im folgenden Jahr als Anzahlung an die Prämien auf die Versicherten aufgeteilt werden, sobald die Reserven einer Kasse über 150 Prozent der Mindesthöhe liegen.
Im Juni sprach sich eine Mehrheit für den Vorschlag von Nantermod aus. Als nächstes muss sich der Ständerat mit dem Geschäft auseinandersetzten – wobei Dittli erneut als Sprecher der vorbereitenden Kommission fungieren wird.
Scheint bei unseren Bundesbernern und Bundesbernerinnen nicht möglich zu sein.
Sagt viel über die Zustände im Bundeshaus aus.