«20 Minuten» gibt es als Zeitung nicht mehr: Ein Blick zurück in die wilden Anfänge
26 Jahre und 10 Tage dauerte die Lebenszeit der Gratiszeitung «20 Minuten». Am 23. Dezember 2025 erscheint die letzte gedruckte Ausgabe. Lediglich als reichweitenstarkes Onlinemedium bleibt der Titel aus dem Zürcher Medienhaus TX Group erhalten. Zeit für einen Rückblick und auf einen schonungslosen Kampf um Geld, Macht und Einfluss.
Als am 13. Dezember 1999 Kolporteure beim Bahnhof Zürich die erste Ausgabe von «20 Minuten» verteilten, war dies eine Machtdemonstration des norwegischen Verlags Shibsted. Mit allen Mitteln hatten Schweizer Verleger – allen voran die Tamedia (heute TX Group) und die NZZ – zuvor versucht, die Lancierung zu vereiteln. Wirtschaftlicher Schaden für das heimische Medienbiotop wurde behauptet. In einem Warnbrief schrieb der damalige Verleger des «Tages-Anzeiger», Gratisinformationszeitungen würden auf Dauer «generell die Basis eines seriös betriebenen Journalismus» unterlaufen.
Überrumpelte Schweizer Verleger
Der moralische Aufschrei war allerdings heuchlerisch. Denn er folgte, nachdem intensive Verhandlungen vor allem zwischen der Tamedia und Shibsted gescheitert waren. Die Parteien waren sich nicht einig geworden, da beide einen Führungsanspruch geltend machten. Shibsted verbündete sich stattdessen mit dem Schweizer Finanzunternehmer Ernst Müller-Möhl und sicherte sich zusätzliches Risiko-Kapital. Finanziell derart gerüstet, foutierten sie sich um die Drohgebärden der Schweizer Verlage und starteten «20 Minuten».
Nur einen Monat später war mit «Metropol» eine zweite Gratiszeitung auf dem Schweizer Markt. Lanciert wurde sie vom schwedischen Kinnevick-Konzern, der das Konzept eigentlich erfunden hatte und vor allem in Skandinavien schon mehrere «Metro»-Ausgaben erfolgreich vertrieb.
Die Schweizer Verleger waren damit überrumpelt. Die erste Reaktion auf dem Platz Zürich fiel hilflos aus. Tamedia und NZZ bauten das ehrwürdige «Tagblatt der Stadt Zürich» notdürftig in eine Quasi-Gratiszeitung um, konnten der Wucht der neuen Tabloid-Blätter, die nun den öffentlichen Verkehr zunehmend in der ganzen Deutschschweiz fluteten, nicht Paroli bieten. «20 Minuten» setzte sich durch, «Metro» musste bald die Segel streichen.
Von der Kompaktzeitung zur Gratiszeitung
Das Aufkommen der Gratiszeitungen um die Jahrtausendwende hat eine Vorgeschichte. Technologische Errungenschaften verkürzten die Produktionszeit von Zeitungen massiv. Seit Anfang der 1990er-Jahre gab es deshalb wiederholte Anläufe, was tagsüber bis 15 Uhr geschah, ab 16.30 Uhr als buntes Tabloid verbreiten zu können. Gedrucktes Radio war die publizistische Idee. Sowohl Ringier als auch Tamedia wälzten entsprechende Planspiele. Die Rede war dabei jeweils von «Kompaktzeitungen».
Knackpunkt für die Zeitungsideen war jeweils der Vertrieb. Wie konnten die Exemplare innerhalb kürzester Zeit zu ihren Leserinnen und Lesern kommen? Die Pendler wurden als attraktive Zielgruppe entdeckt, die Verkehrsbetriebe wurden selbst aktiv, um sich ihren Fahrgästen auch noch als publizistische Begleiter anzudienen. Die neue Mediengattung, die sich abzeichnete, hiess dann auch «Pendlerzeitungen».
