Schweiz
Uber

«Grauenhafte Zustände, verfassungswidrig»: Kritik an Uber wird lauter

epa09395793 An Uber driver waits for passengers at the Los Angeles International Airport's LAX-it pick up terminal in Los Angeles, California, USA, 04 August 2021. The LAX-it pick up terminal was ...
Geschäftsmodell in der Kritik: Uber.Bild: keystone

«Das ist Ausbeutung»: Nach watson-Umfrage werden Konsequenzen für Uber gefordert

Nach der watson-Umfrage zu den Arbeitsbedingungen von Uber-Fahrern in Zürich werden Konsequenzen gefordert. Für Arbeitsrechtler Thomas Geiser ist es «Ausbeutung», die SP und SVP sprechen von unzumutbaren Zuständen.
03.11.2025, 07:1503.11.2025, 12:32

Freitag, kurz vor Mitternacht in Zürich: Auf einem Parkplatz in der Nähe des Hauptbahnhofs stehen mehre Autos, in denen noch Licht brennt. Hinter einem Lenkrad sitzt der 38-jährige Leotrim*, der seit vier Jahren für Uber unterwegs ist.

Zehn Stunden Dienst hat er schon hinter sich. Ein Ende ist noch nicht in Sicht. «Wenn ich jetzt aufhören würde, hätte ich für heute zu wenig verdient», sagt Leotrim. So geht es nicht nur ihm.

Eine exklusive Umfrage von watson unter 120 Fahrerinnen und Fahrer in Zürich zeigt: 60 Prozent der Befragten arbeiten mehr als 11 Stunden täglich. Und das an sechs bis sieben Tagen die Woche. Zwei Drittel verdienen dennoch weniger als 4000 Franken brutto pro Monat. Fast jeder Fünfte ist oder war deshalb bereits auf Sozialhilfe angewiesen. Mehr als jeder Zehnte arbeitete schon einmal oder aktuell schwarz.

A driver arrives in his car as Uber and taxi drivers gather to strike at Albisguetli, on Monday, October 20, 2025, in Zurich, Switzerland. Drivers of the US ride-hailing service Uber and other drivers ...
Uber-Fahrer: Arbeiten zu lange und zu oft. Bild: keystone

Diese Arbeitsbedingungen sorgen zunehmend für Unmut unter den Uberfahrenden. Kürzlich fand in Zürich mit 300 anwesenden Fahrerinnen und Fahrern die grösste Uber-Demonstration der Schweiz statt. Und in einer Online-Petition fordern sie den Zürcher Regierungsrat zudem auf, Mindesttarife für Uberfahrten festzulegen und Uber zu verpflichten, Sozialbeiträge einzuzahlen, seine Preisstruktur offenzulegen und die Plattformgebühr zu deckeln.

SP: «Prekäre Bedingungen»

SP-Co-Chefin und Zürcher Nationalrätin Mattea Meyer zeigt sich gegenüber watson «schockiert» über die Umfrageergebnisse. Sie sagt:

«Wer für Uber oder Bolt fährt, leidet unter prekären Arbeitsbedingungen.»

Es dürfe nicht sein, dass diese Menschen trotz vollem Arbeitspensum nicht von ihrem Einkommen leben könnten. «Schliesslich liegt ein gut begründetes und rechtskräftiges Urteil vor», sagt Meyer. Damit spielt sie auf Gerichtsentscheide in der Schweiz gegen Uber an.

Nationalraetin unc Co-Parteipraesidentin Mattea Meyer, SP-ZH, spricht waehrend einer Medienkonferenz zur Lancierung der eidgenoessischen Volksinitiative "fuer einen nachhaltigen und zukunftsgeric ...
Fordert Konsequenzen für Uber: SP-Co-Chefin Mattea Meyer. Bild: keystone

Meyer findet, der Staat müsse härter gegen Uber durchgreifen. «Die Kantonsregierungen müssen das geltende Arbeitsrecht auch für Unternehmen aus der Plattformbranche wie Uber und Bolt durchsetzen und kontrollieren.»

Konkret bedeutet das für Meyer: Plattformen wie Uber sollen genauso wie Taxiunternehmen behandelt werden. Sie sollen Mindestpreise einführen und Beiträge an AHV und IV einbezahlen.

