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Kalifornien erlebt eine Ratten-Plage und auch die Schweiz hat Hotspots

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Wanderratten (Rattus norvegicus) sind sehr soziale Tiere.bild: shutterstock

Kalifornien erlebt eine Ratten-Plage – auch die Schweiz hat Hotspots

Ratten richten in Kalifornien verheerende Schäden an Obstplantagen an. Zwei Forschende der Universität Bern erklären, warum den sozialen Tieren schwer beizukommen ist und wie die Lage in der Schweiz aussieht.
16.08.2025, 08:2316.08.2025, 08:23
Bruno Knellwolf / ch media
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Ratten richten zurzeit verheerende Schäden an Mandelplantagen im kalifornischen San Joaquin Valley an. Landwirte erzählen, wie Ratten Bewässerungsleitungen durchknabbern, Höhlen unter Obstplantagen graben und die Ernte fressen. «Wir leben in einem unendlichen Meer von Ratten», sagte eine Wildtierberaterin der University of California in der Zeitung «Fresno Bee». Der kalifornische Mandelverband spricht von Ernteausfällen und Schäden an der Infrastruktur von über 300 Millionen Dollar.

«Damit sich Wanderratten so stark vermehren, müssen mehrere günstige Faktoren gleichzeitig zusammentreffen», sagt Michelle Gygax, Verhaltensbiologin an der Universität Bern. Zum Ersten brauchen sie reichlich Nahrung. Denn Wanderratten benötigen viel Energie, die sie in einer Mandelplantage mit den nährstoffreichen Samen in Massen erhalten. «Wenn Ernteabfälle, heruntergefallene Mandeln oder Zusatzquellen wie Bewässerungssysteme, Müll oder Futter für Nutztiere verfügbar sind, reisst die Nahrungskette nicht ab», sagt Gygax.

Ratten profitieren von der Erderwärmung

Ratten müssen sich zudem wegen der Fressfeinde verstecken können und brauchen ausreichend Unterschlupf. Dafür braucht es dichte Vegetation, Bewässerungsgräben, offene Bewässerungsleitungen oder Spalten in Gebäuden. Zudem mögen Wanderratten milde Winter und warme Sommer, welche die ganzjährige Fortpflanzung ermöglichen. Das ist im kalifornischen mediterranen Klima gegeben. Rattenplagen könnten mit dem Klimawandel also noch zunehmen, wie Studien zeigen.

Michelle Gygax, Universität Bern.
Michelle Gygax, Universität Bern.Bild: zvg

Die Ratten haben zwar natürliche Feinde, doch wenn Greifvögel, Füchse und Schlangen fehlen, auch weil sie durch den Menschen verdrängt werden, steigt die Überlebensrate der Jungtiere. «Intensive Landwirtschaft kann natürliche Feinde oft ungewollt reduzieren», sagt Gygax. Zugunsten der Ratten.

Zu einer Plage können Wanderratten auch werden, weil sie ein grosses biologisches Potenzial haben. Sie werden bereits nach zwei bis drei Monaten geschlechtsreif, und die Weibchen bringen im Jahr vier bis sieben Würfe mit jeweils bis zu zwölf Jungen zur Welt. «Unter idealen Bedingungen ohne Nahrungs- oder Platzmangel kann eine Population explosionsartig wachsen», sagt Gygax.

Inzucht macht den Ratten wenig aus

Der weltweite Erfolg der Ratten hat auch damit zu tun, dass sie eine bemerkenswerte Toleranz gegenüber Inzucht zeigen. Sie können sich über viele Generationen hinweg mit nahen Verwandten paaren, ohne dass die Fruchtbarkeit oder Vitalität sofort stark beeinträchtigt wird. Und das über  mehrere Dutzend Generationen von Bruder-Schwester-Verpaarungen, wie Studien zeigen.

«Diese hohe Inzuchttoleranz ermöglicht es Ratten, selbst aus kleinen Gründerpopulationen schnell wieder zu wachsen», sagt die Berner Forscherin. Auch wenn durch die Bekämpfung ein grosser Teil einer Population getötet wird. «Das macht die Kontrolle von Rattenplagen schwieriger», sagt die Forscherin an der Uni Bern.

«Ratten sind Kulturfolger», ergänzt Michael Taborsky, der seit vielen Jahren Rattenstudien an der Uni Bern macht. Die Nagetiere haben sich durch ihre lange Geschichte mit Menschen an deren Umwelt angepasst.  «Das verschafft ihnen in der Auseinandersetzung mit uns gewisse Vorteile.» Ratten sind sehr kurzlebig, und damit entwickeln sich genetische Anpassungen schneller im Vergleich zum langlebigen Menschen. Das wird deutlich an der erfolgreichen Zucht von Laborratten. Diese unterscheiden sich in vielem von der Wildform, weil sie von Forschenden in kurzer Zeit durch Zuchtwahl in bestimmte Richtungen verändert wurden.

