Das Abkommen ist unter Dach und Fach. Am vergangenen Donnerstag hat der italienische Senat ein Gesetz abgesegnet, das es Rom ermöglicht, Asylverfahren im Ausland durchzuführen. Es geht um Abschreckung, die Eindämmung der Migration nach Europa. Konkret will Italien ab diesem Frühling in Albanien zwei Verfahrenszentren mit insgesamt 3000 Plätzen betreiben.
Das Ziel: Innerhalb eines Monats sollen die Asylsuchenden entweder in ihre Heimat zurückgeschafft oder – bei positivem Bescheid – nach Italien überführt werden. Die Kosten und die rechtliche Verantwortung übernimmt voll und ganz Rom. Die rechtsgerichtete Regierung von Giorgia Meloni möchte jährlich bis zu 39'000 Asylgesuche im Balkanstaat abwickeln. Zum Vergleich: Im letzten Jahr stellten in Italien rund 140'000 Personen ein Asylgesuch.
Italien ist nicht das einzige Land in Europa, das Asylsuchende mittels Verfahren in Drittstaaten von seinem Territorium fernhalten will. Grossbritannien hegt seit langem solche Pläne in Ruanda, doch ein Gericht stoppte sie. Auch das sozialdemokratisch regierte Dänemark sistierte ein ähnliches Projekt, möchte es aber im Verbund mit anderen EU-Staaten wieder aufnehmen.
Ein Verbündeter sitzt in Wien. «Österreich wird sich in der EU weiterhin mit aller Kraft dafür einsetzen, die politischen und rechtlichen Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass Asylverfahren bereits ausserhalb der EU durchgeführt werden können», sagte Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) im letzten Herbst gegenüber der Zeitung «Die Welt». Auch in Deutschland prüft die Regierung, ob und wie Asylverfahren in Drittstaaten möglich wären.
In der Schweiz fordert die SVP seit längerer Zeit Asylverfahren im Ausland. Zuletzt hat der Bundesrat eine entsprechende Motion von Ständerat Marco Chiesa im vergangenen September verworfen. Sinngemäss lautet seine Begründung: Eine Auslagerung von Asylverfahren in Drittstaaten ist rechtlich und politisch höchst kompliziert und praktisch kaum umsetzbar. Die Landesregierung verwies auf Dänemark, das entsprechende Pläne auf Eis gelegt habe.
In der letzten Woche hat sich der Bundesrat erneut mit Asylverfahren in Drittstaaten befasst. Nun erklärt er sich bereit, diese Frage in einer Auslegeordnung zu prüfen. Er hat ein entsprechendes Postulat von Ständerat Andrea Caroni (FDP/AR) zur Annahme empfohlen. Das Ja zum Postulat heisst nicht, dass der Bundesrat Asylverfahren in Drittstaaten will; er wird diese Idee aber ergebnisoffen prüfen.
Die Thematik werde in verschiedenen Ländern intensiv diskutiert, argumentiert der Bundesrat. Daher sei es angezeigt, in einer neuen Auslegeordnung die jüngsten Bestrebungen auf europäischer Ebene darzulegen und deren Vereinbarkeit mit schweizerischem Recht und internationalen Verpflichtungen abzuklären.
Die Situation im Asylwesen bleibt angespannt. Im letzten Jahr stellten in der Schweiz gut 30'000 Personen ein Asylgesuch, 23 Prozent mehr als im Vorjahr. Auch für dieses Jahr rechnet der Bund mit 30'000 Gesuchen.
Die Idee, das Ausland in die Asylverfahren einzubinden, taucht immer wieder auf. Im Jahr 2005 brachte zum Beispiel der damalige deutsche Innenminister Otto Schily (SPD) eine EU-Aufnahmeeinrichtung in Nordafrika ins Spiel. Realisiert wurde sie nie. 2003 glaubte die ehemalige Justizministerin Ruth Metzler (CVP), einen Durchbruch erzielt zu haben: Senegal erklärte sich bereit, von der Schweiz abgewiesene Asylsuchende zu übernehmen und dann in deren Heimat zurückzuschaffen. Wenige Monate später liess Senegal das Abkommen platzen.
Die Hoffnungen, die auf Asylverfahren in Drittstaaten ruhen, sind gross. Es geht darum, den Schleppern die Basis für ihr teures und lebensgefährliches Geschäft zu entziehen. Und natürlich geht es auch darum, die Zahl der Asylgesuche auf dem europäischen Festland zu senken und so Kosten zu reduzieren. Vor sieben Jahren listete der Bundesrat in einem Bericht aber diverse ungeklärte Fragen auf:
Der Bundesrat warnte auch davor, dass ein Drittstaat mit Verfahrensfunktion eine Sogwirkung für Menschen mit der Wunschdestination Europa entfalten könnte. Er ging zudem davon aus, dass Asylbewerber nach einem negativen Entscheid trotzdem versuchen würden, irgendwie nach Europa zu gelangen.
Ein Verfechter von Asylverfahren in Drittstaaten ist der niederländische Migrationsforscher Ruud Koopmans. Der Professor für Soziologie an der Berliner Humboldt-Universität und Autor des Buches «Die Asyl-Lotterie» verwies in einem Interview mit CH Media auf Australien, das die Asylverfahren vor zehn Jahren nach Nauru und Papua-Neuguinea ausgelagert hat: «Dadurch wurde das Sterben im Meer innert weniger Jahre ebenso beendet wie die irreguläre Zuwanderung.» Koopmans plädiert auch dafür, legale Fluchtwege nach Europa zu ermöglichen. (aargauerzeitung.ch)