SVP: «Grauenhafte Zustände»

Auch der Zürcher SVP-Nationalrat Mauro Tuena sagt zu den Ergebnissen der watson-Umfrage: «Die Zustände für diese Fahrer sind grauenhaft. Die Preise dürfen nicht so tief sein, dass sie auf Sozialhilfe angewiesen sind oder schwarz arbeiten.» Denn diese Kosten zahle die Gesellschaft.

Nationalrat Mauro Tuena, SVP-ZH, stellt eine Frage an der Herbstsession der Eidgenoessischen Raete, am Dienstag, 16. September 2025, in Bern. (KEYSTONE/Peter Schneider)
Fordert gleich lange Spiesse für Uber- und Taxi-Fahrer: SVP-Nationalrat Mauro Tuena. Bild: keystone

Tuena warnt aber vor vorschnellen staatlichen Eingriffen in das Geschäft der Fahrdienst-Plattformen. «Niemand wird gezwungen, für Uber zu fahren», sagt Tuena. Es brauche deshalb massvolle Lösungen statt einer «Überregulierung» des Marktes.

Er sei dafür, für Uber- und klassische Taxi-Fahrer gleich lange Spiesse zu schaffen. Was er damit meint: «Die Sozialleistungen wie AHV und IV müssen bezahlt werden, so wie es das Bundesgericht entschieden hat.»

Warum Uber kein Handlungsbedarf sieht

Uber hält seit Jahren an der Haltung fest, dass ihre Fahrerinnen und Fahrer keine Angestellten sind, sondern selbständig Erwerbende. Im März 2023 widersprach das Bundesgericht dieser Meinung jedoch klar.

In seinem Urteil hält das Bundesgericht fest, dass Uber seinen Fahrern weitreichende Weisungen erteilt und sie über die App auch kontrolliert – typische Merkmale eines Arbeitsverhältnisses. Uber müsse daher für seine Fahrer Sozialabgaben (AHV/IV) entrichten, so der Richterspruch. Schon im Jahr zuvor kam das Bundesgericht in einem Genfer Fall zum gleichen Schluss. Weshalb also hat sich in diesen Punkten bis heute nichts geändert?

epa12285439 Uber Technologies Inc., signage on one of the campus buildings at the company?s headquarters in San Francisco, California, USA, 05 August 2025. Uber is scheduled to release their earnings  ...
Sieht die Fahrer als selbständig, nicht angestellt: Uber.Bild: keystone

watson hat Uber mit genau dieser Frage konfrontiert. Das Unternehmen teilt mit, dass sich die Gerichtsurteile auf «das alte Geschäftsmodell von 2014» beziehe und «nicht direkt übertragbar» sei auf die aktuellen Bedingungen:

«Das Geschäftsmodell von Uber hat sich seither grundlegend verändert. Zahlreiche Anpassungen wurden umgesetzt, um die Selbstständigkeit der Fahrerinnen und Fahrer weiter zu stärken.»

So könnten die «selbständigen, lizenzierten» Fahrer «ihre Preise selber festlegen», den Fahrpreis jeweils vor Annahme ansehen und Aufträge ohne Sanktionen ablehnen. Zudem sei es ihnen möglich, neben der Uber-App weitere Plattformen zu nutzen.

Uber hält also an der grundsätzlichen Linie fest: Man sei eine reine Vermittlungsplattform, kein Arbeitgeber.

«Nichts Neues bei Uber»

Für Thomas Geiser, emeritierter Professor für Arbeitsrecht an der Universität St. Gallen, ist die Sache klar: Die von Uber behauptete Selbstständigkeit der Fahrer sei «nicht glaubhaft». «In Wahrheit sind das ganz klar Arbeitsverhältnisse», sagt er. Die Rechtsprechung sei in den letzten Jahren deutlich strenger geworden.

Dass Uber nach Gerichtsurteilen lediglich die Vertragsbedingungen leicht anpasst, hält Geiser für eine bewusste Verzögerungstaktik: «Man kann im Privatrecht den grössten Seich reinschreiben – es kontrolliert niemand.» Ob diese Verträge rechtlich haltbar sind, prüfe keine staatliche Stelle systematisch. «Solange kein Fahrer klagt, passiert nichts.»