Ratten helfen sich gegenseitig

«Am beeindruckendsten finde ich im Verhalten der Ratten, dass sie schnell lernen, auf neuen Wegen Hindernisse zu überwinden», sagt der Berner Forscher. Sie können schnell neue Ressourcen erschliessen, dabei hilft ihnen ihre Sozialität. Das heisst, dass sie schnell von anderen lernen und auch mit anderen nützliche Lösungen finden. «Dabei sind sie auch nicht ‹kleinlich› und erlauben Sozialpartnern gerne, mit ihnen Ressourcen zu teilen.» Diese Fähigkeit führt auch dazu, dass sie sich gegenseitig Hilfe leisten, um zum Beispiel an Nahrung zu kommen oder wichtige Körperhygiene zu betreiben. Ein zentrales Thema von Taborskys Forschung an der Wildform der Wanderratte.

«Ratten setzen Urin, Kot und Duftmarken ein, um Artgenossen vor Gefahren zu warnen oder sichere Wege zu markieren», ergänzt Gygax. Wenn eine Ratte stirbt, können die chemischen Spuren am Kadaver als Stresspheromone oder Giftspuren andere Ratten misstrauisch machen. Sie vermeiden Köder, welche denselben Geruch haben.

So gelingt es in Kalifornien trotz des Einsatzes von Ködern und Begasungsmitteln nicht, die Ratten zu bekämpfen. Man werde niemals alle Ratten in den Obstplantagen töten können, sagt die kalifornische Wildtierberaterin, es werde ein ständiger Kampf der Überwachung und Bekämpfung sein.

Ratten-Hotspots in der Schweiz

Ratten gibt es auch in der Schweiz. Wie viele der Nager in unserem Land leben, weiss man nicht – weil es kein nationales Kompetenzzentrum für Schädlinge gibt. «In Zürich werden die Populationen auf öffentlichem Gelände beobachtet und, falls nötig, bekämpft», sagt Anke Poiger vom Umwelt- und Gesundheitsschutz der Stadt Zürich. Klassische Ratten-Hotspots sind grössere Städte und urbane Zentren, wegen der dichten Bebauung, Kanalisationen und hoher Nahrungsverfügbarkeit durch Gastronomie und Abfall.

Ratte, rattus norvegicus
Viele Ratten gibt es an Häfen, an Seen und Flüssen.Bild: Shutterstock

Wasserläufe und Uferböschungen bieten Deckung und Korridore. Aber auch in Industrie- und Logistikarealen, Kompost- und Abfallumschlagplätzen kann es lokal grosse Populationen geben. Wie bei landwirtschaftlichen Betrieben mit offenem Lager, Futterplätzen oder Bewässerungssystemen.

In der Schweiz hat man nach Gygax die Situation recht gut im Griff. Zum Ersten wegen des hohen Hygienestandards und der gut organisierten Abfallentsorgung mit geschlossenen Sammelsystemen und der Vermeidung von offenen Deponien.

Gygax erzählt von Ratten, die sie in ihrem Mehrfamilienhaus hatte. «Die Experten rieten dazu, potenzielle Nahrungsquellen und Nestmöglichkeiten konsequent zu beseitigen», sagt Gygax. Zusätzlich setzten sie natürliche Fressfeinde wie Frettchen ein, um die Ratten aufzuspüren. Anschliessend wurden die Ratten gezielt mit Fallen gefangen und auf humane Weise entfernt. «Diese Vorgehensweise ist bei kleinen Populationen sehr effektiv und vermeidet den Einsatz von chemischen Mitteln, wenn keine grössere Plage vorliegt», sagt die Berner Forscherin.

«In Zürich macht die Schädlingspräventionsstelle auf öffentlichem Grund ein Monitoring», sagt Anke Poiger. Mitarbeiter gehen die bekannten Plätze regelmässig ab und kontrollieren auf Ratten oder deren Spuren. Finden sie Anzeichen für Ratten, können sie die Ratten bekämpfen, bevor die Population sich stark aufgebaut hat. Auch versuchen sie laufend, die Ursachen zu eruieren, warum Ratten da sind. Das können defekte Kanalisationen, übervolle Container und Vogelfütterung sein. «In anderen Städten wird häufig erst bei Klagen reagiert. Das bedeutet, dass dann viel mehr Ratten abgetötet werden müssen», sagt Poiger.

Sündenböcke bei Pest-Epidemien

Nicht immer hatte man die Ratten in der Schweiz im Griff. Sie waren wichtige Wirte für die Pestbakterien (Yersinia pestis). «Besonders die Wanderratte (Rattus norvegicus) und die Schwarzratte (Rattus rattus) leben oft in enger Nähe zum Menschen und beherbergen die Flöhe, die als Überträger der Pest gelten», sagt Gygax. Die Pest wird vor allem durch den Biss infizierter Flöhe übertragen, nicht direkt durch Rattenbisse.

Wenn eine Rattenpopulation von der Pest dezimiert wird, suchen die Flöhe neue Wirte – oft den Menschen. Neuere Studien legen nahe, dass neben Ratten auch andere Tiere eine Rolle bei der Verbreitung gespielt haben könnten. Die damals herrschenden Umweltbedingungen, Hygienestandards und Bevölkerungsdichten waren ebenfalls entscheidend für das Ausmass der Seuchen. (aargauerzeitung.ch)

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