Um 3,7 Prozent steigen die Preise des öffentlichen Verkehrs im nationalen Durchschnitt per Ende Jahr. In gewissen Regionen müssen Nutzerinnen und Nutzer sogar noch tiefer in die Tasche greifen: Die Aargauer A-Welle erhöht die Tarife um 4,5 Prozent, der Berner Verbund Libero um 4,4 Prozent. Doch wenige Wochen vor der Preiserhöhung ist ein Streit um die Billettpreise und die Finanzierung des ÖV entbrannt. Mittendrin: Peter Füglistaler, der Direktor des Bundesamts für Verkehr (BAV) im Verkehrsdepartement von Bundesrat Albert Rösti (SVP).
Am Wochenende machte der «Sonntagsblick» publik, dass das BAV auf die Preiserhöhung gedrängt hatte. Füglistaler schrieb demnach Transportunternehmen, kantonalen Ämtern und Tarifverbünden, dass auf 2024 Tarifmassnahmen – also Preiserhöhungen – umzusetzen seien. Das gelte national und für regionale Tarifverbünde. Von Letzteren erwarte sein Amt sogar «zwingend überdurchschnittliche Tarifmassnahmen».
Wie die Zeitung schreibt, wollten etwa die SBB bis 2030 eigentlich keine Preisanpassungen mehr vornehmen. Das gehe aus einer Präsentation der Bahn vom 27. Oktober 2021 hervor. Diese Pläne sind nun Makulatur.
Ebenfalls am Sonntag berechnete die «Sonntagszeitung», dass die Preisschere zwischen dem Auto und dem öffentlichen Verkehr in den letzten Jahren immer weiter aufgegangen ist. Autofahren ist demnach heute 4 Prozent günstiger als noch vor 15 Jahren. Der ÖV hingegen hat in dieser Zeit um 18 Prozent aufgeschlagen, während die allgemeine Teuerung nur knapp 5 Prozent betrug. Diese Entwicklung müsse man umdrehen, sagte SP-Nationalrat Jon Pult der Zeitung. Er ist Präsident der nationalrätlichen Kommission für Verkehr und Fernmeldewesen.
Nur einen Tag später stellte sich seine Kommission gegen geplante Kürzungen des Bundes für den regionalen Personenverkehr, also etwa S-Bahnen und Busse. Im Finanzplan für das Jahr 2024 waren dafür ursprünglich 1101,6 Millionen Franken vorgesehen. Diesen Betrag kürzte der Bund im Rahmen seiner Sparbemühungen im neuen Voranschlag auf 1079,5 Millionen Franken. Die ÖV-Branche warnte im Frühling nach Bekanntwerden der Pläne: Die Sparvorgaben seien ohne Angebotsabbau nicht durchführbar.
Im Kanton Luzern, wo das ÖV-Angebot nächstes Jahr zum Teil reduziert wird, hat der Verkehrsverbund die Sparvorgaben des Bundes explizit mitverantwortlich für die Kürzungen genannt. Die ÖV-Branche begründet aber auch die baldigen Tariferhöhungen unter anderem mit den Vorgaben.
Die Warnung der ÖV-Branche stiess bei der Nationalratskommission auf offene Ohren. Sie fordert jetzt, dass der Bund das Budget im Bereich des regionalen Personenverkehrs 2024 um 60 Millionen Franken erhöhe. Sie begründet das mit Klimazielen und der Förderung nicht fossiler Energieträger. «Die folgenschwere ÖV-Preiserhöhung gefährdet die Klimaziele des Bundes», schrieb Kommissionsmitglied und Grünen-Nationalrätin Florence Brenzikofer am Mittwoch auf X. «Zug und Bus dürfen nicht teurer werden, wenn der fossile Verkehr gleichzeitig weiterhin ungedeckte Klimakosten in Milliardenhöhe verursacht.»
Die folgenschwere öV-Preiserhöhung gefährdet die #Klimaziele des Bundes. Zug und Bus darf nicht teurer werden, wenn der fossile Verkehr gleichzeitig weiterhin ungedeckte Klimakosten in Milliardenhöhe verursacht. @GrueneCHhttps://t.co/dqr0BGgzij
— Florence Brenzikofer (@flobrenzikofer) October 18, 2023
Die zeitliche Abfolge scheint BAV-Direktor Peter Füglistaler verdächtig. «Zufällig» hätten Sonntagszeitungen genau einen Tag vor dem Kommissionsentscheid berichtet, kommentierte er vor zwei Tagen ironisch auf dem Portal Linkedin. «Mindestens im Lobbying für mehr Steuergelder ist die ÖV-Branche äusserst pünktlich und effizient!»
Für ihn ist klar, dass Reisende mehr bezahlen sollen. «Je die Hälfte der Kosten im ÖV wird durch die Nutzerinnen beziehungsweise Nutzer sowie die Steuerzahlenden gedeckt», schreibt Füglistaler «Bei einem Kostenanstieg müssen beide Seiten ihren Anteil leisten.»
Zwar hätten die Transportunternehmen die Tarifhoheit. Das bedeute aber nicht nur unternehmerische Freiheit, sondern auch Verantwortung und Verpflichtung. «Ohne Tariferhöhung hätte ein Leistungsabbau gedroht», so Füglistaler. Seit der Coronakrise stelle sein Amt fest, dass die ÖV-Betriebe die finanziellen Risiken immer mehr bei der öffentlichen Hand sehen. «Es war nötig, sie an ihre unternehmerische Verantwortung zu erinnern», verteidigt sich der Amtschef. «Wenn sie diese nicht wahrnehmen, stellt sich die Frage, weshalb wir uns über 200 ÖV-Transportunternehmen leisten.»
Noch ist die Budgetaufstockung nicht in trockenen Tüchern. Zunächst entscheiden die Finanzkommissionen und dann beide Räte. Einen Einfluss hätte eine Rücknahme der Sparbemühungen des Bundes höchstens auf das Angebot und künftige Tarifmassnahmen. Die Preiserhöhung per Ende Jahr ist hingegen beschlossene Sache.
Im regionalen Personenverkehr wird im schweizweiten Durchschnitt etwa eine Kostendeckung von 50 Prozent erzielt. Die Unterschiede zwischen den Kantonen sind gross. Vom Defizit übernimmt der Bund im Durchschnitt die Hälfte, den Rest berappen die Kantone. Der Bundesanteil schwankt je nach Bevölkerungsdichte. Der Kanton Basel-Stadt muss 73 Prozent des Defizits selbst bezahlen, der Kanton Graubünden nur 20 Prozent. Zudem beteiligt sich der Bund nicht an den Kosten des ÖV in Städten. (aargauerzeitung.ch)
Das sich der Direktor des Bundesamtes für Verkehr dermassen unangebracht über seine eigene Branche äussert, disqualifiziert ihn für seinen Job.
Lässt sich bestimmt einen masslos überbezahlten ÖV-Chefbeamten finden, dem der Erfolg des ÖVs auch wirklich am Herzen liegt. Da hinten hat der Maurer das Loch in der Wand gelassen. #next
Die Frage ist nur: Lassen sich das Herr und Frau Schweizer wirklich gefallen?