Nyon hält einen Rekord, den kaum einer kennt. Berühmt ist die 20'000-Einwohner-Stadt für ihr weisses Schloss, das über dem Hafen thront. Pop-Legende Phil Collins schlendert schon mal die Seepromenade entlang, und natürlich hat der Fussballverband UEFA seinen Hauptsitz im Westschweizer Städtchen. Bemerkenswert ist aber etwas anderes: Landesweit gibt es nirgends mehr Maturanden als in Nyon.
Die Quote liegt bei 37 Prozent, wie neuste Zahlen des Bundesamts für Statistik zeigen. Damit besitzt in Nyon mehr als jeder dritte 19-Jährige eine Matura. Das ist keine Ausnahme. Mehrere Kantone vermelden Rekordzahlen. In Baselland stieg die Quote in nur fünf Jahren von 19.6 auf 23.1 Prozent. Rekord. Basel-Stadt liegt mit 32 Prozent noch höher. Auch Rekord. Und in Zürich und Schwyz ist der Wert ebenfalls der höchste seit Beginn der Erhebung vor 35 Jahren.
Die Entwicklung bringt Probleme mit sich. Die Matura soll eigentlich die Reife fürs Studium dokumentieren, doch höhere Quoten gehen oft mit sinkenden Ansprüchen einher. «Das System ist in Schieflage geraten», sagt Stefan Wolter, Bildungsexperte des Bundes und Professor an der Universität Bern. «Die Leistungsunterschiede zwischen den Schülern sind beträchtlich.» Das bekommen vor allem die Universitäten zu spüren. Je nach Kanton, Gymnasium und Schwerpunkt sind die Fähigkeiten der Mittelschulabsolventen nicht immer hochschulreif. Besonders Schüler aus Kantonen mit vielen Maturanden wie in Genf (28.9 Prozent) haben im Studium mehr Mühe als ihre Kommilitonen aus St. Gallen, wo nur wenige das Gymnasium besuchen (14 Prozent).
«Immer häufiger betrachten die Universitäten das erste Studienjahr als Selektionsjahr, weil sie der Matura-Qualifikation nicht mehr vertrauen», sagt Wolter. Seit zehn Jahren sinkt beispielsweise an der ETH Lausanne die Erfolgsquote der Erstsemestrigen. Mittlerweile fallen 60 Prozent durch die erste Zwischenprüfung. Wolter kritisiert, dass Schüler aus ihren Maturanoten nicht mehr ersehen können, ob sie an der Universität überhaupt bestehen können. «Einzelne Gymnasien vergeben Noten, die in keinem Verhältnis zu den objektiven Leistungen stehen», sagt er, «dann kommt es vor, dass Gymi-Absolventen trotz der Note 6 in Mathematik später aus dem ETH-Architekturstudium fliegen.»
Die Maturaprüfung soll sich deshalb in den kommenden Jahren ändern – und einheitlicher werden. Die Konferenz der Schweizer Erziehungsdirektoren (EDK) hat kürzlich das Anforderungsprofil für Maturanden überarbeitet. Im Zentrum stehen die Erstsprache und die Mathematik. «Bislang war die Studierfähigkeit nur sehr allgemein beschrieben», sagt der Basler Erziehungsdirektor und EDK-Präsident Christoph Eymann. «Nicht alles, aber ein wichtiger Ausschnitt wurde nun mit fachlichen Kompetenzen präzisiert.» Ähnlich wie im neuen Lehrplan 21 wird darin beschrieben, was die Schülerinnen und Schüler wissen und vor allem was sie können müssen.
Das wird nicht die einzige Neuerung bleiben. Die EDK empfiehlt, die Abschlussprüfungen in den Kantonen zu harmonisieren. Ähnliche Bemühungen treiben die Hochschulen voran. Die Universität Zürich stellt ihre Prüfungsbeisitzer der mündlichen Matura künftig häufiger auch anderen Kantonen zur Verfügung, um einen ähnlichen Standard sicherzustellen. Die Schweiz nähert sich damit ihren Nachbarn an. In Deutschland und in Österreich regelt die Einheitsmatur, dass alle Schüler auf dem gleichen Stand sind.
«Wir sollten wegen der Qualität in Richtung Zentralmatura gehen», sagt Wolter – und steht damit nicht allein. In einer repräsentativen Umfrage Ende 2015 sprachen sich 86.6 Prozent der Befragten für schweizweit einheitliche Abschlussprüfungen aus. «Dass wir darüber diskutieren, wäre vor vier Jahren noch undenkbar gewesen», sagt der Bildungsexperte. Auch die EDK hat weitere Massnahmen angekündigt: Zusammen mit dem Bund wollen die Erziehungsdirektoren demnächst eine neue, gesamtschweizerische Evaluation durchführen. Ihr Ziel: Messen, wie weit die Gymnasiasten am Ende ihrer Ausbildung wirklich sind.