Thomas Geiser, Praesident Schweizerische Gesellschaft Solthurner Filmtage, spricht an der Eroeffnung der 58. Solothurner Filmtage, am Mittwoch, 18. Januar 2023, in Solothurn. (KEYSTONE/Marcel Bieri)
Kritisiert Ubers Haltung: Thomas Geiser. Bild: KEYSTONE

Geiser hält zudem fest, dass die Bundesverfassung verlange, dass Menschen durch Arbeit ihren Lebensunterhalt bestreiten können. Er sagt:

«Uber-Fahrer sind working poor. Dass jemand trotz Vollzeit-Erwerbsarbeit auf Sozialhilfe angewiesen ist, halte ich für verfassungswidrig. Das ist Ausbeutung.»

Für Geiser braucht es deshalb eine gesetzliche Lösung: Zwar könnten Kantone gewisse Regeln erlassen, etwa über Lizenzen und Bewilligungen. Doch das reiche nicht. «Wenn ein Geschäftsmodell nur funktioniert, indem es Arbeitsrechte unterläuft, darf man es nicht dulden», sagt er.

Für die grösste Gewerkschaft der Schweiz, Unia, sind die schlechten Arbeitsbedingungen bei Uber «nichts Neues», wie sie in einer Medienmitteilung schreibt. Uber verspreche den Fahrern mehr Freiheit. «Doch es bleibt alles beim Alten. Uber diktiert die Bedingungen, seine Angestellten werden um ihre Rechte und um viel Geld geprellt.» Und den Sozialversicherungen entgingen dadurch weiterhin Millionenbeträge.

DANKE FÜR DIE ♥
Würdest du gerne watson und unseren Journalismus unterstützen? Mehr erfahren
(Du wirst umgeleitet, um die Zahlung abzuschliessen.)
5 CHF
15 CHF
25 CHF
Anderer
Oder unterstütze uns per Banküberweisung.
Schweizer Gastro-Riese entlässt seine Velokuriere – sie werden durch Uber Eats ersetzt
Video: watson
Das könnte dich auch noch interessieren:
Du hast uns was zu sagen?
Hast du einen relevanten Input oder hast du einen Fehler entdeckt? Du kannst uns dein Anliegen gerne via Formular übermitteln.
207 Kommentare
Weil wir die Kommentar-Debatten weiterhin persönlich moderieren möchten, sehen wir uns gezwungen, die Kommentarfunktion 24 Stunden nach Publikation einer Story zu schliessen. Vielen Dank für dein Verständnis!
Die beliebtesten Kommentare
avatar
Automatix
03.11.2025 07:39registriert Juni 2025
Mag mich noch sehr gut erinnern, welches Affentheater die Ausgleichskasse zu Beginn meiner selbständigen Tätigkeit machte und das ganze Bürokratiebrimborium immer mit der Verhinderung von Scheinselbständigkeit begründete.
Bei Abrufverträgen und Ausbeuterfirmen sind dann aber Politik und Behörden taub, blind und stumm. Das Uber-System basiert genau auf dieser Scheinselbständigkeit und ist somit illegal. Also, Zuständige von Bund, Kantonen und Gemeinde: macht eure Arbeit!
2066
Melden
Zum Kommentar
avatar
Frag mal warum
03.11.2025 07:21registriert Oktober 2018
Als wär das nicht schon bekannt. Mein Gott!! Wie lang braucht es, bis die Politik aktiv wird....
1455
Melden
Zum Kommentar
avatar
Heinzbond
03.11.2025 07:38registriert Dezember 2018
«Niemand wird gezwungen, für Uber zu fahren», sagt Tuena...
Ja er hat recht niemand wird gezwungen, aber er liegt so fundamental falsch mit dem Gedanken das eben manchen Menschen keine andere Wahl bleibt als in einem Uber/Bolt Ausbeutungsverhältnis zu landen, sei es durch einen Arbeitsmarkt der ihre Qualifikationen nicht zu schätzen weiss, der ursprüngliche plan es als zwischenlösung vorsah oder andere Gründe...
Aber die Erkenntnis wird niemanden in der SVP je erreichen...
14733
Melden
Zum Kommentar
207
Bundesrat bewilligt Richtplananpassung für Umsiedlung von Brienz GR
Der Bundesrat hat eine Richtplananpassung für die Umsiedlung der Gemeinde Brienz GR genehmigt. Nun folgt die Abstimmung in der Gemeinde Albula.
Zur Story