Berkeley schiesst «Mars» und «Milky Way» auf den Mond: Die progressive Stadt im US-Bundesstaat Kalifornien hat beschlossen, Süssigkeiten wie Schokoladenriegel oder Sodagetränke aus dem Bereich der Supermarktkasse zu verbannen. Die Regel gilt ab März für alle Geschäfte mit einer Fläche ab 230 Quadratmeter. Stattdessen sollen in den Regalen bei der Kasse gesündere Ess- und Trinkwaren platziert sein, um eine gesündere Ernährung zu unterstützen. Das neue Gesetz, das rund 25 Filialen von Ketten wie Safeway, CVS, Walgreens und Whole Foods betrifft, tritt 2021 in Kraft und gilt als Premiere in den USA.
Im deutschsprachigen Raum ist von der Quengelzone die Rede: Jener Bereich an der Kasse, bei dem Kinder zu quengeln beginnen, um sich von den Eltern ein «Überraschungsei» oder «saure Nudeln» zu erbetteln. Diverse Konsumentenorganisationen haben sich in der Vergangenheit für eine Verbannung von Süssigkeiten in der Quengelzone stark gemacht. Die Post hat sie vor einigen Jahren aufgehoben, und manche Händler haben so genannte «alternative Kassen» oder «Familienkassen» mit gesünderen Snacks eingeführt. Doch zuletzt geriet das Thema vergessen und in der Mehrheit der Supermärkte sind die Quengelzonen noch immer Tatsache. Kein Wunder: Denn bei den Impulskäufen an der Kasse sind die Margen höher als in den üblichen Regalen.
Durch den Fall Berkeley erhält die Debatte nun aber auch wieder in der Schweiz an Schub. Gesundheitspolitikerin und SP-Nationalrätin Laurence Fehlmann-Rielle, die schon mehrere Vorstösse für Zuckersteuern verfasst hat, fordert, dass die Schweiz sich Berkeley zum Vorbild nimmt. Sie werde in der kommenden Wintersession ein Postulat einreichen und ein Verbot von Süssigkeiten im Kassenbereich fordern, kündigt die Genferin im Gespräch mit CH Media an.
«Übergewicht ist ein Problem in der Schweiz», sagt Fehlmann-Rielle. Vor allem ärmere Bevölkerungsgruppen seien davon betroffen. «Insofern geht es bei einem Quengelzonen-Verbot nicht nur darum, Kinder vor ungesunder Ernährung zu beschützen, sondern auch Erwachsene.» Laut der Weltgesundheitsorganisation WHO konsumieren Schweizer doppelt so viel Zucker wie das empfohlene Maximum von täglich 50 Gramm. Dagmar Pauli, Präsidentin der Schweizerischen Gesellschaft für Essstörungen befürwortet das Berkeley-Modell ebenso. «Das wäre auch in der Schweiz wünschenswert.»
Laut Fehlmann-Rielle reichten freiwillige Massnahmen der Händler und Hersteller nicht aus. So haben Konzerne wie Nestlé, Emmi, Migros oder Coop 2015 die Erklärung von Mailand unterschrieben. Sie verpflichteten sich damit, die Zuckermenge in Frühstücksflocken und Joghurts zu reduzieren. «Das ist bis heute aber viel zu wenig geschehen», sagt die SP-Nationalrätin. Tatsächlich haben ihre Joghurts heute drei Prozent weniger Zucker, die Müesli 5 Prozent weniger. Doch mit 16 Gramm Zucker pro 100 Gramm wird die WHO-Vorgabe mit wenigen zusätzlichen Mahlzeiten nach wie vor rasch erreicht.
Ähnlich sieht es Sophie Michaud Gigon, Generalsekretärin der Westschweizer Konsumentenschutzorganisation FRC und Grüne-Nationalrätin des Kantons Waadt. Sie unterstützt die Idee eines Quengelzonenverbots. «Ich befürchte jedoch, dass ein Verbot politisch wenig Chancen hat.» Dafür sei die Zucker- und Süssgetränkelobby zu stark. Dennoch müsse man es probieren.
