Die Ausschaffungs-Initiative ist seit fast fünf Jahren in Kraft, doch erst jetzt gibt es verlässliche Zahlen zur Umsetzung. Das Bundesamt für Statistik hat in den vergangenen Jahren immer wieder neue Daten publiziert, doch entweder waren sie nicht vollständig, oder sie stellten sich danach als fehlerhaft heraus.
Eigentlich hätten 2020 erstmals vollständige Zahlen für 2019 vorliegen sollen. Nach der Publikation durch das Bundesamt für Statistik stellte Beat Oppliger, Leitender Oberstaatsanwalt des Kantons Zürich und Präsident der Schweizer Staatsanwältekonferenz, aber grosse Abweichungen zu den eigenen Zahlen fest. Danach kam es zur grossen Aussprache.
Diese Woche wurden die Zahlen für 2020 aufgeschaltet. Oppliger geht davon aus, dass diese nun zum ersten Mal tatsächlich stimmen würden.
Die neue Statistik zeigt, dass die Anwendungsrate der obligatorischen Landesverweisung bei 61 Prozent liegt. Das bedeutet: Jeder dritte Ausländer, der wegen einer Katalogtat der Ausschaffungs-Initiative verurteilt worden ist, wird als Härtefall eingestuft und darf deshalb bleiben.
Sind das nicht zu viele Ausnahmen? Oppliger sagt: «Ich verstehe die Frage gut. Aber die Gerichte und die Staatsanwaltschaften haben den Einzelfall zu beurteilen und nicht eine Quote zu erfüllen.»
Zwischen den Kantonen gibt es immer noch beträchtliche Unterschiede. Auf den Spitzenplätzen der Kantone mit der höchsten Anwendungsrate liegen Genf, Baselland und Basel-Stadt. Ein Grund dafür könnte die Grenzlage sein. Kriminaltouristen werden konsequent des Landes verwiesen.
Auffallend ist die tiefe Anwendungsrate im Kanton Solothurn, der ebenfalls an einer Landesgrenze liegt. Jeder zweite kriminelle Ausländer, der eine Katalogtat begangen hat, darf hier als Härtefall bleiben. Die SVP hat sich 2020 bei der Regierung darüber empört. Diese antwortete, in den meisten Fällen habe es sich um «Bagatellkriminalität» gehandelt, also um Betäubungsmitteldelikte, Einbrüche und Sozialhilfebetrüge.
Im Nachbarkanton Baselland sind diese Delikte ebenfalls häufig, was die Justiz aber nicht von Landesverweisen abhält. Julia Reidemeister, Sprecherin der Baselbieter Gerichte, sagt, es sei falsch, dabei von «Bagatelldelikten» zu sprechen: «Gerade bei diesen Straftaten hat sich der Gesetzgeber für die obligatorische Landesverweisung entschieden – unabhängig von der Höhe der Strafe.»
St. Gallen, der Aargau und Luzern sind Schweizer Durchschnitt. Vor einem Jahr war das noch anders: Luzern war der strengste Kanton und stolz darauf, das Gesetz konsequent anzuwenden. Was ist passiert? Gerichtssprecher Christian Renggli sagt, das Luzerner Kriminalgericht habe «mehr Fälle von geringer Schwere und von voll integrierten, hier aufgewachsenen Ausländern» zu beurteilen gehabt.
Generell stellt der Gerichtssprecher fest: «Bei der Anwendung der Landesverweisungen bestehen noch Unsicherheiten. Es braucht Zeit, bis eine einheitliche Rechtsprechung entsteht.» (bzbasel.ch)