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Dieses Paar suchte das grosse Abenteuer in Asien – und durchlebte die Hölle

Dieses Schweizer Paar suchte das grosse Abenteuer in Asien – und durchlebte die Hölle

Es hätte eine mehrwöchige Asien-Reise werden sollen. Doch eine Infektion mit dem Dengue-Virus machte Roman und Livia einen dicken Strich durch die Rechnung – und hätte Roman am Ende fast das Leben gekostet.
06.10.2020, 06:5606.10.2020, 07:04
Lukas Scherrer / ch media
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«Ihr Einsatz war unglaublich», sagt Roman Leiser heute über seine Frau Livia.
«Ihr Einsatz war unglaublich», sagt Roman Leiser heute über seine Frau Livia.bild: lukas scherrer

Es ist unerträglich heiss im Auto. Die Fahrt durch den Dschungel von Myanmar scheint endlos. Auf dem Rücksitz, in mehrere Decken gehüllt, liegt Roman und zittert am ganzen Leib. Jedes Schlagloch bereitet ihm wahnsinnige Schmerzen. Romans Zustand verschlechtert sich zusehends, er ist kaum mehr ansprechbar. Livia, damals Romans Verlobte, erinnert sich: «In diesem Moment dachte ich, er stirbt in meinen Armen und ich kehre allein nach Hause zurück.»

Zwei Jahre sind seither vergangen, Roman hat überlebt. Doch noch heute wird der gebürtige Beriker von den Erlebnissen eingeholt. Roman und Livia blättern im Fotoalbum ihrer zweimonatigen Asienreise, unter dem Spielbogen auf dem Teppich gluckst ihr wenige Monate altes Töchterchen glücklich vor sich hin. Die beiden zeigen Bilder von Tempeln, Karstbergen und malerischen Sonnenuntergängen. Doch plötzlich werden sie durch Aufnahmen von Roman aus einer Krankenstation unterbrochen. Abgekämpft und müde, an eine Infusion und allerlei Maschinen angeschlossen. Es sind Erinnerungen, auf die Roman und seine Frau gerne verzichten würden - und dennoch lassen die beiden sie noch einmal Revue passieren.

Der unbekannte Helfer

Herbst 2018: Roman und Livia verbringen eine grossartige Zeit auf ihrer Asien-Rundreise. In Rangun, der grössten Stadt von Myanmar, bucht das Paar eine Busreise ins gut sieben Stunden entfernte Hpa-an. Die Nacht nach der Ankunft verläuft ruhig. Doch am nächsten Morgen fühlt sich Roman nicht gut. Er schiebt es auf die paar Biere, die er sich am Abend zuvor gegönnt hat und legt sich noch einmal hin. Dann bemerkt Livia, dass Roman Fieber hat.

Der Hotelmanager verweist sie ans örtliche Spital. Und tatsächlich fühlt sich Roman kurzzeitig besser und die beiden essen zu Mittag. Doch nach wenigen Bissen merkt Roman, wie sein Kreislauf zusammensackt. Er wird bewusstlos. Das Personal eilt zur Hilfe, fächert Roman Luft zu. Ein Restaurantgast beobachtet die Szene, erkundigt sich bei Livia, was los ist. Für ihn ist sofort klar, dass Roman schnell ins Spital muss. Der Unbekannte organisiert ein Auto für Roman, folgt den beiden auf seinem Motorrad zu den Ärzten und hilft beim Übersetzen. «Ohne ihn wäre gar nichts gegangen», erinnert sich Livia. Später stellt sich heraus, dass der Mann offenbar ein Mitarbeiter der Vereinten Nationen ist und Jap heisst.

Ein Bluttest schafft Klarheit: Roman hat sich mit dem Dengue-Virus infiziert (siehe Box am Ende des Artikels). Zwar schicken die Ärzte Roman zurück in den Bungalow des Hotels. Doch hier geht es Roman immer schlechter. Der Hotelmanager bringt ihn ein weiteres Mal ins örtliche Spital. Doch dort sind die Möglichkeiten für Roman erschöpft. Jap rät den beiden, so rasch wie möglich nach Rangun zurückzukehren, wo es ein internationales Spital gibt. Fliegen ist mit Romans hohem Fieber nicht möglich. Auch der Reisebus, der immer wieder längere Pausen einlegt, ist keine Option. Stattdessen wird die stundenlange Taxifahrt über die holprigen Strassen Myanmars für den schmerzgeplagten Roman zum Albtraum.

