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Nationalrat: So war die Abstimmung zur Ukraine

SVP kassiert Ohrfeige: So stimmten die Nationalräte bei der Ukraine-Erklärung ab

Der Nationalrat verurteilte am Montag die russische Aggression in der Ukraine. Die SVP wollte die «Erklärung des Nationalrats» verhindern – vergeblich.
28.02.2022, 17:48
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Der Schweizer Nationalrat hat am Montag eine «Erklärung» beschlossen, in der er die russische Aggression in der Ukraine verurteilt. Die Erklärung lieferte Potenzial für ein politisches Erdbeben: Sie forderte vom Bundesrat, sich den wirtschaftlichen Sanktionen der EU gegen Russland anzuschliessen.

Alle Parteien, mit Ausnahme der SVP, unterstützten diesen Antrag: Ein deutliches «Ja» aus der Volkskammer der Eidgenossenschaft wäre einer deutlichen Ohrfeige gegen den Bundesrat gleichgekommen. Die Landesregierung verhinderte dies jedoch: Kurz nach 14.30 Uhr – also zeitgleich mit dem Beginn der Parlamentssitzung – kommunizierte er die Übernahme der EU-Sanktionen durch die Schweiz.

Die Ohrfeige blieb ihm also erspart. Eine wuchtige Niederlage kassierte einzig die Schweizerische Volkspartei (SVP): Sie scheiterte mit ihrem Nein-Antrag nach einer längeren Debatte, in der ein Parteivertreter nach dem anderen seine Position dargelegt hatte. Wir zeigen hier die Argumente der Parteispitzen und wie die Volksvertreterinnen und Volksvertreter abgestimmt haben.

SVP: «Bewahren wir Ruhe, verzichten wir auf die Erklärung»

Video: watson

Die SVP-Fraktion durfte als grösste Parlamentsgruppe als erstes reden. Ihre Nationalrätinnen und Nationalräte stellten nicht nur den Rückweisungs- und Ablehnungsantrag – sie wünschten sich auch eine Abstimmung über jeden einzelnen Punkt der «Erklärung», was auch nicht klappte. Für die SVP sprachen Fraktionschef Thomas Aeschi (ZG) und der Zürcher Nationalrat Gregor Rutz. Wir zitieren hier den letzteren:

«(…) Wir müssen uns immer vor Augen halten, dass sich die Frage der Neutralität in Krisensituationen stellt und sich unter Krisensituationen entscheidet. Bei Schönwetter ist es nicht schwierig, neutral zu sein. Neutral ist man eben dann, wenn man nicht parteiisch ist. Die andere Variante ist: Man stellt sich auf die Seite einer Partei. Neutralität ist anstrengend, ist anspruchsvoll, erfordert Bescheidenheit, Zurückhaltung, Selbstdisziplin. (…)»

Aeschi holte später zum politischen Rundumschlag aus und thematisierte die CO2-Vorlage, die Politik von Bundesrätin Simonetta Sommaruga, den F-35-Kampfjet und die mögliche Mitgliedschaft der Schweiz im Uno-Sicherheitsrat aus Sicht des Kriegs in der Ukraine.

Mitte: «Die Schweiz darf nicht zum Business Hub für russische Eliten werden.»

Video: watson

Mitte-Chef Gerhard Pfister griff als erster von vielen Rednerinnen und Rednern zu historischen Vergleichen. Er erinnerte an die humanitäre Leistung der Schweiz während der kommunistischen Flüchtlingskrise und verlangte von der Eidgenossenschaft, für ihre Werte einzustehen.

«(…) Die Schweiz darf nicht zum Business Hub für die russische Elite und für die Finanzierung des Krieges gegen die Ukraine werden oder bleiben. Die Schweiz hat die Pflicht, der Ukraine so beizustehen, wie 1968 der Tschechoslowakei oder 1956 Ungarn. Der Bundesrat muss seine Verantwortung wahrnehmen, damit die Schweiz der Ukraine mit allen ihren möglichen Mitteln hilft. Zögern oder beiseite stehen würde bedeuten, die russische Aggression nicht nur zu tolerieren, sondern auch zu finanzieren. (…)»

FDP: «Diplomatie aus einer Position der Schwäche schreckt Aggressoren nicht ab»

Video: watson

Für die FDP-Fraktion sprachen der Zürcher Nationalrat Andri Silberschmidt und der Neuenburger Nationalrat Damien Cottier. Wir zitieren Silberschmidt:

