Separatisten im Osten der Ukraine rücken vor: Am Mittwoch besetzten maskierte und bewaffnete Männer in einer weiteren Stadt Regierungs- und Polizeigebäude. Kiew plant gleichzeitig mit den Präsidentenwahlen am 25. Mai eine Abstimmung über die territoriale Integrität des Landes. Der IWF hat zudem einen Kredit über 17 Milliarden Dollar für das wirtschaftlich angeschlagene Land beschlossen.
In Horliwka, das nur wenige Kilometer nördlich von Donezk liegt, übernahmen Separatisten Gebäude der Polizei und der Verwaltung. Sie trugen dieselben grünen Uniformen ohne Hoheitsabzeichen wie ihre Gesinnungsgenossen in anderen Städten im Donbass, dem Kohle- und Stahlgürtel an der Grenze zu Russland.
Die Sicherheitskräfte in Horliwka hätten praktisch keinen Widerstand geleistet, teilte die Polizei in Donezk mit. Am Dienstag hatten Separatisten den Gouverneurssitz in Lugansk gestürmt. Ungeachtet der ukrainischen Militäroffensive gegen die Rebellen halten diese nun öffentliche Gebäude in etwa einem Dutzend Städte besetzt. Separatisten kontrollieren im Osten des Landes zwölf Städte zumindest teilweise.
Der Internationale Währungsfonds (IWF) hat Kredithilfen für die Ukraine über 17 Milliarden Dollar für zwei Jahre freigegeben. Das entschied der Exekutivrat der Organisation am Mittwoch (Ortszeit) in Washington. Die Ukraine ist auch wirtschaftlich schwer angeschlagen und gemäss der Übergangsregierung vom Bankrott bedroht.
Das Geld solle dabei helfen, die finanzielle Stabilität des Landes wiederherzustellen und langfristiges Wirtschaftswachstum in Gang zu setzen, teilte der IWF mit. 3,2 Milliarden Dollar wurden sofort in Aussicht gestellt, darunter zwei Milliarden Haushaltshilfen.
Der IWF erwartet nach eigenen Angaben, dass nach der Freigabe weitere Hilfsgelder in Höhe von rund 15 Milliarden Dollar aus anderen internationalen Quellen in das wirtschaftlich und finanziell angeschlagene Land fliessen.
Der IWF fordert von der Ukraine im Gegenzug für die Kredithilfen weitreichende Wirtschaftsreformen. Die Übergangsregierung hatte bereits Massenentlassungen und schmerzhafte soziale Einschnitte angekündigt.
Die ukrainische Regierung hat den russischen Militärattaché in Kiew festnehmen lassen und unter dem Vorwurf der Spionage zur persona non grata erklärt.
Der Militärattaché sei «auf frischer Tat» ertappt worden. Der Militärattaché sei Tätigkeiten nachgegangen, die «mit seinem diplomatischen Status nicht vereinbar» seien, hiess es in der Erklärung. Er müsse die Ukraine «so schnell wie möglich» verlassen.
Zudem wurde bekannt, dass die ukrainische Regierung in Kiew für den 25. Mai ein Referendum über die territoriale Integrität des Landes plant. Am selben Tag ist die Präsidentenwahl geplant.
In der Befragung solle es um die nationale Einheit und eine Föderalisierung gehen, sagte Regierungschef Arseni Jazenjuk am Mittwoch in Kiew. Das Kabinett wolle einen entsprechenden Gesetzentwurf ins Parlament einbringen.
In weiten Teilen der Ost- und Südukraine haben allerdings prorussische Aktivisten die Macht übernommen, die eine Abspaltung von Kiew anstreben. Sie planen eigene Referenden für den 11. Mai.
Dennoch sieht der OSZE-Sonderbeauftragte für die Ukraine, Tim Guldimann, keine breite Bewegung der Bevölkerung in der Ost- oder Südukraine für einen Separatismus. Die Lage sei aber ernst, sagte der Schweizer der Nachrichtenagentur Reuters. Die Schweiz hat derzeit den Vorsitz der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE).
Viele Menschen befänden sich in einer prekären wirtschaftlichen, sozialen und politischen Situation. «Viele glauben, für ihre Anliegen in der Hauptstadt Kiew kein Gehör zu finden.» Die Mehrheit der Bewohner in der Ostukraine wolle nach Einschätzung der OSZE-Beobachter vor allem Ruhe, sagte Guldimann weiter.
In der Ostukraine gebe es wegen der starken wirtschaftlichen und kulturellen Verflechtungen ein Interesse an guten Beziehungen mit Russland – was aber offenbar nicht unbedingt mit dem Ziel einer Abspaltung der Landesteile gleichzusetzen sei.
Die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel und Japans Ministerpräsident Shinzo Abe forderten in Berlin, dass die ukrainischen Präsidentschaftswahlen wie geplant am 25. Mai stattfinden. Auch Guldimann setzt auf eine Stabilisierung durch den Urnengang.
«Von aussen betrachtet gehen wir davon aus, dass diese Wahlen ein stabilisierender Faktor sind, weil es darum geht, einen durch eine Volkswahl legitimierten Präsidenten ins Amt zu bringen», betont er. «Deshalb verstehe ich das Argument nicht, dass Wahlen das Land destabilisieren würden.»
Die Regierung in Kiew habe die OSZE zu einer Wahl-Beobachtung eingeladen. Rund 100 internationale Wahlbeobachter seien bereits im Land, die Zahl werde für den Wahltag auf 1000 aufgestockt werden.
Guldimann widersprach zudem pessimistischen Einschätzungen in einigen EU-Hauptstädten, dass Russland auf die pro-russischen Separatisten einwirke, um die Wahl zu verhindern.
Das Ministerkomitee des Europarats hat sich «alarmiert und zutiefst besorgt» über die Lage der im Osten der Ukraine festgehaltenen Militärbeobachter der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) gezeigt. Die Vertreter der Europaratsländer forderten am Mittwoch in Strassburg die «unverzügliche Freilassung» der OSZE-Vertreter.
Alle, die dazu beitragen könnten, müssten sofort sämtliche notwendigen Schritte unternehmen. Zugleich verurteilte das Komitee das Festhalten der Militärbeobachter als «klaren Verstoss» gegen die Wiener OSZE-Übereinkunft über vertrauens- und friedensbildende Massnahmen aus dem Jahre 2011.
Die sieben Militärbeobachter der OSZE blieben zwar in der Gewalt der Separatisten. Doch Russlands Präsident Wladimir Putin sagte, er hoffe, dass die Männer freikämen.
Der prorussische Milizenführer Wjatscheslaw Ponomarjow verneinte jegliche Einflussnahme des russischen Präsidenten. «Wir hatten bisher noch keinen Kontakt zu Moskau und gehorchen hier auch nicht Putin, wir sind die Volksrepublik Donezk», sagte der selbst ernannte Bürgermeister der Stadt Slawjansk am Mittwoch «Bild Online».
Zu den festgehaltenen Beobachtern sagte er: «Wir sind in einem guten Dialog, aber ich denke nicht, dass es eine Freilassung schon heute oder morgen geben kann.» (viw/tvr/sda)