Die «Arena» am Freitag hatte ein grosses Manko: Sie zeigte wieder einmal, welches Geschlecht die Schweizer Politik dominiert: Zur traditionellen Präsidentenrunde, zu der alle Parteichefs und der Bundespräsident Ignazio Cassis eingeladen wurden, kamen nur Männer. Die Runde formierte sich schon vor der Sendung: Kurz vor Drehbeginn sassen sie in der Lobby des Fernsehstudios, witzelten, tauschten Persönliches aus. So, wie man es von der Schweizer Politik kennt: in der Sache hart, aber sonst anständig und gesellig.
Die kollegiale Stimmung kippte aber, als das rote Lämplein auf der Türe des Studio 8 aufleuchtete: Der «Arena»-Dompteur Sandro Brotz und sein Team wählten Themen aus, die viel Diskussionsstoff lieferten. Und ja, Corona war auch dabei. Längerfristig wichtiger war aber das zweite Thema Europapolitik, was wegen Cassis' politischer Verantwortung auf der Hand lag. Gegen Schluss gab es noch ein wenig Parteigeplänkel zur Frage, wie der Bundesrat künftig zusammengesetzt werden soll.
Brotz bot den Zuschauerinnen und Zuschauern ein lockeres Warm-up: Der neue Bundespräsident Ignazio Cassis durfte sich über die Manipulationen am Bundesratsfoto äussern (er findet sie lustig) und informierte über sein Sofa, was boulevardgeneigte Medienkonsumenten besonders erfreute (Cassis hat immer noch dasselbe Sofa). Unmittelbar danach prasselte aber Kritik auf ihn ein.
So etwa wegen Corona: SVP-Präsident Marco Chiesa schimpfte, weil es zu wenig Intensivbetten und Personal gibt. SP-Co-Präsident Cédric Wermuth kritisierte die neoliberale Gesundheitspolitik: «Wir hatten zehn Jahre sinnlosen ideologischen Pseudowettbewerb. Spitäler, die auf Kosten des Personals sparten.» Und Grünen-Präsident Balthasar Glättli zeigte sich enerviert darüber, dass der Bundesrat in der Pandemiepolitik nicht auf einfachere Mittel greift, wie zum Beispiel den Einbau von Filtern in den Schulen.
Keine scharfe Kritik gabs hingegen von Thierry Burkart (FDP), Jürg Grossen (GLP) und Mitte-Chef Gerhard Pfister. Letzterer lobte den Bundesrat gar dafür, dass er richtig vorgehe, indem er die Lage beobachtet: «Er hält Massnahmen bereit, falls sie nötig werden sollten.» Pfister lobte das föderale System, Cassis stimmte ihm zu und betonte: «Wir sind kein totalitärer Staat, der grossen Druck ausübt.» Oder anders gesagt: Beim Pandemiemanagement brauche es das richtige Gleichgewicht, sonst würde die Bevölkerung nicht mitmachen.
Bei der Europapolitik gabs weniger Zustimmung für Cassis. Wir erinnern uns: In der Beziehung zwischen der Schweiz und der EU herrscht derzeit Stille. Nach dem gescheiterten Rahmenabkommen weiss derzeit niemand genau, wie die Partnerschaft zur Europäischen Union neu geregelt werden soll. Der Bundespräsident brillierte zwar mit einer pathosreichen Rhetorik («Schweiz ist eine Willensnation!»), er musste aber zu Beginn des Themenblocks zugeben: Die EU-Politik hat Höhen und Tiefen, wobei das Land derzeit eher bei einem Tiefpunkt sei.
Brotz präsentierte sich während der Sendung, aber insbesondere beim EU-Thema, als besonders kritischer «Dompteur». Er kitzelte aus dem Bundespräsidenten Sätze heraus wie «Über den Reset-Knopf spreche ich nicht mehr» und «Ich habe meinen Teil [zum Scheitern des Rahmenabkommens] beigetragen». Er versuchte zudem die Aussenpolitik von Cassis so darzustellen, dass diese vor allem aus Dialog, Dialog und Dialog bestehe. Cassis konterte ruhig, schaffte es aber nicht, konkretere Einblicke in die Europapolitik des Bundesrates zu geben. Nicht einmal ein Zeithorizont zu einem möglichen neuen Termin mit der EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen war von ihm zu hören.
