
Karin Perraudin plädiert für eine verstärkte Prävention, ähnlich wie in Japan. Dies wäre der Schlüssel, um eine Krise des Schweizer Gesundheitssystems zu vermeiden.Bild: watson
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In der Schweiz wird zu wenig Geld in die Gesundheitsvorsorge investiert, obwohl risikoreiches Verhalten das System belastet. Japan hingegen hat eine einfache und wirksame Methode gefunden. Karin Perraudin, Präsidentin der Groupe Mutuel, möchte sich davon inspirieren lassen – und schlägt eine unerwartete Finanzierungsmöglichkeit vor.
13.07.2025, 10:0013.07.2025, 12:11
Karin Perraudin
Das Sprichwort sagt: «Vorbeugen ist besser als heilen.» Eine alte Weisheit, der jeder zustimmt. Aber sind wir wirklich bereit, sie auf unser Gesundheitssystem anzuwenden und vor allem die Kosten dafür zu tragen? Denn Prävention hat ihren Preis. Und genau hier erhitzt sich die Diskussion: Die Begeisterung für das Prinzip verflüchtigt sich oft, sobald es um die Finanzierung geht.
Prävention beschränkt sich nicht auf Marketingkampagnen oder schöne Worte. Sie erfordert eine tiefgreifende Änderung von Verhaltensweisen, die oft fest verankert sind (wer schon einmal einen «Dry January» versucht hat, weiss, wie schwer es sein kann, eine Gewohnheit zu ändern!). Es ist eine grosse Herausforderung, die Zeit, einen erheblichen personellen Einsatz und eine reibungslose Koordination aller Beteiligten erfordert: Ärzte, Versicherer, Patienten und Behörden. Die Organisation eines solchen Wandels erfordert Ressourcen, insbesondere finanzielle.
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Jeden Sonntagmorgen lädt watson Persönlichkeiten aus der Romandie ein, um aktuelle Ereignisse zu kommentieren oder ein Thema ins Licht zu rücken, das sonst zu wenig Beachtung findet.
Mit dabei: Nicolas Feuz (Schriftsteller), Anne Challandes (Schweizer Bauernverband), Roger Nordmann (Berater, ehem. SP-Nationalrat), Damien Cottier (FDP), Céline Weber (GLP), Karin Perraudin (Groupe Mutuel, ehem. CVP), Samuel Bendahan (SP) und die QoQa-Otte.
Die Dringlichkeit ist jedoch offensichtlich. Die Gesundheitskosten von morgen entstehen heute, oft schleichend, durch unsere täglichen Gewohnheiten. Rauchen, Bewegungsmangel, Überlastung, Mangelernährung, Alkohol: Diese «Gewohnheiten» sind keine abstrakten Konzepte, sondern die Hauptursachen für den Anstieg unserer Versicherungsprämien und die Schwächung unseres Gesundheitssystems. Es bedarf keiner Studien mehr, um dies zu belegen, die Fakten liegen auf dem Tisch.
Die Schwierigkeit besteht darin, dass diese Verhaltensweisen eng mit jeder einzelnen unserer Handlungen verbunden sind. Wir sind also alle betroffen. Diese Verantwortung darf sich jedoch nicht auf den Einzelnen beschränken, sie ist auch gesellschaftlich.
Was kann man also tun?
Das individuelle Bewusstsein ist entscheidend. Je früher es entsteht, desto besser sind die Ergebnisse. Die Kinder sind unsere Zukunft, und es ist unerlässlich, sie zu schützen. Gesundes Verhalten sollte von klein auf gefördert werden, insbesondere in Bezug auf Ernährung, Bewegung und psychische Gesundheit.
Prävention kann durch einfache Massnahmen erfolgen, wie beispielsweise einen Apfel statt eines Mars-Riegels zu wählen oder wenn möglich mit dem Fahrrad statt mit dem Auto zur Schule zu fahren. Stellen Sie sich die Vorteile vor: weniger CO2-Emissionen, eine bessere körperliche Verfassung und die Freude, mit Freunden um die Wette zu fahren. Eine echte Win-win-Situation! Spiele oder Herausforderungen können dabei helfen, dieses Ziel zu erreichen, beispielsweise die Aktion Bike2school.
In den Schulen muss alles getan werden, um Kinder für ihre Gesundheit zu sensibilisieren. Wenn gute Gewohnheiten früh verankert werden, besteht eine grössere Wahrscheinlichkeit, dass sie dauerhaft beibehalten werden und so selbstverständlich wie das Atmen werden.
Bei Erwachsenen ist eine gezielte Prävention unerlässlich, um Risikoverhalten und gefährdete Personen zu erkennen. Sobald ein Risiko erkannt wurde, ist es von entscheidender Bedeutung, zu kommunizieren, zu begleiten, zu beraten, zu orientieren oder die Pflege zu koordinieren.
Als Versicherer sind wir bereit, Verantwortung zu übernehmen und unsere Versicherten zu begleiten. Noch nie trugen so viele Menschen Sensoren, die ihre «Gesundheitsleistung» messen, auf sich: über ihr Smartphone oder ihre Smartwatch. Diese Daten können genutzt werden, um risikobehaftetes Verhalten frühzeitig aufzuzeigen. Es ist notwendig, die gesamte Bevölkerung zu sensibilisieren, zu begleiten und zu guten Gewohnheiten zu ermutigen, aber auf sinnvolle und gezielte Weise.
