Die 90 Minuten Fussball sind vorbei, die 15- und 16-jährigen Knaben sind nass und verschwitzt. Eine Dusche nach dem Spiel wäre logisch. Doch der Trainer entdeckt, dass nur noch ein Teil der Mannschaft duscht. Ein anderer Teil zieht sich einfach die Kleider wieder über den verschwitzten Körper. Dem Juniorentrainer wird es zu bunt – im Bus mitfahren darf nur noch, wer geduscht hat. Nach zwei, drei Wochen hat er sich durchgesetzt, im Bus atmet es sich wieder leichter.
Das Gleiche geschieht zwei Jahre später bei den älteren Junioren, auch bei 18- und 19-jährigen duscht nur ein Teil des Teams. Dieses Mal gelingt es dem Trainer nicht mehr, sich durchzusetzen. Die einen fahren dann einfach auf anderen Wegen zurück, nicht im Bus – sondern mit dem Vater oder Kollegen. Oft täuschen Jugendliche auch nur vor, zu duschen und machen sich nur die Haare nass.
Die fehlende Duschbereitschaft ist auch in einem Trainer-Weiterbildungskurs des Ostschweizerischen Fussballverbandes ein Thema. Doch Lösungen haben die anwesenden Trainer keine, alle aber sagen, dass dies vor 20 Jahren noch anders gewesen sei. Das Duschen gehörte damals bei den Junioren zum normalen Verhalten nach einem Spiel.
Diese Beobachtung macht man auch in der Schule. Mädchen erscheinen in Trainerhosen zum Sportunterricht, ziehen sich gar nicht um und duschen nicht. Die Universität Lausanne hat 2025 deshalb im Auftrag des Schweizerischen Verbands für Sport in der Schule (SVSS) eine Umfrage bei Sport-unterrichtenden Lehrpersonen durchgeführt. «Die Studie zeigt ein klares Bild», sagt Jonathan Badan, Co-Präsident des SVSS. Gemeinschaftsduschen und -garderoben, die vielerorts in den Sporthallen noch üblich sind, lösen bei Kindern und Jugendlichen häufig ein Gefühl der Unsicherheit oder des Unwohlseins aus. «Dies führt zunehmend dazu, dass sie nach dem Unterricht ganz auf das Duschen verzichten», sagt Badan.
69 Prozent der Schülerinnen und Schüler schämen sich beim Duschen, 35 Prozent beim Umziehen. Eine Folge davon ist, dass zwei Drittel selten duschen oder nie. Gerade mal 6 Prozent duschen immer, wie die Studie zeigt. Von den befragten 458 Sportlehrpersonen sagt beinahe die Hälfte, dass sie manchmal bis immer Probleme im Umgang mit Streitigkeiten in den Garderoben hätten und ein Drittel berichtet über Mobbing. Garderoben und Duschen sind somit heikle Zonen in Schulen und Sportvereinen. Da wird ausgelacht, gemobbt und gestritten.
«Natürlich ist Hygiene nach wie vor wichtig, und das Duschen nach dem Sport sollte genauso selbstverständlich dazu gehören, wie das Schwitzen während des Sportreibens», sagt Badan. Vielen Schülerinnen und Schülern scheint das nicht mehr wichtig genug zu sein, um die bestehenden Hürden in der Umkleide zu überwinden.
Dafür gibt es gemäss dem Sekundar-Sportlehrer Badan mehrere Gründe. Zum einen die Präsenz von Smartphones in den Umkleideräumen. Laut der Umfrage dürfen die Kinder in knapp drei Vierteln der Schulen ihr Smartphone in die Garderobe nehmen. Das Risiko ist also sehr real, dass unerwünschte Fotos – auch Nacktfotos – aus Umkleiden oder Duschen ins Internet gelangen.
Diese Angst vor Bildern geht einher mit einer wachsenden Unsicherheit mit dem eigenen Körper und stärkeren Schamgefühlen, wie Badan sagt. Diese ist mit der individuellen körperlichen Entwicklung im jugendlichen Alter gross. Die gemeinsamen Momente der Nacktheit seien sehr komplex geworden.
