«Das ist Ausbeutung»: Nach watson-Umfrage werden Konsequenzen für Uber gefordert
Freitag, kurz vor Mitternacht in Zürich: Auf einem Parkplatz in der Nähe des Hauptbahnhofs stehen mehre Autos, in denen noch Licht brennt. Hinter einem Lenkrad sitzt der 38-jährige Leotrim*, der seit vier Jahren für Uber unterwegs ist.
Zehn Stunden Dienst hat er schon hinter sich. Ein Ende ist noch nicht in Sicht. «Wenn ich jetzt aufhören würde, hätte ich für heute zu wenig verdient», sagt Leotrim. So geht es nicht nur ihm.
Eine exklusive Umfrage von watson unter 120 Fahrerinnen und Fahrer in Zürich zeigt: 60 Prozent der Befragten arbeiten mehr als 11 Stunden täglich. Und das an sechs bis sieben Tagen die Woche. Zwei Drittel verdienen dennoch weniger als 4000 Franken brutto pro Monat. Fast jeder Fünfte ist oder war deshalb bereits auf Sozialhilfe angewiesen. Mehr als jeder Zehnte arbeitete schon einmal oder aktuell schwarz.
Diese Arbeitsbedingungen sorgen zunehmend für Unmut unter den Uberfahrenden. Kürzlich fand in Zürich mit 300 anwesenden Fahrerinnen und Fahrern die grösste Uber-Demonstration der Schweiz statt. Und in einer Online-Petition fordern sie den Zürcher Regierungsrat zudem auf, Mindesttarife für Uberfahrten festzulegen und Uber zu verpflichten, Sozialbeiträge einzuzahlen, seine Preisstruktur offenzulegen und die Plattformgebühr zu deckeln.
SP: «Prekäre Bedingungen»
SP-Co-Chefin und Zürcher Nationalrätin Mattea Meyer zeigt sich gegenüber watson «schockiert» über die Umfrageergebnisse. Sie sagt:
Es dürfe nicht sein, dass diese Menschen trotz vollem Arbeitspensum nicht von ihrem Einkommen leben könnten. «Schliesslich liegt ein gut begründetes und rechtskräftiges Urteil vor», sagt Meyer. Damit spielt sie auf Gerichtsentscheide in der Schweiz gegen Uber an.
Meyer findet, der Staat müsse härter gegen Uber durchgreifen. «Die Kantonsregierungen müssen das geltende Arbeitsrecht auch für Unternehmen aus der Plattformbranche wie Uber und Bolt durchsetzen und kontrollieren.»
Konkret bedeutet das für Meyer: Plattformen wie Uber sollen genauso wie Taxiunternehmen behandelt werden. Sie sollen Mindestpreise einführen und Beiträge an AHV und IV einbezahlen.
SVP: «Grauenhafte Zustände»
Auch der Zürcher SVP-Nationalrat Mauro Tuena sagt zu den Ergebnissen der watson-Umfrage: «Die Zustände für diese Fahrer sind grauenhaft. Die Preise dürfen nicht so tief sein, dass sie auf Sozialhilfe angewiesen sind oder schwarz arbeiten.» Denn diese Kosten zahle die Gesellschaft.
Tuena warnt aber vor vorschnellen staatlichen Eingriffen in das Geschäft der Fahrdienst-Plattformen. «Niemand wird gezwungen, für Uber zu fahren», sagt Tuena. Es brauche deshalb massvolle Lösungen statt einer «Überregulierung» des Marktes.
Er sei dafür, für Uber- und klassische Taxi-Fahrer gleich lange Spiesse zu schaffen. Was er damit meint: «Die Sozialleistungen wie AHV und IV müssen bezahlt werden, so wie es das Bundesgericht entschieden hat.»
Warum Uber kein Handlungsbedarf sieht
Uber hält seit Jahren an der Haltung fest, dass ihre Fahrerinnen und Fahrer keine Angestellten sind, sondern selbständig Erwerbende. Im März 2023 widersprach das Bundesgericht dieser Meinung jedoch klar.
In seinem Urteil hält das Bundesgericht fest, dass Uber seinen Fahrern weitreichende Weisungen erteilt und sie über die App auch kontrolliert – typische Merkmale eines Arbeitsverhältnisses. Uber müsse daher für seine Fahrer Sozialabgaben (AHV/IV) entrichten, so der Richterspruch. Schon im Jahr zuvor kam das Bundesgericht in einem Genfer Fall zum gleichen Schluss. Weshalb also hat sich in diesen Punkten bis heute nichts geändert?
watson hat Uber mit genau dieser Frage konfrontiert. Das Unternehmen teilt mit, dass sich die Gerichtsurteile auf «das alte Geschäftsmodell von 2014» beziehe und «nicht direkt übertragbar» sei auf die aktuellen Bedingungen:
So könnten die «selbständigen, lizenzierten» Fahrer «ihre Preise selber festlegen», den Fahrpreis jeweils vor Annahme ansehen und Aufträge ohne Sanktionen ablehnen. Zudem sei es ihnen möglich, neben der Uber-App weitere Plattformen zu nutzen.
Uber hält also an der grundsätzlichen Linie fest: Man sei eine reine Vermittlungsplattform, kein Arbeitgeber.
«Nichts Neues bei Uber»
Für Thomas Geiser, emeritierter Professor für Arbeitsrecht an der Universität St. Gallen, ist die Sache klar: Die von Uber behauptete Selbstständigkeit der Fahrer sei «nicht glaubhaft». «In Wahrheit sind das ganz klar Arbeitsverhältnisse», sagt er. Die Rechtsprechung sei in den letzten Jahren deutlich strenger geworden.
Dass Uber nach Gerichtsurteilen lediglich die Vertragsbedingungen leicht anpasst, hält Geiser für eine bewusste Verzögerungstaktik: «Man kann im Privatrecht den grössten Seich reinschreiben – es kontrolliert niemand.» Ob diese Verträge rechtlich haltbar sind, prüfe keine staatliche Stelle systematisch. «Solange kein Fahrer klagt, passiert nichts.»
Geiser hält zudem fest, dass die Bundesverfassung verlange, dass Menschen durch Arbeit ihren Lebensunterhalt bestreiten können. Er sagt:
Für Geiser braucht es deshalb eine gesetzliche Lösung: Zwar könnten Kantone gewisse Regeln erlassen, etwa über Lizenzen und Bewilligungen. Doch das reiche nicht. «Wenn ein Geschäftsmodell nur funktioniert, indem es Arbeitsrechte unterläuft, darf man es nicht dulden», sagt er.
Für die grösste Gewerkschaft der Schweiz, Unia, sind die schlechten Arbeitsbedingungen bei Uber «nichts Neues», wie sie in einer Medienmitteilung schreibt. Uber verspreche den Fahrern mehr Freiheit. «Doch es bleibt alles beim Alten. Uber diktiert die Bedingungen, seine Angestellten werden um ihre Rechte und um viel Geld geprellt.» Und den Sozialversicherungen entgingen dadurch weiterhin Millionenbeträge.
