Die Stimmung ist gekippt in Griechenland. Die Solidarität gegenüber den Asylsuchenden ist der Skepsis gewichen. Oder der Wut. Zum Beispiel auf Lesbos, der Insel, die nur 20 Kilometer Luftlinie vom türkischen Festland entfernt ist. Lesbos ist eigentlich ein wichtiges Zwischenziel der Flüchtlinge auf dem Weg nach Europa. Doch seit Griechenland und ganz Europa die Asylpraxis verschärft haben, stecken Tausende auf der Insel fest.
In den letzten Tagen kam es zu handfesten Angriffen auf Flüchtlinge. Und auf deren Helfer. Betroffen sind auch Schweizer Hilfswerke. In der Nacht von Samstag auf Sonntag brannte ein Gebäude der Hilfsorganisation One Happy Family nieder. Im Gebäude befanden sich Schulzimmer, in denen Flüchtlingskinder unterrichtet wurden. Auch einen Teil des benachbarten Sozialzentrums erlitt Schaden. Als es brannte, waren die Gebäude leer. Verletzt wurde niemand.
Die Brandursache ist noch nicht geklärt, doch der Verdacht liegt nahe, Neonazis hätten einen Brand gelegt. Denn zum besagten Zeitpunkt befanden sich gemäss Medienberichten deutsche und österreichische Rechtsextreme in der Nähe.
Fabian Bracher, Gründungsmitglied von One Happy Family, befindet sich zurzeit auf Lesbos. Der 29-Jährige, der in Luzern soziokulturelle Animation studiert, ist seit 2017 immer wieder auf der Insel und hat das Zentrum mitaufgebaut. Am Telefon sagt er: «Wir wissen noch nicht, ob die Neonazis wirklich unsere Schule angezündet haben. Aber wir wissen, dass sie hier sind und zu Hass und Gewalt aufrufen.» Die Schule und das Zentrum waren schon vor dem Brand aus Sicherheitsgründen geschlossen worden.
Grund dafür waren Proteste gegen ein geplantes weiteres Flüchtlingslager auf der Insel. Mittels Enteignungen und abgeschirmt durch Hundertschaften von Polizisten hätte im Norden der Insel ein Haftlager für abgewiesene Asylsuchende entstehen sollen. Die Bevölkerung der Insel reagierte mit einem Generalstreik. Unter die Protestierenden mischten sich Neonazis. Im Laufe der Proteste wurde auch die Zufahrt zum bereits bestehenden Lager Moria blockiert, in dem Tausende Migranten zum Teil in Zelten übernachten.
Ein Auto einer Hilfsorganisation wurde vom Mob demoliert. Daraufhin schloss auch die Schweizer Hilfsorganisation Sao ihr Zentrum in Mitilini, der Hauptstadt der Insel. Dort bot sie Frauen auf der Flucht Unterschlupf und Beratung an. «Normalerweise kommen die Frauen im öffentlichen Bus aus dem Lager Moria zu uns. Wegen der Proteste holten wir Frauen zum Teil mit unseren Mietautos ab. Aber während der Proteste wurde dies zu gefährlich», sagt Raquel Herzog. Die Zürcherin hat das Hilfswerk für Frauen auf der Flucht im Jahr 2016 gegründet.
Zurzeit befindet sich Herzog in der Schweiz. Ende Monat will sie auf die Insel zurückkehren. «Wir planen unsere Aktivitäten am Montag wieder aufzunehmen. Aber es ist noch nicht definitiv entschieden», sagt Herzog. Die Präsenz der Neonazis nimmt sie sehr ernst.
Weiter erschwert wird die Hilfe für Flüchtlinge auf Lesbos durch das Corona-Virus. Ein erster Fall wurde am Montagmittag bekannt. Eine 40-jährige Bewohnerin eines Dorfes im Süden der Insel soll sich auf einer Reise nach Israel infiziert haben.
Flüchtlingshelfer sind besorgt, aber auf gewisse Weise auch erleichtert, dass das Virus nicht zuerst im Flüchtlingslager aufgetaucht ist. Das hätte die Proteste wohl weiter angeheizt.
Sollte das Virus das Flüchtlingscamp erreichen, hätte das fatale Folgen. Denn dort herrschen ideale Bedingungen für dessen Ausbreitung vor. Auf dem Gelände, das für 3000 Migranten konzipiert wurde, leben rund 20000 Personen unter sehr schlechten hygienischen Bedingungen. Es gibt kaum Toiletten, und der Abfall türmt sich. «Wenn sich Corona dort ausbreitet, ist das eine Katastrophe», befürchtet Raquel Herzog. «Das Virus gilt zwar für Kinder und Jugendliche als ungefährlich, aber die Kinder, die im Camp leben, sind zum Teil sehr geschwächt.» Zudem sei es unmöglich, im Camp einzelne Personen in Quarantäne zu isolieren.
Trotz der widrigen Umstände wollen Raquel Herzog und ihre Mitstreiterinnen weitermachen. «Die Frauen brauchen uns», sagt sie.
Für den Unmut der Bevölkerung zeigen die Schweizer Helfer Verständnis. Die Insel müsse die Versäumnisse der Politik ausbaden. Das führe zu Frust.
Auch Fabian Bracher von One Happy Family will trotz der abgebrannten Schule weitermachen. Er berichtet von Solidarität, die er in den letzten Tagen erfahren habe und nimmt die Inselbewohner in Schutz. «Lesbos ist keine Fascho-Insel. Viele Menschen sind auch solidarisch mit uns und den Flüchtlingen», beteuert er. (bzbasel.ch)