«Spätestens seit dem vergangenen Donnerstag muss allen klar sein, dass unsere Freiheit, unser friedliches Zusammenleben und unsere Demokratie als Grundlage zur Einhaltung der Menschenrechte keine Selbstverständlichkeit sind, auch nicht im 21. Jahrhundert. Ja, Diplomatie ist und bleibt wichtig. Aber Diplomatie aus einer Position der Schwäche – das zeigt das Schicksal der Menschen in der Ukraine dramatisch – schreckt Aggressoren nicht ab. (…) Jetzt ist unser Land verpflichtet, jene Massnahmen mitzutragen, mit welchen die westliche Gemeinschaft in seltener Geschlossenheit versucht, Putin von seinem mörderischen Kurs abzubringen.»

Grüne: «Krieg heisst immer Zerstörung und Verletzung von Menschenleben»

Video: watson

Die Grüne Fraktionschefin und Berner Nationalrätin Aline Trede hielt eine mehrsprachige Rede – darunter auch auf Ukrainisch. Die Protokollantinnen und Protokollanten schafften es nach einiger Zeit, auch die Fremdsprache abzutippen.

«(…) Die Fragen meiner Kinder zeigen die Absurdität dieses Krieges, eines Krieges auf europäischem Boden. Ihnen all das verständlich zu erklären, ist für mich sehr schwierig, und es beelendet mich unglaublich, dass ich überhaupt mit ihnen darüber sprechen muss. Krieg heisst immer Zerstörung und Verletzung von Menschenleben. Familien werden auseinandergerissen, Menschen verlieren Angehörige und Freunde. Auch einige von uns hier drin haben Familie und Freunde in der Ukraine. (…)»

GLP: «Schweiz muss eine klare Haltung vertreten»

Video: watson

Die Grünliberale Fraktionschefin Tiana Angelina Moser kritisierte in ihrer Rede den zögernden Bundesrat. Er habe den Ernst der Lage nicht erkannt oder schlicht die notwendigen Informationen nicht gehabt. Beides habe dazu geführt, dass die Regierung damit der Glaubwürdigkeit der Schweiz schadete.

«(…) Die Schweiz darf keinen Zweifel darüber aufkommen lassen, wo sie steht. Mit der Invasion in die Ukraine wurden auch unsere Grundwerte – Demokratie, Selbstbestimmung und Rechtsstaatlichkeit – im Kern verletzt. Die Schweiz muss, das steht für die Grünliberalen ausser Frage, eine klare Haltung vertreten. Neutralität bedeutet nicht, keine Haltung und keine Werte zu haben. Neutralität erfordert eine politische Einordnung. (…)»

SP: «Schweiz ist Rohstoff- und Finanzdrehscheibe für russisches Geld»

Video: watson

Die Co-Präsidentin der SP, Mattea Meyer, kritisierte den Bundesrat: Es sei «beschämend und unwürdig», dass es den Druck der Menschen und der internationalen Gemeinschaft gebraucht habe, damit der Bundesrat einlenkt. Schuld seien die Departementschefs des WBF (Guy Parmelin/SVP), EFD (Ueli Maurer/SVP) und EDA (Ignazio Cassis/FDP): Sie hätten es ermöglicht, dass die Oligarchen in der Zwischenzeit ihre Milliarden abziehen und mit Privatflugzeugen verreisen.

«(…) Wir können es uns nicht vorstellen, was es bedeutet, in einer solchen Brutalität vom einen Moment auf den anderen aus dem Alltag gerissen zu werden. Wir können es uns nicht vorstellen, was es heisst, die Wohnung abzuschliessen und nicht zu wissen, wann oder ob man überhaupt je wieder dorthin zurückkehren kann; und wir können es uns nicht vorstellen, was es mit einem Kind macht, dass einem Vater Tschüss sagen muss und nicht weiss, ob es ihn jemals wiedersehen wird. (…)»

