Vor knapp einem Monat diskutierte man im Studio 8 im Leutschenbach bereits ein erstes Mal über die Pflege-Initiative. Nun, gut zwei Wochen vor dem Abstimmungstermin am 28. November war die Situation der Pflegefachleute ein zweites Mal das «Arena»-Diskussionsthema.
Anders als bei anderen Abstimmungssendungen gingen alle Teilnehmenden von der gleichen Prämisse aus: Die Schweiz steuert auf einen Pflegenotstand zu. Es werden zu wenig Pflegefachleute ausgebildet, viele verlassen den Job bereits nach einigen Jahren wieder. Kommt hinzu, dass sich die prekäre Lage nicht nur, aber auch mit der Corona-Pandemie weiterhin zuspitzt.
Dieses Problem gilt es zu lösen. Doch beim Wie, da scheiden sich die Geister – auch in der «Arena». Dennoch boten die knapp 75 Sendeminuten eine anregende und respektvolle Diskussion, wo sich die Studiogäste im Lautstärkepegel kaum je vertaten. Ein Zeichen für den Ernst der Pflege-Lage?
Aber zurück zum Wie:
Wird die Pflege-Initiative angenommen, muss der Pflegenotstand in der Verfassung geregelt werden. Dann müssen Bund und Kantone die Qualität der Pflege sicherstellen. Indem sie beispielsweise dafür sorgen, dass die Arbeitsbedingungen verbessert, die Dienstpläne verlässlicher umgesetzt oder die Löhne erhöht werden. Wie diese Lösungsansätze dann konkret aussehen, das muss dann zuerst noch in einem Gesetz ausgearbeitet werden.
Und genau da setzt die Kritik der Gegnerschaft an. Unter anderem auch die von Gesundheitsminister Alain Berset, der von SRF-Moderator Brotz gleich zu Beginn der Sendung in die Mängel genommen wird.
Als Reaktion auf die Pflege-Initiative arbeitete das Parlament einen Gegenvorschlag aus. Legt die Mehrheit der Stimmbevölkerung am 28. November ein «Nein» in die Urne, dann tritt der Gegenvorschlag in Kraft – wenn denn niemand ein Gesetzesreferendum ergreift.
Und genau für diesen Gegenvorschlag weibelt Berset hinter Plexiglasscheiben. «Ich bin seit bald 20 Jahren in der Politik und ich habe noch nie einen so starken Gegenvorschlag gesehen. Da wurde sehr gute Arbeit geleistet», schwärmt der Bundesrat. Nur der Gegenvorschlag sorge dafür, dass der Pflege schnell geholfen werde. Schneller jedenfalls als die Initiative, so Berset.
Der Gegenvorschlag nimmt zwei Anliegen der ursprünglichen Initiative per Gesetz auf: Einerseits sollen Bund und Kantone eine Milliarde Franken in die Ausbildung neuer Pflegefachkräfte stecken. Andererseits sollen Pflegekräfte, wie beispielsweise die Spitex, ihre Dienste direkt bei der Krankenkasse abrechnen können. «Den Pflegenotstand können wir nicht auf Bundesebene beheben. Das ist Sache des Arbeitgebers. Das muss in den Kantonen und Institutionen geregelt werden – nicht in der Verfassung», schliesst Berset sein Statement.
Wenig Begeisterung für den Gegenvorschlag aufbringen kann Nationalrätin Barbara Gysi. Und das, obwohl sie in der gleichen Partei sitzt, wie Bundesrat Berset. «Der Gegenvorschlag sorgt nicht dafür, dass die Probleme schneller gelöst werden. Das ist Augenwischerei.» Die versprochene Milliarde Schweizer Franken würde nur fliessen, wenn sich die Kantone auch selbst ans Gesetzgeben machen würden. «Doch bis jetzt ist noch nichts passiert», moniert Gysi.
