Lange schienen die Fronten verhärtet, die Positionen unverrückbar, die Meinungen gemacht. Seit 2005 hat das Parlament das Gentech-Moratorium bereits drei Mal beinahe diskussionslos verlängert. Für die Mehrheit der Volksvertreter war klar: Gentechnik ist risikoreich, die Auswirkungen auf die Umwelt zu wenig erforscht, das Moratorium gerechtfertigt.
Doch damit ist nun Schluss: Die vom Bundesrat vorgeschlagene vierte Verlängerung des Moratoriums hat die Gentechnik im vergangenen Frühling wieder aufs Tapet gebracht und damit eine unverhoffte Grundsatzdebatte losgetreten. Die Fronten weichen sich auf, die Stimme der Wissenschaft wird gehört, der Stein kommt langsam ins Rollen.
Während in der Herbstsession im Nationalrat die Verlängerung des Moratoriums kaum eine Diskussion auszulösen vermochte und deutlich angenommen wurde, sah es in der Wintersession im Ständerat schon anders aus. Die bürgerlichen Vertreter plädierten erfolgreich dafür, die neuen Züchtungsmethoden vom Moratorium auszunehmen.
Mitverantwortlich für die wiederbelebte Auseinandersetzung mit der Gentechnik in der Politik dürfte einerseits die Informationsvermittlung durch die Wissenschaft sein. Führenden Forscherinnen und Forschern gelang es, den Fokus des Publikums weg von den Risiken hin zu den Chancen der neuen Züchtungsmethoden zu verschieben. Auch das beim Bund angesiedelte landwirtschaftliche Forschungsinstitut Agroscope mischt in der Debatte mit und verweist stets auf das hohe Potenzial der Genom-Editierung. Am bekanntesten ist das Beispiel von CRISPR/Cas, auch Genschere genannt. Mit dieser Methode kann die DNA einer Pflanze gezielt bearbeitet werden. Das ermöglicht, Sorten zu züchten, die resistenter, weniger krankheitsanfällig und ertragreicher sind.
Andererseits ist nicht von der Hand zu weisen, dass wohl auch die beiden Agrarabstimmungen – die Pestizid- und die Trinkwasserinitiative – vom vergangenen Juni ihren Beitrag geleistet haben. Dass die Landwirtschaft, genauso wie andere Bereiche, nachhaltiger werden muss, wird angesichts der Evidenz des Klimawandels kaum noch negiert. Erste Ziele sind bereits definiert: Mit dem Absenkpfad Pflanzenschutzmittel müssen die Risiken beim Einsatz von Pflanzenschutzmitteln bis 2027 im Vergleich zum Stand 2012 bis 2015 halbiert werden.
So mancher Landwirt wird sich also überlegen, wie er seine Produktion nachhaltiger gestalten kann. Und so mancher wird zur Erkenntnis gelangen, dass resistentere Sorten zur Reduktion von Pflanzenschutzmitteln eine wichtige Rolle spielen dürften. Zudem kann mit solchen Sorten das Risiko eines Ernteausfalls minimiert werden.
Die kürzlich erfolgte Ankündigung des Bauernverbands (SBV), er wolle sich der Gentechnik-Diskussion nicht gänzlich verschliessen und sei bereit, sich das genauer anzuschauen, kommt also nicht ganz aus heiterem Himmel. Die Basis macht schon länger Druck. Und selbst der kritische SBV-Präsident und Mitte-Nationalrat Markus Ritter sagt:
Der Biobauer bleibt aber vorsichtig: «Letztlich hängt der Erfolg der mit den neuen Züchtungsmethoden veränderten Pflanzen davon ab, ob die Konsumentinnen und Konsumenten bereit sind, diese Produkte zu kaufen.» Seine Zurückhaltung hat einen guten Grund: «Ich habe in der Vergangenheit immer wieder erlebt, dass bei nicht erwünschten Folgen jeglicher Art die Bauern an den Pranger gestellt werden und die Verluste tragen müssen.» Deshalb brauche es nun eine behutsame Debatte.
Seine Parteikollegin Andrea Gmür-Schönenberger war eine der treibenden Kräfte, als es im Ständerat darum ging, die neuen Züchtungsmethoden vom Moratorium auszunehmen. Die Luzernerin sprach von einem «faktischen Denkverbot für die Forschung». Ausschlaggebend für ihre dezidierte Haltung sei einerseits «die ernüchternde Tatsache, dass sich seit der letzten Ratsdebatte 2017 nichts verändert» hatte. Anderseits sei da auch der stetige Austausch mit der Wissenschaft: «Sie zeigt uns auf, welche Chancen die Gentechnologie zum Beispiel für den Klimaschutz oder die Landwirtschaft bietet. Vor dem riesigen technologischen Fortschritt der vergangenen Jahre dürfen wir uns nicht verschliessen.» Davon müsse die Schweiz nun unbedingt profitieren können, so Gmür-Schönenberger.