Das Abstimmungsverhalten

Nein: Addor (SVP/VS), Aeschi Thomas (SVP/ZG), Amaudruz (SVP/GE), Bircher (SVP/AG), Büchel Roland (SVP/SG), de Courten (SVP/BL), Dettling (SVP/SZ), Egger Mike (SVP/SG), Estermann (SVP/LU), Fischer Benjamin (SVP/ZH), Friedli Esther (SVP/SG), Giezendanner (SVP/AG), Glarner (SVP/AG), Graber (SVP/VS), Grüter (SVP/LU), Guggisberg (SVP/BE), Heer (SVP/ZH), Heimgartner (SVP/AG), Herzog Verena (SVP/TG), Hess Erich (SVP/BE), Huber (SVP/AG), Imark (SVP/SO), Keller Peter (SVP/NW), Köppel (SVP/ZH), Marchesi (SVP/TI), Martullo (SVP/GR), Matter Thomas (SVP/ZH), Nidegger (SVP/GE), Quadri (SVP/TI), Reimann Lukas (SVP/SG), Rösti (SVP/BE), Rüegger (SVP/OW), Rutz Gregor (SVP/ZH), Schläpfer (SVP/ZH), Schwander (SVP/SZ), Sollberger (SVP/BL), Steinemann (SVP/ZH), Strupler (SVP/TG), Tuena (SVP/ZH), Umbricht Pieren (SVP/BE), Wobmann (SVP/SO)

Enthaltung: Burgherr (SVP/AG), Geissbühler (SVP/BE), Grin (SVP/VD), Haab (SVP/ZH), Hurter Thomas (SVP/SH), Nicolet (SVP/VD), Walliser (SVP/ZH), Zuberbühler (SVP/AR)

Ja: Borloz (FDP/VD), Bourgeois (FDP/FR), Cattaneo (FDP/TI), Cottier (FDP/NE), de Montmollin (FDP/GE), de Quattro (FDP/VD), Dobler (FDP/SG), Farinelli (FDP/TI), Feller (FDP/VD), Fiala (FDP/ZH), Fluri (FDP/SO), Giacometti (FDP/GR), Gössi (FDP/SZ), Jauslin (FDP/AG), Lüscher (FDP/GE), Markwalder (FDP/BE), Moret Isabelle (FDP/VD), Nantermod (FDP/VS), Portmann (FDP/ZH), Riniker (FDP/AG), Sauter (FDP/ZH), Schilliger (FDP/LU), Schneeberger (FDP/BL), Silberschmidt (FDP/ZH), Vincenz (FDP/SG), von Falkenstein (FDP/BS), Walti Beat (FDP/ZH), Wasserfallen Christian (FDP/BE), Wehrli (FDP/VD), Bäumle (GLP/ZH), Bellaiche (GLP/ZH), Bertschy (GLP/BE), Brunner (GLP/SG), Christ (GLP/BS), Fischer Roland (GLP/LU), Flach (GLP/AG), Gredig (GLP/ZH), Grossen Jürg (GLP/BE), Mäder (GLP/ZH), Matter Michel (GLP/GE), Mettler (GLP/BE), Moser (GLP/ZH), Pointet (GLP/VD), Schaffner (GLP/ZH), Weber (GLP/VD), Andrey (Grüne/FR), Arslan (Grüne/BS), Badertscher (Grüne/BE), Baumann (Grüne/BE), Clivaz Christophe (Grüne/VS), de la Reussille (Grüne/NE), Egger Kurt (Grüne/TG), Fivaz Fabien (Grüne/NE), Girod (Grüne/ZH), Glättli (Grüne/ZH), Gysin Greta (Grüne/TI), Klopfenstein Broggini (Grüne/GE), Mahaim (Grüne/VD), Michaud Gigon (Grüne/VD), Pasquier (Grüne/GE), Porchet (Grüne/VD), Prelicz-Huber (Grüne/ZH), Prezioso (Grüne/GE), Python (Grüne/VD), Ryser (Grüne/SG), Rytz Regula (Grüne/BE), Schlatter (Grüne/ZH), Schneider Meret (Grüne/ZH), Töngi (Grüne/LU), Trede (Grüne/BE), Walder (Grüne/GE), Weichelt (Grüne/ZG), Wettstein (Grüne/SO), Binder (Mitte/AG), Bregy (Mitte/VS), Bulliard (Mitte/FR), Candinas (Mitte/GR), Glanzmann (Mitte/LU), Gmür Alois (Mitte/SZ), Gschwind (Mitte/JU), Gugger (Mitte/ZH), Hess Lorenz (Mitte/BE), Humbel (Mitte/AG), Kamerzin (Mitte/VS), Kutter (Mitte/ZH), Landolt (Mitte/GL), Lohr (Mitte/TG), Maitre (Mitte/GE), Müller Leo (Mitte/LU), Müller-Altermatt (Mitte/SO), Paganini (Mitte/SG), Pfister Gerhard (Mitte/ZG), Rechsteiner Thomas (Mitte/AI), Regazzi (Mitte/TI), Ritter (Mitte/SG), Roduit (Mitte/VS), Romano (Mitte/TI), Roth Pasquier (Mitte/FR), Schneider-Schneiter (Mitte/BL), Siegenthaler (Mitte/BE), Stadler (Mitte/UR), Streiff (Mitte/BE), Studer (Mitte/AG), Wismer Priska (Mitte/LU), Aebischer Matthias (SP/BE), Amoos (SP/VS), Atici (SP/BS), Barrile (SP/ZH), Bendahan (SP/VD), Birrer-Heimo (SP/LU), Crottaz (SP/VD), Dandrès (SP/GE), Fehlmann Rielle (SP/GE), Feri Yvonne (SP/AG), Fridez (SP/JU), Friedl Claudia (SP/SG), Funiciello (SP/BE), Graf-Litscher (SP/TG), Gysi Barbara (SP/SG), Hurni (SP/NE), Locher Benguerel (SP/GR), Maillard (SP/VD), Marra (SP/VD), Marti Min Li (SP/ZH), Marti Samira (SP/BL), Masshardt (SP/BE), Meyer Mattea (SP/ZH), Molina (SP/ZH), Munz (SP/SH), Nordmann (SP/VD), Nussbaumer (SP/BL), Piller Carrard (SP/FR), Pult (SP/GR), Roth Franziska (SP/SO), Schneider Schüttel (SP/FR), Seiler Graf (SP/ZH), Storni (SP/TI), Suter (SP/AG), Wasserfallen Flavia (SP/BE), Wermuth (SP/AG), Widmer Céline (SP/ZH), Wyss (SP/BS), Aebi Andreas (SVP/BE), Buffat (SVP/VD), Gafner (SVP/BE), Page (SVP/FR), von Siebenthal (SVP/BE)