Zu diesem Zweck wird das zweite Massnahmenpaket, das kürzlich vom Parlament verabschiedet wurde, die Verbreitung von Informationen und die Bereitstellung einer gezielten Begleitung entsprechend dem Gesundheitszustand des Versicherten ermöglichen. Dies ist ein Schritt in die richtige Richtung, aber seien wir ehrlich: Das wird nicht ausreichen. (Gute) Gesundheit und Prävention müssen eine zentrale Aufgabe des Staates sein.
Ist Japan ein Vorbild?
Nehmen wir das Beispiel Japan, das in einem interessanten Artikel von Dr. Philippe D. Monnier in der Zeitung «L'Agefi» erwähnt wird. In diesem Land unterziehen sich fast alle Erwachsenen jährlich einer ganztägigen medizinischen Untersuchung, die in der Regel von ihren Arbeitgebern bezahlt wird (etwa 500 Franken). Der Ablauf ist gut optimiert: die morgendliche Ankunft in einer Spezialklinik, die Abgabe einer Reihe von Proben und eines langen digitalen Formulars. Anschliessend wird der Patient alle fünfzehn Minuten einer anderen Untersuchung unterzogen. Alle wichtigen Organe werden abgehört.
Japan, als Vorreiter der industriellen Effizienz, nutzt diese Kontrolle, um den Einsatz der verfügbaren Ressourcen zu maximieren, und legt besonderen Wert auf die Kostenüberwachung. Selbstverständlich werden alle medizinischen Daten digital gespeichert.
Natürlich sind die Kulturen, Verhaltensweisen und der Ansatz der Medizin zwischen unseren Ländern nicht direkt vergleichbar. Wenn wir uns jedoch davon inspirieren lassen könnten, wenn auch nur in geringem Umfang, würden wir mittelfristig sicherlich alle davon profitieren. Stellen Sie sich eine Schweiz vor, in der jeder Bürger seinen jährlichen «Check-up» durchführen lässt, so wie man sein Auto vor den Ferien zur Kontrolle bringt. Weniger Pannen, mehr Kilometer in Topform!
Viel zu tun, aber wenig Mittel ... Wie soll das alles finanziert werden?
Heute sprechen die Zahlen für sich: Nur 4.80 Franken pro Jahr und Versicherter werden über die Organisation Gesundheitsförderung Schweiz für die Prävention bereitgestellt. Zwar sind die Gesamtinvestitionen in die Prävention beträchtlich, aber sie machen nur 2 der 100 Milliarden aus, die das Gesundheitswesen in der Schweiz jährlich kostet.
Nur 2 % der Kosten werden also für die Prävention aufgewendet. Das ist eindeutig zu wenig und wird den Anstieg der Gesundheitskosten in den nächsten Jahren keinesfalls bremsen können. Angesichts der bereits hohen Krankenkassenprämien, die die Bevölkerung zu zahlen hat, kann man von den Bürgern keine zusätzlichen Anstrengungen zur Finanzierung der Prävention verlangen. Es müssen daher unbedingt neue Finanzierungsquellen gefunden werden, um die Prävention zu fördern. Auch wenn ich von Natur aus eher liberal bin, bin ich doch auch pragmatisch und realistisch:
«Diese neuen Finanzierungsquellen müssen (auch) aus neuen Steuern stammen. Über die Steuern hinaus muss vor allem die Verteilung der eingenommenen Gelder sinnvoll und angemessen erfolgen.»
Wie bereits erwähnt, kennen wir die wichtigsten gesundheitsschädlichen Faktoren. Diese «Verursacher» müssen daher ebenfalls zur Prävention beitragen. Ob es um eine Steuer auf zuckerhaltige Getränke oder die Verwendung der Tabak- und Alkoholsteuern geht: Wir haben die Pflicht, diese Themen anzugehen, damit die Schweiz gesünder wird.
Als Walliserin und Einwohnerin des Kantons mit der grössten Rebfläche bin ich sicherlich nicht die beste Person, um die Alkoholsteuer zu befürworten. Mein Glas Fendant schaut mich schon misstrauisch an 😊! Aber auch wenn das Thema heikel ist, ist es denkbar, dass ein Teil der Steuereinnahmen aus dem Alkoholverkauf auch in die Gesundheit fliesst.
Steuern zu erheben ist zwar weder besonders beliebt, noch entspricht es ganz meinen Überzeugungen. Mein oberster Wert ist jedoch Verantwortung, und es wäre unverantwortlich, nichts zu tun und nichts vorzuschlagen, um die Prävention in unserem Gesundheitssystem voranzubringen.
Letztendlich bedeutet eine gesündere Bevölkerung eine stärkere, produktivere Schweiz mit einem Gesundheitssystem, das endlich etwas aufatmen kann. Und ist das nicht ein Ziel, das ein paar hitzige Diskussionen über die Finanzierung rechtfertigt?
Über die Autorin 👇

Bild: Groupe Mutuel
Karin Perraudin ist …
... Absolventin der HEC Lausanne und eidgenössisch diplomierte Wirtschaftsprüferin. Im Jahr 2002 wurde sie im Alter von 28 Jahren Mitglied des Verwaltungsrats der Walliser Kantonalbank, dem sie von 2011 bis 2013 als Präsidentin vorstand. Heute ist sie Verwaltungsratspräsidentin der Groupe Mutuel sowie Verwaltungsrätin bei fenaco und Ameropa. Neben ihrem wirtschaftlichen Engagement setzt sich Karin Perraudin als Präsidentin der Fovahm (Walliser Stiftung für Menschen mit geistiger Behinderung) auch für soziale Aspekte ein.
Das Problem ist, dass zu viele Politiker direkt oder indirekt via Lobby am heutigen System mitverdienen und daher gar kein Grund sehen da etwas ändern zu wollen.