Die Innerschweizer Autorin Martina Clavadetscher verwischt in ihrem Roman «Die Erfindung des Ungehorsams» die Grenze zwischen Mensch und Maschine, die Grenze zwischen menschlicher und künstlicher Intelligenz. Das macht sie gut. Denn sie verfolgt poetisch einen eigenwilligen Ansatz, indem sie die Geschichten von drei Frauen miteinander verknüpft, bei zweien aber den Verdacht streut, dass sie keine Menschen, sondern Bots sind.
Hinzu kommt, dass eine dieser beiden die Geschichte der anderen erzählt. Deshalb ist zudem zweifelhaft, ob diese Geschichte überhaupt wahr ist. Fiktion erhebt die Autorin Clavadetscher damit zur Freiheit und das Erzählen zum Ungehorsam. Denn wer erzählt, erschafft sich selbst neu.
Die Buchpreis-Jury lobt denn auch, Martina Clavadetscher habe «einen Roman über künstliche Intelligenz geschrieben, wie es ihn noch nicht gab», heisst es in der Mitteilung von Sonntag. Der Roman «Die Erfindung des Ungehorsams» sei dabei «keine Dystopie», sondern ein «waghalsiger Text, der den künstlichen Wesen Leben einhaucht». Das Werk sei «eine Hymne an das Erzählen als emanzipatorische und urmenschliche Kraft», lässt sich die Jury weiter zitieren.
Bemerkenswert an der Shortlist für den Schweizer Buchpreis 2021 ist, dass mit Thomas Duarte ein weiterer Nominierter zwar eine Geschichte erzählt, aber das Erzählen von Geschichten zum eigentlichen Thema macht. Duartes Roman «Was der Fall ist» ist wie Clavadetschers «Die Erfindung des Ungehorsams» ein vergleichsweise anspruchsvoller Text.
Ein Ich-Erzähler taucht nachts auf einer Polizeistation auf, erzählt dem dortigen Polizisten während der nächtlichen Stunden seine Geschichte und hat damit im Licht des anbrechenden Tages seine Freundin unversehens verraten. Eine Botschaft dieses Romans lässt sich so zusammenfassen, dass Geschichten dann eine Bedeutung bekommen, wenn sie auf Zuhörer oder Leserinnen treffen.
Darüber hinaus nominiert waren Michael Hugentobler mit seinem Roman «Feuerland» und Veronika Sutter für ihren Geschichtenband «Grösser als du». Duarte und Sutter kamen beide mit ihren Debüts auf die Shortlist - für den Schweizer Buchpreis eher aussergewöhnlich.
Hinzu kommt, dass in diesem Jahr letztlich nur vier Autorinnen und Autoren für den Buchpreis nominiert waren. Der Fünfte war Christian Kracht mit «Eurotrash». Er, der gleichzeitig für den Deutschen Buchpreis nominiert war, hatte jedoch Ende September überraschend seinen Roman vom Schweizer Buchpreis 2021 zurückgezogen.
Eine seiner Begründungen war, er habe den Schweizer Buchpreis bereits 2016 erhalten und wolle nun den anderen vier nominierten Autorinnen und Autoren eine höhere Chance geben. Vermutlich lag er damit richtig.
Die Verantwortlichen hatten auf seinen Rückzug zwar mit Unverständnis reagiert. Aber es wäre nicht undenkbar gewesen, dass Kracht den Preis ein zweites Mal bekommen hätte. Mit ihm als aussichtsreichem Kandidaten auf der Shortlist wäre die Preisverleihung am Sonntag spannend geblieben. Nun, ohne ihn, ist der Preis für Martina Clavadetscher keine wirkliche Überraschung.
Dotiert ist der Schweizer Buchpreis mit insgesamt 42'000 Franken. Davon bekommt Martina Clavadetscher 30'000 Franken. Die drei anderen Nominierten erhalten jeweils 3000 Franken, und auch Christian Kracht hat den Betrag von 3000 Franken für seine Nominierung auf der Shortlist bekommen.
Eingereicht wurden für den Schweizer Buchpreis 2021 insgesamt 92 Titel aus 65 Verlagen. Teilnahmeberechtigt waren Werke von in der Schweiz lebenden oder von Schweizer Autorinnen und Autoren, die zwischen Oktober 2020 und September 2021 erschienen sind.
Der Buchpreis gilt neben dem Grand Prix Literatur, der vom Bundesamt für Kultur (BAK) vergeben wird, als die bedeutendste literarische Auszeichnung der Schweiz - wobei für den Grand Prix alle Sprachregionen der Schweiz berücksichtigt werden, während mit dem Buchpreis nur deutschsprachige Werke ausgezeichnet werden.
Träger des Buchpreises sind der Schweizerische Buchhändler- und Verlegerverband SBVV und der Verein LiteraturBasel. (sda)