Entschuldigt: Brenzikofer (Grüne/BL), Badran Jacqueline (SP/ZH), Gutjahr (SVP/TG) – die Präsidentin Kälin stimmt nicht ab.

Herunterscrollen, um alle Namen zu sehen. Stimmverhalten gemäss Abstimmungsprotokoll.

Der Inhalt der Erklärung

Für einen sofortigen Waffenstillstand in der Ukraine!
Der Nationalrat,

– Bestürzt über das menschliche Leid, welches durch die russische Aggression gegen die Ukraine verursacht wird;
– Überzeugt, dass ein unilateraler Angriffskrieg niemals ein Mittel der Politik sein darf und einem im 21. Jahrhundert agierenden Staat unwürdig ist;
– Besorgt darüber, dass die Werte der friedlichen Koexistenz der Völker, der Demokratie und der Menschenrechte, die in Europa und der Welt seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs gefördert wurden, durch diese Aggression auf schwerwiegende Weise in Frage gestellt werden;
– Entschlossen, sich zusammen mit der internationalen Staatengemeinschaft für eine baldige Rückkehr des Friedens in der Ukraine einzusetzen;

gestützt auf Artikel 32 seines Geschäftsreglements (GRN; SR 171.13);

– Verurteilt den völkerrechtswidrigen Angriffskrieg der politischen und militärischen Führung Russlands gegen die Ukraine aufs Schärfste;
– Fordert die politische und militärische Führung Russlands und alle weiteren Konfliktparteien auf, einen sofortigen Waffenstillstand zu vereinbaren;
– Unterstreicht die zentrale Wichtigkeit des auf dem Völkerrecht beruhenden globalen Sicherheitssystems;
– Appelliert an alle Konfliktparteien und insbesondere an die politische und militärische Führung Russlands, das humanitäre Völkerrecht zu respektieren;
– Solidarisiert sich mit den Menschen der Ukraine und fordert, die Bevölkerung der Ukraine mit humanitärer Hilfe zu unterstützen;
– Fordert den Bundesrat auf, den Druck auf Russland zu erhöhen, indem sich die Schweiz den EU-Sanktionen gegen Russland anschliesst. Die Schweiz als wichtigster Rohstoffhandelsplatz und bedeutender Standort für Finanzdienstleistungen für russische Konzerne muss entsprechend Verantwortung übernehmen.

(pit)

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300 Kommentare
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blobb
28.02.2022 17:59registriert Juni 2016
Was für ein peinlicher Verein..
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Raph2018
28.02.2022 17:59registriert November 2020
Die SVP ist sich wuchtige Niederlagen ja mittlerweile gewohnt.
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Spin Doctor of Medicine
28.02.2022 18:06registriert August 2019
Merken wir uns die paar wenigen SVPler, die Ja gestimmt haben. Sie zeigen eine aufrechte Haltung.
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