Die süssen Produkte an den Kassen seien ein Unding, sagt Michaud Gigon. Einerseits stresse es die Eltern, wenn ihre Kinder zu quengeln beginnen. Andererseits würden sie den übermässigen Zuckerkonsum bei Kindern und Erwachsenen fördern. Dies könne zu Übergewicht führen, aber auch zu weiteren Krankheiten wie Diabetes, Krebs oder Herzproblemen. Rund vier Prozent der Schweizer leiden an Diabetes, 16 Prozent an Bluthochdruck.
In der Deutschschweiz geben sich die Konsumentenschützer allerdings zurückhaltender als in der Romandie. Zwar kritisiert Sara Stalder, Geschäftsführerin der Stiftung für Konsumentenschutz, dass sich noch viele Detailhändler weigern würden, an der Kasse auf Süssigkeiten zu verzichten. Ein Verbot habe aber nicht Priorität. Man kämpfe lieber für einen Gesetzesartikel, der die Deklaration von Zucker verbindlich machen würde, sagt Stalder. Und beim Konsumentenforum heisst es, dass man als «liberale Organisation» gegen Verbote sei. Man werde das zuletzt etwas vernachlässigte Thema aber in Branchengesprächen wieder stärker gewichten, sagt Präsidentin Babette Sigg.
Und was sagen die Detailhändler? Coop betont in einer kurzen Stellungnahme das Bedürfnis der Kundschaft nach handlichen Snacks für unterwegs. Und die grossen Coop-Megastores würden aufgrund der Platzverhältnisse über Familienkassen verfügen, wo sich Kinder mit Spielzeug beschäftigen können. Von den rund 930 Coop-Supermärkten gelten allerdings nur rund 35 als Megastores.
Auch die Migros hält sich kurz. In den Genossenschaften Zürich und Aare gebe es seit Jahren Familienkassen in bestimmten Filialen. Wie viele es sind, sagt die Migros nicht. Dort gebe es keine Süssigkeiten, dafür einen breiteren Durchgang sowie ein Podest für Kinder, damit sie den Eltern beim Einpacken helfen können. Die Reaktionen seitens Eltern seien positiv. Weshalb das «seit Jahren» eingesetzte und offenbar beliebte Konzept aber nicht landesweit zum Einsatz kommt, sagt die Sprecherin nicht.
Denner, Volg und Spar verweisen auf die engeren Platzverhältnisse in ihren Filialen, die oft keine zweite, gesonderte Kasse ermöglichen würden. So genannte «alternative Kassen» sind bei ihnen kein Thema. «Süssigkeiten in Kassennähe anzubieten entspricht in unseren Läden einem Kundenbedürfnis», sagt eine Volg-Sprecherin. Viele Kunden würden die Möglichkeit schätzen, zum Beispiel ein einzelnes Schoggi-Stängeli zum Sofortverzehr zu kaufen anstatt einer grossen Packung mit mehr Inhalt. Und: «Wie unsere Erfahrung zeigt, handhaben Eltern die Frage, was ihre Kinder konsumieren dürfen, gerne eigenverantwortlich.» Und Aldi betont andere Massnahmen wie das Nutriscore-Label, das Kunden mit seinem Ampel-System eine Orientierungshilfe für gesünderes Einkaufen geben soll.
Vorreiter in der Schweiz ist ausgerechnet der deutsche Discounter Lidl. Dieser bietet seit mehreren Jahren pro Filiale eine «alternative Kasse» an mit zuckerfreien, gesunden Snacks wie Nüssen, getrockneten Früchten oder Mineralwasser. Man verfolge den Grundsatz, dass gerade Kinder nicht zu übermässigem Zuckerkonsum verführt werden sollen, sagt eine Sprecherin. Zudem würden diese Kassen vielen Eltern eine «quengelfreie Zeit» ermöglichen. Man erhalte von den Kunden viel positives Feedback. (bzbasel.ch)
Wenn er quengelt gibt es sowieso nichts. Meistens gibt es bereits vorher eine Absprache, ob er etwas kriegt oder nicht.
Klar ist es verlockend, aber als Eltern hat man es in der eigenen Hand, sich nicht noch mit Schoggi und anderem an der Kasse einzudecken.
Man stelle sich nur vor, ihr 5 jähriger würde den Appstore entdecken....