Als Fast-food-Information mussten die neuen Blätter günstiger sein als die etablierten Kaufzeitungen. Doch die Kosten für das Inkasso überstiegen in den Verlagsberechnungen bald die möglichen Erträge. Da die Werbeerträge unermesslich schienen, ergab sich das Kalkül, dass es wohl lukrativer sei, die Tabloids gratis abzugeben, damit eine hohe Auflage zu erreichen, die wiederum zu hohen Werbeerträge führen sollen. Damit war der Name «Gratiszeitungen» gesetzt.
Ringier und die vermeintliche Marktlücke
Als Abendzeitung hatten die Blätter einen publizistischen Vorteil, aber einen kommerziellen Nachteil: Das Zeitfenster zur Distribution und Nutzung blieb eng. Die Vorteile, die Pendler bei der Hinfahrt zur Arbeit mit leichter Lektüre zu beglücken, überwogen. Nach dem Vorbild von «Metropol» startete «20 Minuten» deshalb von Anfang an als Morgenzeitung.
Der Ringier-Konzern tat sich lange schwer, auf der Gratiswelle zu surfen, Als er dann spät, im Jahr 2006, doch noch aufsprang, versuchte er die freigebliebene Lücke am Feierabend zu bewirtschaften. Er lancierte mit «heute» eine Abend-Gratis-Pendlerzeitung. Zwei Jahre später wurde das erfolglose Blatt in «Blick am Abend» umbenannt und zehn Jahre darauf wieder eingestellt. Die Marktlücke war zu klein und der interne Wettbewerb mit der eigenen Boulevardzeitung «Blick» letztlich zu gross.
Tamedia wollte sich auf Dauer nicht in der Defensive sehen. Der 2002 angetretene neue Konzernchef Martin Kall griff mit einer in der Schweiz bisher unbekannten Brutalität den auswärtigen Konkurrenten an: Entweder gibt Schibsted die Mehrheit an «20 Minuten» ab oder dere Eindringling wird in einen ruinösen Wettbewerb verwickelt. Um die Drohung zu unterstreichen, baute Kall eine eigene Redaktion auf. Im März 2003, nur zwei Tage vor dem Start der eigenen Zeitung «Express», kam es zu einer Einigung; das eigene Projekt wurde eingestampft. TX Group zahlte für die schrittweise Übernahme insgesamt wohl 100 Millionen Franken.
Die Zeitung hat ihren Dienst getan, sie ist lässlich
«20 Minuten» steht an der Schnittstelle zwischen einer alten und der neuen Medienwelt. Als Printprodukt gestartet, ist das Produkt doch von Elementen geprägt, die das Onlinezeitalter ausmachen. Zum einen, dass Technologie und nicht publizistische Konzepte die Entwicklung vorantreiben. Zum anderen der Einbezug von Finanzinvestoren, die sich der blossen Rendite verschrieben haben. Als Effekt davon forcierte «20 Minuten» massgeblich eine Gratiskultur für Information, die online daraufhin über Jahre als selbstverständlich erachtet wurde und die sich nur schwerlich durch Zahlschranken rückentwickeln lässt. Oder wie der «Tages-Anzeiger»-Verleger wohl korrekt festgestellt hatte: Die Basis eines seriös betriebenen Journalismus wird unterlaufen.
Die Endlichkeit der gedruckten «20 Minuten» ist seit Jahren bekannt. Bereits 2019 wurden in anderen Ländern die Printausgaben liquidiert und ausschliesslich auf Onlineauftritte gesetzt. Bei TX Group gibt die Schliessung ihrer Zürcher Druckerei per Ende Jahr den Ausschlag. Im Sommer hat das Unternehmen die Aufgabe des Zeitungsdrucks bekannt gegeben. Bis zu 80 Mitarbeitende, so die Ankündigung, verlieren damit ihre Stelle. (aargauerzeitung.ch)