Ins gleiche Horn bläst Yvonne Ribi, Geschäftsführerin des Schweizer Berufsverbands für Pflegefachfrauen und Pflegefachmänner: «Es nützt nichts, wenn wir einfach mehr Leute ausbilden. Wir müssen auch dafür sorgen, dass sie im Beruf bleiben. Der Job muss wieder attraktiv werden.» Mit attraktiv meint Ribi: Mehr Personal, geregelte Arbeitszeiten, weniger Überstunden und einen Lohn, der der Ausbildung entspricht.
Auch Ribi, die ehemalige Pflegefachkraft, wird von Moderator Brotz in der Sendung zum eins zu eins gebeten und mit Fragen gelöchert. Davon einschüchtern lässt sie sich nicht. So geübt wie der Bundesrat die Konfrontation am Anfang gemeistert hat, tut dies auch Ribi.
Sie sei keine Politikerin, sie sei Pflegefachfrau, sagt sie mit Nachdruck. «Und wir wollen keine Fliessbandpflege. Dazu darf es nicht kommen.» Dies am besten verhindern könne nur die Initiative. Dass deren Ausarbeitung dauern und dabei kostbare Zeit im Kampf gegen den Pflegenotstand verstreichen könnte, sieht Ribi nicht ein. Das Parlament habe es mit dem Gegenvorschlag schon einmal geschafft, in kurzer Zeit eine Ausbildungsoffensive für die Pflege zu erarbeiten. «Was spricht dagegen, dass es das noch einmal tut und ein Gesetz erarbeitet, das die Probleme in der Pflege effektiv löst?»
Auf Ribi schaltet sich die Vierte im Bunde ein. «An der Initiative festzuhalten, trotz des sehr guten Gegenvorschlags, ist doch einfach Zwängerei. Irgendwo muss man uns doch mal entgegenkommen», kritisiert FDP-Nationalrätin Regine Sauter. Mit dem Gegenvorschlag habe man ein pfannenfertiges «Umsetzungsgesetz» für die Pflege-Initiative. «Wir haben in der Schweiz eine Kompromiss-Kultur. Und dieser Gegenvorschlag ist ein sehr guter Kompromiss.» Und zu sagen, dass die Probleme mit der Initiative schneller gelöst würden, das stimme einfach nicht, doppelt Sauter nach.
Der Streit um die Zeit. Darum dreht sich im Kern die ganze Debatte um die Pflege-Initiative. Denn in allen anderen Punkten ist man sich von links bis rechts grosso modo einig. Die 11’000 offenen Stellen müssen besetzt, der Pflegeberuf attraktiver gemacht und die Qualität hochgehalten werden. Und, das sagt sogar Gesundheitsminister Berset, «es darf auch etwas kosten».
Die Frage ist also: Welches politische Instrument sorgt schneller dafür, dass die Schweiz seinen Pflegenotstand beheben, den Beruf attraktiver und die Pflege der Patientinnen und Patienten auf einem hohen Niveau gewährleisten kann? Ist es die Initiative oder der Gegenvorschlag?
Darüber richten muss wohl oder übel das Schweizer Stimmvolk am 28. November.
Ich denke Bund, Kantone und Arbeitgeber habe eher Angst, dass da ihre Profite beschnitten werden könnten, wenn die plötzlich faire Arbeitsbedingungen garantieren müssten.
Das mit der Schnelligkeit der Umsetzung ist doch reine Augenwischerei. Sobald die Kantone selber Gesetze machen können, werden allfällige Lösungen uneinheitlich und tlw. verwässert und das dauert Jahre. Beim Bund wird es auch dauren, aber weniger welche abgewählt werden könnten, bei Verzögerungen.
Effizient das Falsche zu tun ist noch schlimmer als das Falsche zu tun…
Was wir brauchen ist zu erst mal Effektivität. Erst wenn wir das Richtige tun, lohnt es sich, dies effizient zu tun…