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Russischer Botschafter in Bern klagt wegen «Morddrohung»

Russischer Botschafter in Bern klagt wegen «Morddrohung» – vergisst aber die Unterschrift

Russlands Vertretung in der Schweiz schaltet die Bundesanwaltschaft wegen einer Hassnachricht ein. Die Diplomaten, die ihrerseits nicht für ein diplomatisches Vorgehen bekannt sind, begehen jedoch einen Anfängerfehler.
13.09.2023, 16:41
Andreas Maurer / ch media
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Blick auf die Russische Botschaft, am Donnerstag, 20. April 2023, in Bern. Die Botschaft wurde rundum mit einem schwarzen Sichtschutz ausgestattet. (KEYSTONE/Peter Schneider)
Mit Blickschutz abgeschirmt: die russische Botschaft in Bern.Bild: keystone

Ein Mann aus dem Kanton Zürich schickt der russischen Botschaft in Bern knapp drei Monate nach Kriegsbeginn auf die allgemeine E-Mail-Adresse folgende Nachricht: «Nur ein toter Russe ist ein guter Russe - auch das gilt für den Botschafter». Der Satz löst mehr aus, als der Absender gedacht hat.

Die Botschaft reagiert mit einem Schreiben an das Schweizer Aussendepartement. Diese sogenannte Verbalnote ist in umständlicher Diplomatensprache formuliert. Die Botschaft bezeugt dem Aussendepartement ihre «Hochachtung» und «beehrt sich», mitzuteilen, «Morddrohungen gegen Herrn Botschafter Sergei Garmonin» erhalten zu haben. Die Schweizer Behörden sollten den Täter ausfindig machen und zur Verantwortung ziehen. Das Dokument trägt den Stempel der Botschaft, aber keine Unterschrift.

Nicht nur hierzulande haben es russische Botschafter schwer:

Die Bundeskriminalpolizei übernimmt den Fall. In einer Einvernahme sagt der Absender der E-Mail-Nachricht, er habe «aus der Emotion heraus gehandelt» und «keine Drohung beabsichtigt». Der Mann hat Freunde und Bekannte in der Ukraine.

Die Bundesanwaltschaft will den Fall zuerst mit einem Strafbefehl erledigen. Sie verurteilt den Mann wegen Drohung zu einer bedingten Geldstrafe. Doch dieser erhebt Einsprache. Er habe einfach eine Dummheit begangen und nicht geschrieben, dass er jemanden umbringen wolle, verteidigt er sich. Er habe sich einzig gewünscht, dass der Botschafter tot sei - mehr nicht. Dieser habe in einem Kommentar sinngemäss selber geschrieben, dass nur ein toter Ukrainer ein guter Ukrainer sei.

Die Bundesanwaltschaft lässt sich von dieser Argumentation überzeugen. Sie stellt den Fall ein mit der Begründung, es sei kein Straftatbestand erfüllt.

Dagegen wiederum reicht die russische Botschaft Beschwerde beim Bundesstrafgericht ein. Sie verlangt, dass der Mann endlich bestraft wird. Eigentlich stehen ihre Chancen nicht schlecht. Denn ein anderer Zürcher wurde kürzlich wegen eines ähnlichen Satzes gegen SVP-Nationalrat Franz Grüter verurteilt: «Leute wie dich sollte man am nächsten Baum aufhängen.» Diese Drohung ist ebenfalls nur als abstrakter Wunsch formuliert und war nicht ernst gemeint. Dennoch wurde der Absender bestraft.

Die Botschaft hat keinen gültigen Strafantrag eingereicht

Doch das Gericht kommt ebenfalls zum Schluss, dass das Verfahren eingestellt werden muss - allerdings mit einer anderen Begründung. Die angezeigte Drohung ist ein Antragsdelikt. Das bedeutet, dass die geschädigte Person innert dreier Monate persönlich eine Strafanzeige einreichen muss. Da Botschafter Garmonin das Schreiben nicht unterschrieben hat, liegt kein gültiger Strafantrag vor. Somit fehlt eine Prozessvoraussetzung.

Die Bundesanwaltschaft hätte ihn zwar darauf hinweisen können, wie das Gericht festhält. Doch dies versäumte sie. Dennoch lässt sich der Fehler nachträglich nicht mehr korrigieren. Der Fall ist mit dem Urteil rechtskräftig eingestellt.

Russischer Botschafter in der Schweiz: Sergei Garmonin.
Der 70-jährige Sergei Garmonin ist seit 50 Jahren beim russischen Aussenministerium angestellt.Bild: Russische Botschaft

Botschafter Garmonin hat sich im Verfahren über das Schweizer Recht gewundert. Er versteht nicht, warum er als Privatperson behandelt wird, da er doch in seiner Funktion als Botschafter bedroht worden sei. Doch damit eine Drohung erfüllt ist, muss jemand gemäss Strafgesetz «in Angst oder Schrecken versetzt» werden. Eine Institution kann jedoch weder Angst noch Schrecken verspüren. Das kann nur eine Person.

Die Rolle des Rechtsstaats in einer kriegerischen Zeit

Der Fall zeigt: Die russische Botschaft reagiert empfindlich auf undiplomatische Post. In ihrer Kommunikation hält sie sich selber jedoch nicht an diplomatische Gepflogenheiten. Sie steht regelmässig in der Kritik, selber Drohungen zu verbreiten.

Im Frühling empörte sich die Botschaft in einer Mitteilung über einen Korrespondenten der NZZ, der aus einem russisch besetzten Gebiet in der Ukraine berichtet hatte. Sie warf ihm vor, Terrorismus zu rechtfertigen. Deshalb wies sie ihn darauf hin, dass er wegen seines Textes in Russland mit bis zu sieben Jahren Gefängnis bestraft werden könnte. In der Schweiz wurde dies als Drohung und Angriff auf die Pressefreiheit wahrgenommen.

Das Aussendepartement bestellte darauf Botschafter Garmonin ein. Er musste sich erklären. Dies tat er danach auch in einer Mitteilung. Die Botschaft habe den Journalisten nicht persönlich bedroht, sondern nur daran erinnert, dass auch Journalisten in einem Rechtsstaat leben würden und sich an der Gesetzgebung orientieren sollten.

Russland führt einen völkerrechtswidrigen Angriffskrieg und argumentiert gleichzeitig mit rechtsstaatlichen Prinzipien. Das Bundesstrafgericht hat der Botschaft nun juristische Nachhilfe erteilt. Dank dem neusten Fall kennt sie jetzt sogar die Schweizer Strafprozessordnung. (aargauerzeitung.ch)

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71 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Macca_the_Alpacca
13.09.2023 16:49registriert Oktober 2021
Wenn es dem Herrn Botschafter hier nicht passt, kann er ja nach Hause reisen.
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Franz v.A.
13.09.2023 18:10registriert August 2019
Meiner Meinung nach sollte man 50% des russischen Botschafts-Personal nach hause schicken. Speziel die, die spionage betreiben. Verstehe nicht, warum so viele R. Botschafter/Personal hier in unserem kleinen Land sind.
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Die Geschichte wiederholt sich...
13.09.2023 17:08registriert Februar 2022
In letzter Zeit denke ich bei den Gedanken an die Russen (besonders in der Ukraine) immer wieder an eine deutsche Grusskarte aus dem Ersten Weltkrieg: «Jeder Schuss ein Russ!» Ich denke jedoch nicht, dass es eine gute Idee ist, diese Karte an den russischen Botschafter zu schicken, nach dem was ich hier gelesen habe. 😉
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