Erst im Anschluss an den ständerätlichen Entscheid kam auch im Nationalrat Bewegung in die Sache: Die Wirtschaftskommission hat Ende Januar einen Kompromiss ausgearbeitet. Bis spätestens Mitte 2024 soll der Bundesrat einen Entwurf für die «Zulassungsregelung der neuen Züchtungstechnologien» ausarbeiten. Der Entscheid in der Kommission war knapp, im Rat dürfte es im März ähnlich aussehen.
Dennoch zeigt sich der Berner FDP-Nationalrat Christian Wasserfallen erfreut: «Die Verzögerungstaktik der Linken hat damit endlich ein Ende. Wir können nun konkret klären, welche neuen Methoden vom Gentechnikgesetz ausgenommen werden sollen.»
Er spricht die von der Forschung als «extrem risikoarm» betrachtete Genom-Editierung an. Für Wasserfallen ist klar:
Ratskollege und GLP-Parteipräsident Jürg Grossen teilt seine Ansicht: «Wir müssen den Dogmatismus überwinden.» Eine mögliche Erklärung für den Sinneswandel auf politischer Ebene sieht Grossen – genau wie Ritter – in der Abstimmung zu den beiden Agrarinitiativen vom vergangenen Juni. «Die Initiativen waren sehr ambitioniert. Doch ich glaube, sie haben den Menschen bewusst gemacht, womit die Landwirtschaft zu kämpfen hat.» Und dass die vielversprechenden Methoden der Gentechnik ein Ansatzpunkt für eine nachhaltigere Landwirtschaft sein können.
Von linker Seite tönt es anders: SP-Nationalrätin Martina Munz warnt davor, die neuen Züchtungsmethoden vom Moratorium auszunehmen:
Sie hält es für sinnvoller, «wenn wir die herkömmlichen Züchtungsmethoden weiterentwickeln, weil man damit ortsangepasste Sorten züchten kann».
Den Meinungsumschwung des Bauernverbands kritisiert Munz scharf: «Der SBV hat eine Kehrtwende um 180 Grad gemacht. Noch in der Wintersession hat mir Nationalrat Markus Ritter gesagt, eine Aufweichung des Moratoriums sei für den Bauernverband absolut kein Thema.» Die Schaffhauserin glaubt, dass der «ungeheure Druck von den Agrarkonzernen und der Wissenschaft» die Debatte stark beeinflusst habe. «Wissenschafterinnen und Wissenschafter, die anders denken und eine Risikoabschätzung verlangen, werden in eine Gesundbeter-Ecke gestellt. Das ist wissenschaftlich nicht korrekt.»
Ähnlich sieht das Ständerätin Maya Graf. Bereits 2003 im Kultfilm «Mais im Bundeshuus» – einer Dokumentation über die parlamentarischen Abläufe in Bundesbern – hatte sich die Grünen-Politikerin für ein Moratorium stark gemacht. Auch heute noch vertritt sie die Ansicht, dass «das Qualitätsmerkmal der Schweizer Landwirtschaft» nicht durch die Gentechnik leichtsinnig aufs Spiel gesetzt werden dürfe. Klar seien die neuen Züchtungstechnologien «im Labor sicher interessant», doch Graf kritisiert, dass seitens Forschung noch keine vielversprechenden Züchtungen existieren würden. «Mit den neuen gentechnischen Züchtungsmethoden werden Hoffnungen geweckt, Nutzen und Risiken im Feld aber ausgeblendet».
Den Antrag der nationalrätlichen Wirtschaftskommission für Zulassungsregeln findet Graf unnötig: «Ich bedauere, dass das seitens der Bürgerlichen so forciert wird.» Der Bundesrat stehe aufgrund mehrerer Postulate so oder so schon in der Pflicht, den Umgang mit den neuen gentechnischen Züchtungstechnologien anzuschauen.
Dennoch hält sogar die Baselbieterin einen Türspalt offen: «Ich bin nicht eine, die kategorisch bis zum letzten Atemzug für das Moratorium kämpft.» Im Vordergrund stehe aber immer die Wahlfreiheit, der Schutz der gentechfreien Landwirtschaft sowie das Vorsorgeprinzip mit einer Risikoabwägung.
Es sind erstaunliche Worte einer grünen Politikerin. Sie bestätigen das Bild des Wandels, der selbst bei den Linken Spuren hinterlässt. Was Wissenschafter Dirk Dobbelaere bereits vor zehn Jahren sagte, scheint also langsam auch in der Politik anzukommen: Der Leiter des Nationalen Forschungsprogramms 59, das sich zwischen 2007 und 2011 mit Nutzen und Risiken der Freisetzung gentechnisch veränderter Pflanzen befasste, schrieb im Schlussbericht 2012: «Aus wissenschaftlicher Sicht lässt sich das herrschende Gentechnik-Verbot nicht aufrechterhalten.»
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Leider ist unser Wirtschaftssystem darauf ausgelegt, dass beides fast zwangsläufig passieren wird bei einer Öffnung. Deshalb sehe ich letztlich nur eine Chance mit staatl. Regulierung.
Ich will die Bauern für die Arbeit in der Produktion bezahlen und nicht Firmen wie Syngenta oder Monsanto...