Impressionen aus unbeschwerteren Tagen von Roman und Livias Reise durch Myanmar:

1 / 7
Asien-Geschichte Impressionen (unbrauchbar für andere Story)
Ein Bauer auf einer Chili-Plantage in Kalaw.
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«In diesem Moment habe ich nur noch geschrien»

Endlich in Rangun angekommen, wird er von einem guten Dutzend Ärzte und Pfleger in Empfang genommen. Nach der Hinterlegung von 1000 US-Dollar Kaution kommt Roman auf die Station. Hier wird allerdings nur für sein medizinisches Wohl gesorgt, Pflege ist hier Aufgabe der Angehörigen. «Es war, als würde ich mich um einen alten Mann kümmern», erinnert sich Livia. «Ich habe ihn gefüttert und auf die Toilette begleitet.»

Um Romans Fieber zu senken, wird die Klimaanlage im Zimmer eingeschaltet. «Der Schüttelfrost war so heftig, dass sein ganzes Bett wackelte», erklärt Livia. Beim Stationspersonal bestellt sie Wolldecken, die ihr pro Stück verrechnet werden. In der Nacht wird Roman von schlimmen Albträumen geplagt. Immer wieder schreckt er hoch, ständig in der Angst, sterben zu müssen.

Bei einem Toilettengang am Folgetag passiert es dann. Roman verdreht plötzlich die Augen, klappt zusammen, bleibt bewusstlos liegen - ein klassischer Schock, wie er bei schweren Verläufen einer Dengue-Erkrankung nicht unüblich ist. Livia erinnert sich: «In diesem Moment habe ich nur noch geschrien». Die Ärzte messen einen Puls von gerade noch 30 Schlägen pro Minute. Als Roman wieder zu sich kommt, sieht er auf einem Auge kurzzeitig nichts mehr.

Überträger des Dengue-Virus: die asiatische Tigermücke.
Überträger des Dengue-Virus: die asiatische Tigermücke.bild: James Gathany, CDC

Endlich wird Roman auf die Intensivstation des Spitals verlegt und rund um die Uhr von einem Spezialistenteam betreut. Es ist der Moment, als auch von Livia eine riesige Last abfällt. «Ich war so dankbar, dass er endlich 24 Stunden überwacht wird. Ich habe nur noch geweint.»

Trotz der Verlegung verbessert sich Romans Zustand auch in den nächsten Tagen nicht. Livia hält täglich Kontakt mit den Angehörigen in der Schweiz und auch der Rega. «Die Ärzte der Rega meinten, wir können froh sein, in Rangun und nicht in der Schweiz zu sein», so Livia. Dies, weil es in der Schweiz kaum Dengue-Fälle gäbe und das Wissen über die Krankheit daher nur gering sei. Weiter erklärt die Rega, dass es zwar möglich sei, Roman abzuholen. Wegen des immer noch hohen Fiebers und der vielen Zwischenlandungen, die mit dem kleinen Rega-Flieger nötig seien, sei es aber zu gefährlich.

Die Krankheit hinterlässt ihre Spuren

Endlich, nach über einer Woche seit den ersten Symptomen, sinkt das Fieber. Zwei weitere Tage vergehen. Dann versucht Roman ein erstes Mal aufzustehen und einige Schritte zu gehen. Nach nur 20 Metern ist Roman fix und fertig. «Ich fühlte mich furchtbar. Als hätte ich gerade einen Marathon hinter mir.» Doch das Schlimmste ist überstanden, Roman kann die Intensivstation verlassen.

Dann geht alles schnell. In Absprache mit der Rega wird auf eine Rückführung von Roman verzichtet, ein normaler Linienflug soll die beiden nach Hause bringen. Roman wird mit dem Rollstuhl zum Flugzeug gebracht, in der Business Class geht es über Dubai weiter nach Zürich. In der Ankunftshalle kommt es zum grossen Wiedersehen mit den Eltern. Eigentlich müsste Roman zur Beobachtung wieder ins Spital, doch das schlägt er aus. «Ich wollte einfach nur noch nach Hause.»