Dazu kommt der Einfluss der sozialen Medien. Sie bieten Vergleichsbilder und teils unrealistische oder gar ungesunde Schönheits- und Körperideale. Behagen und Selbstsicherheit in der Umkleide und Dusche gehen verloren, wie Badan sagt. Gerade in der Pubertät sei dieser Vergleich mit unerreichbaren Idealen schwierig.
Mit den sozialen Medien sei die Omnipräsenz von Körperbildern und Vorbildern viel grösser geworden und auch der Druck, bestimmten Vorgaben zu ähneln, sagt auch Annette Kämmerer, emeritierte Professorin am Psychologischen Institut der Universität Heidelberg, die Studien zu Körperscham gemacht hat.
Eher Hemmungen unter die Dusche zu gehen, haben natürlicherweise schüchterne Menschen. Auffällig ist, dass Jugendliche mit Migrationshintergrund, insbesondere aus islamischen Ursprungsländern, die Dusche eher meiden. Logisch, sagt dazu Annette Kämmerer. «Da gibt es starken normativen Druck innerhalb der Gruppe und innerhalb der Religion, die bestimmte Verhaltensweisen verbietet», sagt Kämmerer.
Religiöse Vorschriften unterscheiden sich je nach Gruppe stark in ihrer Strenge im Hinblick auf öffentliche Nacktheit, sagt Badan.
Körperscham sei etwas Natürliches, sagt Annette Kämmerer. Nicht jeder müsse sich nackt zeigen wollen. «Man geht davon aus, dass die Körperscham evolutionsbiologisch schon alt ist. Dass es dabei darum ging, die Intimität des Körpers, die Fortpflanzung und die Entwicklung von engen Beziehungen zu schützen», sagt die Psychologin.
Nun sei aber in unserer Gesellschaft eine gewisse Anspruchshaltung überlagernd. Das sei eine moralische Aufforderung, nicht prüde zu sein, sagt Kämmerer. «Stell dich nicht so an!» So würden Menschen dazu veranlasst, über ihre Intimitätsgrenze hinwegzusehen. Es gebe aber das Recht, sich nicht nackt zeigen zu müssen.
Doch dass sich die Norm durch die genannten Gründe geändert hat und mehr Scham herrscht, hat für die Jugendlichen auch Nachteile: Unter der Dusche ist ja auch zu sehen, dass die anderen ebenfalls nicht perfekt sind. Das kann auch den Blick auf den eigenen Körper toleranter machen.
«Das Problem lässt sich unserer Ansicht aber nach nicht allein durch ein Smartphone-Verbot lösen», sagt Badan. Das sei zwar ein wichtiger erster Schritt, reiche aber nicht aus. In Umkleideräumen und Duschen hätten Lehrpersonen oder Trainerinnen und Trainer zudem keinen Zugang.
Das sei richtig so. Aber die Kehrseite sei, dass keine direkte Kontrolle möglich sei und sich manche Schülerinnen und Schüler in diesen Räumen so verhalten, als gäbe es keine Regeln – insbesondere was die Nutzung von Smartphones betrifft.
Deshalb müsse die Architektur von Umkleiden angepasst werden. «Laut den Ergebnissen der Studie entsprechen die meisten Umkleideräume in Sporthallen nicht mehr den heutigen gesellschaftlichen Anforderungen an den Schutz der Privatsphäre», sagt Badan. Aus diesem Grund empfiehlt der SVSS, bei zukünftigen Bauprojekten auf vielfältige Formen zu setzen. Diese sollten den Nutzerinnen und Nutzern die Wahl lassen zwischen einem gemeinschaftlichen Umkleide- und Duschbereich oder Einzelkabinen, die maximale Intimität bieten.
Denn weiterer Grund für die Probleme in Garderoben sei die veränderte Wahrnehmung von Geschlechterrollen, sagt Badan. Insbesondere durch die LGBTIQ+-Bewegung. Auch auf diesen Aspekt hin müsse die Wahrung der Privatsphäre in Umkleiden berücksichtigt werden. (aargauerzeitung.ch)