Diese Schwäche nutzten die anderen Herren zu seinen Ungunsten aus. SVP-Präsident Marco Chiesa konnte die bekannten Parolen skandieren: «Wir wollen keine fremden Richter. Und wir wollen keine fremden Gesetzgeber.» Mitte-Präsident Gerhard Pfister kritisierte den Bundesrat dafür, dass er keine Perspektive aufzeigt und keine Verantwortung übernimmt.
GLP-Chef Jürg Grossen lieferte gar eine Standpauke: «Man ist aufgestanden und vom Tisch weggegangen, nachdem man diese Verhandlung ursprünglich selber angestossen hatte. Das war verantwortungslos und nicht richtig. Das ist eine Führungsschwäche des Bundesrats.» Grossen erwähnte dazu hämisch, dass man in der Schweiz über Hornkuh-Initiativen, nicht aber über das Rahmenabkommen abstimmen dürfe.
Cassis, der wohl nicht viel sagen konnte oder durfte, blieb nichts anderes übrig, als die bekannte Rechtfertigung des Bundesrates zu wiederholen: Die Landesregierung hielt es schlicht für unverantwortlich, das Rahmenabkommen – so wie es letztes Jahr stand – in den politischen Prozess zu schicken und gar darüber abstimmen zu lassen. «Der Bundesrat war nicht davon überzeugt, dass das Rahmenabkommen ohne notwendige Ausnahmen durchgekommen wäre», so Cassis.
Und ausserdem müsse man sowieso in längeren zeitlichen Perioden denken. Die EU-Politik sei gar mit der «B-Post oder sogar der Brieftaube» (Wortwahl von Brotz) vergleichbar, so der Bundespräsident: «Für den gleichen Entscheid braucht die EU eine Woche, ein EU-Land einen Monat und die Schweiz ein Jahr. Das ist die direkte Demokratie und unsere politische Kultur.»
Der Satz zur politischen Kultur lieferte einen perfekten Übergang zum dritten Thema. Und auch hier wurde am Standing von Cassis gesägt: Es ging um die «Zauberformel», die seit Jahrzehnten die Zusammensetzung des Bundesrates bestimmt. Diese ungeschriebene Regel wankt seit den jüngsten Wahlerfolgen der Grünen und Grünliberalen, deren Forderungen nach einem Sitz im Bundesrat immer lauter werden.
Grünen-Chef Balthasar Glättli meinte dazu zunächst versöhnlich: «Persönlich habe ich eine gute Beziehung zu Herrn Cassis.» Politisch fordert er aber einen grünen Sitz auf Kosten der FDP. Die Meinungen der anderen hängte davon ab, wie nahe sie politisch den Grüngefärbten stehen. So etwa Chiesa von der SVP: Seine Partei hat rechnerisch gesehen zwei sichere Sitze. Chiesa bekennte sich zur Zauberformel («Ich bevorzuge eine Mitte-Rechts-Mehrheit»), was im Studio ein bisschen überraschend ankam, da doch seine Partei immer wieder von einer linken Vormacht im Bundesrat spricht.
Wermuth nutzte diese Steilvorlage aus und kommentierte: «Historisch ist, dass Marco Chiesa zum ersten Mal in der Geschichte der Partei zugegeben hat, dass wir einen Bundesrat mit rechter Mehrheit haben. Wahrscheinlich bekommen wir morgen wieder ein Communiqué der SVP, das sagt, du hättest es nicht gesagt.»
Warum war Frau Meyer (SP) nicht dabei, immerhin Co-Chefin der SP?
Warum kandidierte keine Frau bei der FDP (Obwohl von der Petra Gössi gezielt angesprochen)
Warum trat Frau Rytz zurück?
Weils eben nicht so einfach ist, als Hobby noch ein Parteipräsidium zu führen (alle haben ja einen normalen Job daneben)
Daher ist die Gschlechterfrage nur mit grösster Vorsicht zu gebrauchen, es würde ein extrem schlechtes Licht auf die Frauen werfen 😉
Da war er bisher wohl nicht so stark involviert…
Und wenn wir uns mit anderen Ländern vergleichen fahren wir eigentlich einen guten Mittelwert zwischen den Extremen…