Doch auch dort durchlebt Roman noch ein paar schlimme Nächte. «Er wachte oft schweissgebadet auf», erinnert sich Livia. Roman ergänzt: «Ich hatte Panik, einzuschlafen und nicht mehr zu erwachen.» Roman hat durch die Krankheit rund zehn Kilo abgenommen, sein Immunsystem hat stark gelitten. Bis Ende Jahr arbeitet er nicht, gut ein halbes Jahr kann er keinen Sport treiben.

Auf die Frage, ob er eine solche Reise wieder machen würde, blickt Roman zum Teppich, wo seine kleine Tochter nach den Figuren am Spielbogen greift. «Ich war schon oft in Asien und es war immer grossartig», sagt er. «Doch so etwas wie in Myanmar will ich nie wieder erleben.» Roman ist dankbar für all die Menschen, die ihm geholfen haben, den Albtraum Dengue durchzustehen. Für Jap, für die Ärzte in Hpa-an, in Rangun und bei der Rega. Doch die tiefste Dankbarkeit empfindet Roman für seine Frau Livia. «Ihr Einsatz war unglaublich», sagt er. «Wie sie sich um mich kümmerte, nie Schwäche zeigte, nie vor mir weinte - das werde ich ihr nie vergessen.»

Was ist Dengue?
Das Dengue-Virus wird durch den Stich einer Stechmücke übertragen und ist in tropischen und subtropischen Gebieten verbreitet. In den 1960er Jahren wurde die Krankheit noch bei 10‘000 bis 20‘000 Personen jährlich registriert, heute sind es bereits 50 bis 100 Millionen Fälle pro Jahr.

In den meisten Fällen verläuft die Krankheit mild, mit Symptomen ähnlich einem grippalen Infekt. Allerdings zählt die Weltgesundheitsorganisation (WHO) jährlich auch 500’000 schwere Krankheitsverläufe und 22'000 Todesfälle. In Asien sind in 90% der schweren Erkrankungen Kinder betroffen.

Für die Behandlung des Dengue-Fiebers existiert keine ursächliche Therapie. Zwar existiert seit 2017 der Impfstoff «Dengvaxia», mit einer Schutzwirkung von etwa 60 Prozent. Für Touristen kommt er allerdings nicht infrage. Die WHO empfiehl den Impfstoff nur für Ländern, in denen mehr als 70 Prozent der Bevölkerung Antikörper gegen das Dengue-Virus entwickelt hat. (aargauerzeitung.ch)
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42 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Expat
06.10.2020 07:56registriert Mai 2020
Toll und alles Gute an Roman und Livia.
N.b. Sie haben das erlebt, was millionen von Menschen in sog. Drittweltstaaten erleben. Die nichtmedizinische Betreuung geschieht durch Fan.Angehörige, Sonderwünsche werden durch separat Bar bezahlt, wenn kein Geld vorhanden gibt's nichteinmal medizinische Betreuung.
Solche Geschichten steigern meine Dankbarkeit für unser Gesundheitssystem - auch wenn nicht alles perfekt ist, ist es extrem gut👍
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Nocciolo
06.10.2020 07:32registriert November 2014
Gestern landete eine asiatische Tigermücke auf meinem Arm und zwar hier in Lugano. Bin ziemlich erschrocken. Offenbar tragen sie aber in der Schweiz noch keine für Menschen gefährlichen Krankheitserreger in sich. Vermutlich ist es aber nur noch eine Frage der Zeit. Wäre also gut wenn wir uns hier das entsprechende medizinische Wissen aneignen würden.
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Nony
06.10.2020 09:22registriert Februar 2019
Ich bin entsetzt. Nicht über die eigentliche Geschichte. Klar, ist das für die beiden ein einschneidendes Erlebnis, was weit über das hinausgeht, was sie sich vorstellen konnten und wollten. Nein. Es entsetzt mich, wie dieser Artikel über die "Zustände" in dem Land schreibt. 1. ist das für die Menschen vor Ort der Alltag. Vermutlich haben die Ausländer die besten vor Ort verfügbaren Therapien erhalten und dies 2. zu einem Preis, für den sie hier nicht einmal zum Zahnarzt könnten. Nebenbei bemerkt. Habt ihr mal recherchiert, was Schweizer Spitäler für Kautionen verlangen? Nicht unter 20'000
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