12'000 Autos und Töffs fahren jeden Tag an den Barbershops, Tattoostudios und hippen Co-Working-Spaces vorbei, die die Basler Feldbergstrasse säumen. Sie ist die Hauptschlagader zwischen Klein- und Grossbasel. Kaum eine andere Strasse in der Schweiz weist eine so hohe Verkehrsbelastung auf.
Entsprechend gross war der Aufstand, als die rot-grüne Regierung hier Tempo 30 einführte. Bis vor Bundesgericht stritten Automobilverbände wie der TCS – und unterlagen schliesslich 2023.
Anderthalb Jahre nach der Einführung der Temporeduktion ist die Lebensqualität für die Anwohner messbar gestiegen, berichtete unlängst das Onlineportal «Primenews». Plötzlich können die Grenzwerte für Stickstoffdioxid eingehalten werden. Die Messresultate sanken gemäss dem Lufthygieneamt um mehr als 20 Prozent. Auch der Lärm ging zurück: um durchschnittlich 1,6 Dezibel, was für das menschliche Gehör einer Reduktion von 10 bis 12 Prozent gleichkommt. Studien zeigen zudem einen deutlichen Rückgang von Verkehrsunfällen, wenn innerorts Tempo 30 gilt.
Basel steht mit dieser Entwicklung nicht alleine da: Die grössten Städte von Spanien, Frankreich, Italien, Belgien, Deutschland, dem Vereinigten Königreich und Finnland haben die Höchstgeschwindigkeit innerorts weitgehend auf 30 Stundenkilometer reduziert.
Umso bemerkenswerter ist die Kehrtwende, welche die Schweiz aktuell vollzieht. 2021 setzte FDP-Nationalrat und TCS-Verwaltungsrat Peter Schilliger den Bundesrat unter Druck. In einer Motion verlangte er «klare Hierarchien» für das Schweizer Strassennetz. Auf Hauptachsen soll Tempo 30 nur noch in Ausnahmefällen möglich sein. National- und Ständerat folgten Schilligers Ruf, die Schweizer Gemeinden und Städte auszubremsen.
Am Mittwoch präsentierte Verkehrsminister Albert Rösti einen Vorschlag, wie er den Auftrag des Parlaments umsetzen will. In Zukunft müssen Gemeinden mit einem Gutachten beweisen, dass eine Temporeduktion nicht zu Ausweichverkehr auf den Nebenachsen führt.
Statt auf eine Temporeduktion setzt Rösti zudem auf Flüsterbelag. Dies aber dafür gleich flächendeckend: Bund, Gemeinden und Kantone sollen verpflichtet werden, bei Sanierungen von Hauptachsen einen «lärmarmen» Belag einzubauen. Auch wenn eine neue Strasse gebaut wird, ist neu Flüsterbelag Pflicht. Welches Material sich dafür eignet, gibt das Bundesamt für Umwelt vor. Erst wenn sich der Verkehr dann immer noch als zu laut erweist, darf die Gemeinde das Tempo reduzieren.
Für die Zentren wird dies vor allem eines: teuer. Ein Quadratmeter Flüsterbelag kostet zwischen 34 und 54 Franken mehr als herkömmlicher Asphalt. Am Beispiel der 800 Meter langen Feldbergstrasse gerechnet, ergäbe das Mehrkosten in der Höhe von rund 300’000 Franken. Ausserdem muss Flüsterbelag häufiger erneuert werden, weil er ansonsten seine Eigenschaften verliert. Aufgewogen werde dies unter anderem mit tieferen Gesundheitskosten und weniger Reifenabrieb, argumentiert der Bund.
Gemeinden, Verbände und andere betroffene Kreise haben nun bis Anfang Dezember Zeit, Stellung zu den geplanten Verschärfungen zu nehmen. Es zeichnet sich breiter Widerstand ab. «Diese Änderungen sind für die Gemeinden doppelt schlecht», sagt Mathias Zopfi. Der Glarner Ständerat (Grüne) ist Präsident des Schweizerischen Gemeindeverbands.
Wenn der Bund sich schon einmischen wolle, findet Zopfi, müsste er konsequenterweise auch die Kosten übernehmen.
Zudem kritisieren die Gemeinden wie auch der VCS, dass der Bund die Änderungen per Verordnung durchsetzen will. Im Gegensatz zu einer Gesetzesänderung haben das Parlament und die Bevölkerung kein Mitspracherecht – ein Referendum ist nicht möglich. «Das ist schon dicke Post», sagt Zopfi.
Der Kritik zum Trotz: In der Vorlage finden sich einige mögliche Schlupflöcher. Begründen die Städte und Gemeinden ihre gewünschten Temporeduktionen künftig nicht mit Lärm, sondern mit der Sicherheit, einem besseren Verkehrsfluss oder saubererer Luft, stellt sich ihnen der Bundesrat nicht in den Weg. So steht es explizit in den Erläuterungen zur Vorlage. Was bedeutet, dass das ganze Vorhaben zur Alibiübung werden könnte.
Bislang war das in der Schweiz wohl eher die Ausnahme als die Regel: Meist war der Lärm der Anlass für eine Temporeduktion. Nicht so allerdings bei der Basler Feldbergstrasse: Zwar wurde das Dröhnen der Motoren auch irgendwann zu einem Argument. Initialzündung für die Tempo-30-Zone war aber die Luftqualität. Gut möglich, dass sie damit sogar irgendwann zum Vorbild für andere Schweizer Hauptachsen wird. (aargauerzeitung.ch)
Per Verordnung im Röstiland.