Lebt man in der Schweiz als schwules Paar tatsächlich besser als früher?
Bruno Bötschi musste 58 Jahre alt werden, bis es ihm passierte: Ein älterer Herr rief ihm «Schwuchtel» hinterher. «Das war im Mai, in Berlin», erzählt Bötschi, Journalist bei Blue News von Bluewin. «Es tut weh und es macht auch Angst.»
Ein weiteres Beispiel für ein homophobes Berlin, wie dies die Make-up-Artisten Beni Durrer und René Durrer-Lehmann gestern gegenüber CH Media geschildert hatten? Bötsch sagt: «Ich weiss es nicht, es kann auch einfach eine Momentaufnahme gewesen sein.» Das Schwulenfeindlichste, was er in der Schweiz vor Jahren erlebt hatte, war, als er verkleidet in der Innerschweiz ein Lokal verliess und draussen jemand kommentierte: «Kommen da noch mehr von euch?»
Doch er ist keiner, der mit seinem Partner in der Öffentlichkeit knutscht – nicht mal Händchen hält er auf der Zürcher Langstrasse, in deren Nähe er wohnt. «Aber nicht aus Furcht, das ist einfach nicht mein Stil.»
Auch der grüne Luzerner Nationalrat Michael Töngi findet: «Es gibt eine hohe Akzeptanz der Homosexuellen – während die homophobe Grundschicht weiter besteht.» Allerdings melden sich bei ihm nicht Schwulenhasser mit ausländischem Namen, sondern Schweizer. Er findet, dass die Akzeptanz von Homosexuellen in den letzten 20 Jahren besser geworden sei.
Kein Anstieg bei gemeldeter Hassrede
Bei der nationalen LGBTIQ-Helpline verzeichnete man in den letzten Jahren eine konstant bleibende Anzahl von Fällen gemeldeter Hassrede. Dabei sei keine Häufung seitens Personen aus arabischen Ländern festzustellen, sagt der zuständige Pink Cross Geschäftleiter Daniel Furter. Er findet: «Bei solchen Erzählungen geht es oft darum, dass Minderheiten aus politischen Motiven gegeneinander ausgespielt werden. Es ist am einfachsten, mit Angriffe auf Minderheiten Wählerstimmen zu machen», sagt Furter.
Doch wie offen sind die Schweizerinnen und Schweizer denn heutzutage tatsächlich gegenüber Homosexuellen? Eine Umfrage des Forschungsinstitutes GFS im Auftrag verschiedener Menschenrechtsorganisationen ergab 2024, dass 70 Prozent der Bevölkerung finden, es sei ein Menschenrecht, seine sexuelle Orientierung zu leben – 22 Prozent stimmten dem zumindest teilweise zu, nur 6 Prozent waren dagegen.
Aber im Detail zeigte sich die Bevölkerung kritischer: Zwar gaben nur 1 bis 2 Prozent an, dass sie eine ablehnende Haltung gegenüber schwulen oder lesbischen Personen hätten. Doch nur 40 Prozent der Bevölkerung sagten andererseits, sie seien lesbischen oder schwulen Personen gegenüber positiv eingestellt und würden die rechtliche Gleichstellung befürworten. (Bei trans oder non-binären Personen war das nur zu 15 Prozent der Fall.)
22 Prozent fanden, dass Menschen ihre sexuelle Orientierung nicht in der Öffentlichkeit zeigen sollten. Und 5 Prozent haben immer noch ein Problem damit, wenn ihre Pflegeperson lesbisch ist, und 29 Prozent halten es für unerfreulich, wenn sich zwei Männer auf der Strasse küssen. Nimmt man die Antwort «teilweise unerfreulich» hinzu, störten sich sogar 49 Prozent an dem Anblick – im Jahr 2024.
«Ein konservativeres Klima ist zu spüren»
So die aktuelle Situation. Obwohl weder Töngi noch Bötsch oder Furter Anzeichen für mehr Anfeindungen von Homosexuellen in der Schweizer Bevölkerung sehen, so kamen doch alle drei ungefragt auf einen «Backlash» zu sprechen. «Einfacher wurde es nicht», sagt Bruno Bötschi, «wir sehen bei Bluenews jedenfalls mehr Hasskomentare zu LGTBQ-Themen.» Und Michael Töngi sagt: «Ein konservativeres Klima ist zu spüren. Man kommt heute schneller als früher in eine hässliche Diskussion rein.»
Daniel Furter von Pink Cross sagt, in der Bevölkerung sei die Realität eine andere als in der Politik und verweist auf die neuste GFS-Umfrage im Auftrag der Schwulenorganisation Pink Cross im Frühling 2025: 69 Prozent der Bevölkerung zeigten sich darin besorgt, dass schwule, lesbische, bisexuelle und trans Menschen aktuell vermehrt Diskriminierung erfahren. 83 Prozent fanden, dass Mitglieder von LGBT in allen Bereichen des Lebens gleichgestellt und vor Diskriminierung geschützt sein sollten. (aargauerzeitung.ch)
